Während die Landesregierung wegen der hohen Zahlen der Corona-Neuinfektionen die härtesten Kontaktbeschränkungen plant, die es je in Niedersachsen gegeben hat, werden immer mehr Klagen über Fehlentwicklungen und Pannen in der Pandemie-Bekämpfung laut. Mehr als vier Stunden lang hat der Sozialausschuss des Landtags am Donnerstag über die aktuelle Lage diskutiert. Dabei äußerten vor allem die Landtagsabgeordneten Uwe Schwarz (SPD) und Meta Janssen-Kucz (Grüne) massive Kritik an aktuellen Entwicklungen. Vieles hängt mit dem frühen Start der Impfzentren zusammen und damit, dass die erhofften Lieferungen des bestellten Impfstoffs nicht so frühzeitig in Niedersachsen eingetroffen sind, wie sie anfangs erwartet worden waren. Der Leiter des Krisenstabes der Landesregierung, Sozial-Staatssekretär Heiger Scholz (SPD), ging vorsichtig auf Distanz zu Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Vorweihnachtszeit. Das Land habe damals „massiven Druck gespürt“, die Impfzentren schon zum 15. Dezember in Betrieb zu nehmen, erklärte Scholz und fügte hinzu: „Vielleicht waren die Ankündigungen von Herrn Spahn, wie schnell bestimmte Dinge gehen können, stärker politisch und weniger administrativ bestimmt“. Das Land habe mehreren Landkreisen um den Jahreswechsel herum Impfstoffe angeboten, mehrere von ihnen hätten es aber abgelehnt, diesen entgegenzunehmen – wegen der Feiertage.
Der SPD-Abgeordnete Schwarz berichtete über viele ältere Menschen, die schlechte Erfahrungen mit der Hotline des Landes für die Impftermine gemacht hätten. „Einige haben die Auskunft erhalten, sie müssten erst den Hausarzt fragen. Bei anderen hieß es dann, sie müssten noch warten. Viele Angaben waren widersprüchlich.“ Die Grünen-Abgeordnete Janssen-Kucz ergänzte, manche Anrufer hätten nach vielen Minuten in der Warteschleife die Antwort erhalten, sie sollten sich im Februar erneut melden. Schwarz sagte: „Der Normalbürger weiß nicht, wann er an der Reihe ist. Von der versprochenen Impfkampagne ist nichts zu spüren.“
Scholz erklärte, in der ersten Gruppe der für die Impfung vorgesehenen, den Menschen über 80, Ärzten und Pflegekräften, befänden sich 800.000 Menschen. Nur 105.000 von ihnen lebten in den Altenheimen, aber weil die Sterblichkeit der dort infizierten sehr hoch sei, beginne man mit Schutzimpfungen in den Heimen. Das Sozialministerium wolle nächste Woche die Menschen über 80 anschreiben und sie informieren, dass sie voraussichtlich ab Februar an die Reihe kämen. Er überlege auch, den Menschen zwischen 60 und 79 auch einen Brief zu schreiben und ihnen zu erklären, dass sie sich noch gedulden müssten.
Unterdessen sorgt die neue Corona-Verordnung für heftige politische Diskussionen:
Strengste Kontaktbeschränkungen: Seit November gilt, dass jeder Niedersachse zuhause neben den dort mit ihm wohnenden Menschen maximal fünf Personen zu Besuch empfangen darf – allerdings nur aus einem weiteren anderen Haushalt. Künftig ist die Obergrenze auf nur einen Besucher eines anderen Haushaltes festgelegt. Unklar war gestern noch, inwieweit Kinder hier mitzählen sollen. Diese Regel ist viel strenger als die, die im Frühjahr galt, damals war allgemein von einer Beschränkung der Kontakte „auf das Notwendige“ die Rede gewesen. Als im April das Sozialministerium diese Vorgabe verschärfen wollte, hatte Ministerpräsident Stephan Weil dies noch gestoppt. Julia Hamburg (Grüne) und Stefan Birkner (FDP) übten jetzt Kritik: Wenn man jeden Tag eine andere fremde Person zuhause empfange, werde dem Anliegen, die Kontakte der Menschen zu verringern, nicht entsprochen. Man könne die Vorschrift also leicht umgehen.
Keine Grenzen für die Wirtschaft: Hamburg und Helge Limburg (Grüne) bemängelten, die Kontaktbeschränkungen bezögen sich allein auf die privaten Treffen, nicht aber auf das Wirtschaftsleben. Man könne etwa eine Verpflichtung zum Home-Office in all jenen Bereichen, in denen das wirtschaftlich möglich erscheint, per Verordnung festlegen.
Vergleich der Bewegungsprofile: Scholz erklärte, anhand der Handy-Ortungen in Deutschland könne man feststellen, dass beim ersten Lockdown im März und April die Menschen ihre Reiseaktivitäten teilweise um mehr als die Hälfte eingeschränkt hätten (im Vergleich mit dem Vorjahresmonat). Vor Weihnachten, beim zweiten Lockdown, sei der Rückgang nicht annähernd so stark gewesen. Es komme aber darauf an, die Kontakte der Menschen möglichst zu verringern.