23. März 2019 · 
Soziales

Sozialministerin Reimann will mit Kammergegnern ins Gespräch kommen

„Wir lassen uns nicht mit Placebos abspeisen“, sagte Sylvia Bühler, Bundesvorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi am Sonnabend auf der Demonstration in Hannover gegen die niedersächsische Pflegekammer. Als Placebo nehmen auch die Demonstranten die neue Kammer wahr. Einige hundert zogen vor der Kundgebung durch die Innenstadt. Damit hat der Protest deutlich nachgelassen. Vor sieben Wochen hatten noch zwischen 2000 und 3000 Pflegekräfte in Hannover gegen die Kammer demonstriert.
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An diesem Sonnabend übergaben die Kammergegner Sozialministerin Carola Reimann die Online-Petition mit fast 51.000 Unterschriften. Reimann, die zwischen all den Buh-Rufen nur schwer zu Wort kam, sagte in einer kurzen Ansprache, sie nehme den Protest sehr ernst. „Es war mir ein Anliegen, die Petition persönlich entgegenzunehmen.“ Die Petition und die Argumente würden in die weitere Arbeit einfließen. Die Sozialministerin lud die Initiatoren der Petition zu einem persönlichen Gespräch ins Ministerium ein. „Hier ist offensichtlich so kein Gespräch möglich“, sagte Reimann im Kampf gegen Trillerpfeifen, Glocken und laute Rufe. https://soundcloud.com/user-385595761/20190323-durr Zuvor hatte der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Christian Dürr, auf der Bühne die Kammer scharf kritisiert. „Aus Zwang kann nichts Gutes entstehen“, sagte Dürr unter dem Beifall der Demonstranten. Es brauche keine Zwangsinstitution, die den Pflegekräften erkläre, wie sie ihre Arbeit zu machen hätten. Er habe die große Sorge, dass sich die Politik mit der Errichtung der Pflegekammer aus der eigenen Verantwortung für die Pflege stehlen wolle. „Diese Landesregierung hält sich eine Pflegekammer als Alibi-Veranstaltung“, sagte Dürr. Die Beitragsbescheide, in denen zunächst pauschal von einem Bruttogehalt von 70.000 Euro pro Jahr ausgegangen worden war, nannte der FDP-Politiker „herablassend“. [gallery columns="5" link="file" ids="39234,39233,39235,39236,39232"] Von „völlig realitätsfremden Gebührenbescheiden“ sprach auch der Landesvorsitzende der Linken, Lars Leopold. „Bei einem Bruttogehalt von 70.000 Euro ist eine Kammer von den Realitäten des Berufs meilenweit entfernt.“ Leopold forderte die Sozialministerin auf, in der Pflege endlich zu liefern und die offensichtlichen Probleme zu lösen. Der Pflegekammer traut er das nicht zu. Die Kammer wolle an den schlechten Löhnen ohnehin nichts ändern und könne das auch überhaupt nicht.
Diese Landesregierung hält sich eine Pflegekammer als Alibi-Veranstaltung.
Auch Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler forderte die Landesregierung auf, endlich zu handeln. Sie sprach von einem  „staatlich legitimierten Pflegenotstand“. „Wir brauchen mehr Personal und eine anständige Bezahlung. Eine Pflegekammer wird das nicht regeln können“, sagte die Gewerkschafterin. Bühler plädierte für eine Befragung aller Pflegekräfte. Das hatte die Gewerkschaft in Niedersachsen auch in einer Resolution gefordert. Die Pflegekräfte sollten selbst sagen können, wie sie zu einer Kammer beziehungsweise zu möglichen Alternativen stehen. In Frage kommt dabei Bühler zufolge das bayerische Modell, das ohne Pflichtmitgliedschaft und Zwangsbeiträge auskommt. Das wird allerdings vor allem in der SPD kritisch gesehen. Eine finanziell vom Staat abhängige Kammer könne nicht wirklich frei agieren, meint zum Beispiel SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz.

Auch Verdi befasst sich mit der Pflegekammer

Die Pflegekammer war auch Thema auf der Landesbezirkskonferenz der Gewerkschaft Verdi. Die bisherige ehrenamtliche Landesvorsitzende Renate Sindt sieht in der Kammer einen Beitrag zur Spaltung der Belegschaft. „Wenn die Pfleger so viel verdienen wie die Ärzte, dann bin ich bereit, eine Zwangsmitgliedschaft in der Pflegekammer als gerecht anzusehen“, sagte Sindt. Der mit knapper Mehrheit wiedergewählte Verdi-Landesleiter Detlef Ahting hält Zwangsmitgliedschaften demokratietheoretisch für mehr als fragwürdig.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #056.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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