Soziologe fordert: Der nächste Schritt sollte die Verstaatlichung von Facebook sein
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt, viele heute noch umständliche Prozesse werden erleichtert. Aber drohen auch Nachteile? Sind neue Schutzvorkehrungen nötig? Der Baseler Soziologieprofessor Oliver Nachtwey, der intensiv auf diesem Feld geforscht hat, fordert ein moderneres Mitwirkungsrecht für Betriebsräte und Gewerkschaften. Außerdem müssten die „Crowdworker“, von denen es in Deutschland schon mehr als eine Million gebe, gegen Arbeitslosigkeit und für die Altersversorgung abgesichert werden – „vielleicht auf einem ähnlichen Weg wie bei der Künstlersozialkasse“, sagte Nachtwey, der auch „Mindesthonorare“ vergleichbar dem Mindestlohn empfiehlt. Als „Crowdworker“ werden freiberufliche Fachleute bezeichnet, die nicht angestellt sind, sondern sich von Auftrag zu Auftrag hangeln.
Nachtwey sprach auf einem Fachkongress mit dem Titel „Digitaler Kapitalismus – mehr Wohlstand oder sozialer Rückschritt?“, den der DGB-Landesbezirk, die Friedrich-Ebert-Stiftung und das „Forum für Politik und Kultur“ (FPK) veranstaltet haben. Der Professor aus Basel ist für sein Buch „Abstiegsgesellschaft“ bekannt geworden. Darin beschreibt er die Situation, dass heute im Unterschied zu früheren Jahrzehnten für die meisten Arbeitnehmer kein Karriereaufstieg mehr wahrscheinlich sei. Vielmehr seien viele dauernd damit beschäftigt, gegen einen drohenden Statusverlust anzukämpfen – wie jemand, der seine Kraft dafür aufzehrt, auf einer nach unten fahrenden Rolltreppe aufwärts zu gehen, um seinen Stand zu halten. Das werde jetzt eher noch schlimmer. Da die Digitalisierung eine komplette Umwälzung der Arbeitswelt nach sich ziehe, müsse man die „Demokratie stärken“ – auch innerbetrieblich. Bisher könnten Betriebsräte in die Unternehmenssteuerung einwirken, wenn aber erst Algorithmen individuell vorgeben, was vom Arbeitnehmer erwartet wird, sei ein Eingriff weitaus schwieriger. Arno Brandt vom FPK forderte „mutige Gesetzgebung“ und eine Ausweitung der Mitbestimmung – noch bevor die Veränderung der Digitalisierung Platz greife. Nachtwey befürwortet das. Für Stefan Muhle (CDU), Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, sollte in entsprechenden Regelwerken, die auch er für sinnvoll hält, noch eine andere Frage behandelt werden: Was ist gegen die zunehmende psychische Belastung der digitalen Arbeit zu tun, da ständige Aufmerksamkeit, das parallele Erledigen verschiedener Aufgaben und die dauernde Erreichbarkeit gefordert werden?
Der Baseler Soziologe Nachtwey sieht noch zwei andere wachsende Probleme: Zum einen könne sich ein Autokonzern wie VW total verwandeln, er würde künftig nicht mehr nur Fahrzeuge bauen, sondern den Kunden etwa einen Reiseservice anbieten inklusive Abholung der Kunden mit selbstfahrenden Autos, Anschluss an Züge und ähnliches – alles digital perfekt vernetzt und aufeinander abgestimmt. Solche Konzerne würden sich aus vielen kleinen Mini-Einheiten zusammensetzen – was die starke Rolle eines großen Betriebsrats gar nicht mehr ermögliche. Zum anderen misstraut Nachtwey den im „digitalen Kapitalismus“ bestimmenden Großkonzernen (genannt werden in der Tagung Google, Amazon und Facebook). Sie hätten nicht nur den Anspruch auf immer mehr Gewinn, sondern sie verfolgten das Ziel einer „Rettung der Menschheit“ und kämpften gegen jegliche staatliche Regulierung, damit auch gegen demokratische Mitwirkung. Diese Konzerne könnten über viele Daten der Menschen verfügen, den Informationsfluss steuern und so Macht ausüben. In der Arbeitswelt könne das so wirken, dass etwa hochqualifizierte Beschäftigte kontrolliert werden, wie lange sie am Computer sitzen, wie schnell sie Texte tippen oder wie lange sie sich in der Teeküche aufhalten. Nachtwey zieht daraus einen Schluss: Wenn er einen Wunsch freihabe, was geschehen müsse, würde er „Facebook verstaatlichen“, sagt er – also die Macht dieses Konzerns einer demokratischen Kontrolle unterziehen. „Wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ könne das dann aussehen, meint er.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #167.