7. Jan. 2022 · 
Inneres

„Spaziergang“ oder verbotene Versammlung? Corona-Gegner provozieren gezielt die Polizei

Das Versammlungsrecht ist im Grundgesetz verbürgt, es steht für die demokratischen Freiheiten. Aber in Corona-Zeiten sind Auflagen zu beachten, die dem Gesundheitsschutz dienen – das Abstandhalten und das Tragen von Masken gehören dazu. Wie Landespolizeipräsident Axel Brockmann im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick berichtet, radikalisieren sich die Gruppen, die regelmäßig montags zu Anti-Corona-Demonstrationen aufrufen.

Immer mehr Gegner der Corona-Maßnahmen treffen sich zu sogenannten Spaziergängen. | Archivfoto: Lada

Das geschieht vornehmlich über den Messenger-Dienst „Telegram“, und nach Beobachtungen der niedersächsischen Polizei verschärft sich das Verhalten derjenigen, die als Organisatoren oder Initiatoren der Veranstaltungen agieren – und sich vor Ort häufig dann im Hintergrund halten. „Es sind Bezüge zu Rechtsextremisten zu erkennen, aber es sind wirklich nicht überall Vertreter dieser Gruppierungen, die bei den Demonstrationen auftreten“, berichtet Brockmann. In jüngster Zeit stelle er fest, dass versucht werde, die Polizei zu provozieren und zu hartem Vorgehen zu reizen.

117 Veranstaltungen in Niedersachsen zeitgleich am 3. Januar

Axel Brockmann | Foto: Landespolizeipräsidium Niedersachsen

Mehrere Besonderheiten sind erkennbar: So rufen Initiatoren zu „Spaziergängen“ regelmäßig für Montagabend auf. Das geschieht so, dass an vielen Orten gleichzeitig derartige Termine stattfinden, am 3. Januar waren es zeitgleich 117 Veranstaltungen in Niedersachsen mit insgesamt 14.400 Teilnehmern. Der Montag ist seit den legendären Montagsdemonstrationen in der DDR 1989 ein traditioneller Tag der Proteste gegen staatliche Gewalt, das lebte vor einigen Jahren auch mit der islam- und regierungsfeindlichen Pegida-Bewegung wieder auf. In mehreren Bundesländern, auch in der früheren DDR, wird von der Anti-Corona-Bewegung wieder an diese Symbolik angeknüpft.

Die Polizei vermutet, dass das parallele Aufgebot von 117 Treffen dem Zweck dient, einen konzentrierten Einsatz der Polizeikräfte zu erschweren oder unmöglich zu machen – denn es zeichne sich nicht ab, wie viele Menschen an welchem Ort aktiv werden und wie sie sich dort verhalten wollen. Hinzu kommt, dass es offizielle Anmeldungen zu Demonstrationen immer seltener gibt. Am 3. Januar waren nur noch 13 der 117 Veranstaltungen offiziell angemeldet. Eine solche Anmeldung bedingt, dass ein verantwortlicher Leiter benannt wird und die kommunale Versammlungsbehörde Auflagen verhängen kann – also die Maskenpflicht und das Abstandsgebot. Wird dagegen verstoßen, muss der Versammlungsleiter für die Ordnungswidrigkeit haften. Wenn aber die Treffen gar nicht angemeldet werden, fehlt auch ein Ansprechpartner für die Polizei – und es fällt den Ordnungskräften schwer, Verweise oder Auflagen vor Ort zu übermitteln.

"Spaziergänger" treffen gezielt Vorkehrungen gegen Polizeikontrollen

Nach Berichten von Brockmann häufen sich Fälle von Verhaltensweisen auf „Telegram“ und anderen Messenger-Diensten. Die Empfänger bekommen ein Stichwort übermittelt und setzen sich dann zu ihren „Spaziergängen“ in Bewegung. Ihnen wird geraten, keine Ausweispapiere dabei zu haben (um bei Verstößen gegen Auflagen nicht identifiziert werden zu können), der Polizei auszuweichen, in größere Gruppen zu flüchten, auf Fragen von Polizisten nicht zu antworten, sondern einen Rechtsbeistand zu verlangen – und vor Rathäusern Kerzen als Zeichen des Protestes abzustellen.

Ausmaß und Gewicht der montäglichen Veranstaltungen haben sich gesteigert: Am 13. Dezember waren es 48 solcher Treffen mit 6000 Teilnehmern, nun haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. Anfangs wurden auch noch mehr „Spaziergänge“ formell angemeldet, so wie es den Vorschriften entspricht. Dieser Anteil ist zurückgegangen, und auch die in den Messenger-Diensten kursieren Anweisungen sprechen sowohl für eine zentrale Steuerung wie auch für eine wachsende politische Radikalisierung – offenbar mit dem Ziel, die Polizei zu unbedachten Verhaltensweisen zu provozieren und damit den Protestlern weiteren Zulauf zu bescheren. Brockmann sagt, die Polizei werde konsequent Rechtsbrüche verfolgen und gegen verbotene Ansammlungen vorgehen. Das könne bis zu Platzverweisen gegen einzelne Demonstranten gehen. „All diejenigen, die bewusst die Regeln brechen oder sogar Polizisten oder Unbeteiligte angreifen, verurteile ich aufs Schärfste. Verstöße werden konsequent geahndet“, sagt der Landespolizeipräsident.

Dietmar Schilff von der Gewerkschaft der Polizei sieht „mit Sorge“, dass es Strategien gibt, immer wieder neue kleine Protestgruppen zu bilden, die Beteiligung an der Kundgebung offiziell abzustreiten und damit die Polizei gezielt zu verwirren. Die GdP fordert alle jene, die friedlich gegen die Corona-Politik protestieren wollen, nachdrücklich zur Einhaltung der rechtlichen Vorgaben und zur ordnungsgemäßen Anmeldung ihrer Kundgebungen auf.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #002.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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