Der Präsident des Staatsgerichtshofs, Wilhelm Mestwerdt, hat die Landesregierung und den Landtag zu einer mutigen Verwaltungsreform aufgerufen. „Wir müssen die Verwaltungsstruktur in Niedersachsen so gestalten, dass die Bürger sich mit ihren Anliegen gut aufgehoben fühlen“, sagte der höchste Richter des Landes am Donnerstag beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Landesrechnungshofes (LRH) in Hildesheim. Mestwerdt war von LRH-Präsidentin Sandra von Klaeden um eine Festrede gebeten worden.

Diese nutzte der Staatsgerichtshof-Präsident zu einem klaren Appell an den Rechnungshof, als unabhängige und unparteiische Prüfbehörde neue Vorschläge für Reformvorhaben der Landespolitik zu unterbreiten. „Sie müssen Impulse geben für die Weiterentwicklung des Landes – wenn wir nur an die Themen Demographie, Fachkräftemangel und Behördenstruktur denken“, hob Mestwerdt hervor. In einer Anekdote erinnerte der Gerichtspräsident, der im Hauptberuf das Landesarbeitsgericht leitet, an seine früheste Kindheit: Sein Patenonkel Franz sei vor vielen Jahren auch Senator im LRH gewesen, die Fragen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit seien ihm daher von Jugendtagen an bekannt, bei jedem Familientreffen seien sie zur Sprache gekommen.
Zum Festakt für den 75. Jahrestag der Rechnungshof-Gründung waren ehemalige Mitarbeiter, Vertreter des Landtags und der Wissenschaft nach Hildesheim gekommen. Für die Landesregierung waren Ministerpräsident Stephan Weil und die Minister Julia Hamburg (Kultus) und Gerald Heere (Finanzen) erschienen. Weil sagte, der LRH sei zwar kein Verfassungsorgan wie Landesregierung, Landtag oder Staatsgerichtshof – „aber er ist knapp davor, ein solches zu sein“. Seine Aufgabe sei es, die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überprüfen. Wenig bekannt sei, dass die Landesregierung in den allermeisten Fällen die Ratschläge des LRH begrüße und befolge.
In den zehn Jahren seiner Amtszeit habe es zwischen Regierung und Rechnungshof immer „ein entspanntes Verhältnis gegeben“. Wirtschaftlichkeit sei im Übrigen „nicht das gleiche wie Kürzungen und Einsparungen“. Positiv sei, dass in der Verwaltung „schon der Gedanke an den Rechnungshof dazu führt, die Vorgänge noch etwas gründlicher zu prüfen“, betonte Weil.
Landtagspräsidentin Hanna Naber erinnerte an den früheren SPD-Landtagsabgeordneten und späteren Bundespolitiker Otto Heinrich Greve aus Hannover, der sich – später auch im Parlamentarischen Rat – sehr intensiv für eine unabhängige und starke Finanzkontrolle eingesetzt habe. Der Rechnungshof habe heute die Aufgabe, den Abgeordneten „den Weg durch ein immer unübersichtlicher werdendes Haushaltslabyrinth zu ebnen“. Insofern sei die Behörde „das finanzielle Gewissen des Landes“ – und eine wichtige Hilfestellung für das Parlament.

LRH-Präsidentin von Klaeden meinte, sowohl der Rechnungshof wie auch der Staatsgerichtshof würden die Politik von Landtag und Landesregierung „aus einer gewissen Distanz betrachten“, daher seien sie auch nicht in Hannover ansässig, sondern in Bückeburg und Hildesheim. Im Unterschied zum höchsten Gericht könne der Rechnungshof die Themen seiner Arbeit selbst wählen. „Dafür sind unsere Beschlüsse dann am Ende verbindlich für jedermann“, entgegnete später Mestwerdt.
Es geht doch nicht an, dass Menschen mit dem Handy im Supermarkt bezahlen – aber für einen Ausweis ist immer noch das persönliche Erscheinen im Amt nötig.
Wilhelm Mestwerdt, Präsident des Staatsgerichtshofs
Der Staatsgerichtshof-Präsident warnte in seiner Festrede die Politiker vor dem Irrglauben, man könnte gewohnte Verwaltungsstrukturen auf Dauer so lassen, wie sie derzeit sind. „Schlechte Prozesse werden nicht allein dadurch besser, dass sie digital ablaufen“, sagte er. Der Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften zwinge zu Kürzungen und Vereinfachungen der Abläufe. So wie Banken ihr Filialnetz ausdünnten, müssten auch Behörden sich umstellen. „Es geht doch nicht an, dass Menschen mit dem Handy im Supermarkt bezahlen – aber für einen Ausweis ist immer noch das persönliche Erscheinen im Amt nötig.“
Er verstehe auch nicht, warum es in Niedersachsen nicht längst eine Verwaltungsdigitalisierung „aus einem Guss“ gebe. Es sei ein Fehler, auf eine zentrale Steuerung für alle Ressorts zu verzichten. „Wir produzieren ein digitales Chaos, wenn jede Behörde sich künftig selbst digitalisieren soll. Allein die Reibungsverluste an den Schnittstellen werden dann unfassbar groß.“ Zu diesem Problem hatte der LRH vor wenigen Monaten schon eine sehr deutliche Mahnung ausgesprochen.