4. Apr. 2019 · Bildung

Sollen Schüler während der Unterrichtszeit für den Klimaschutz demonstrieren dürfen?

Heute ist wieder Freitag, erneut ist international mit Schülerprotesten für den Klimaschutz zu rechnen. Wie sollen die Lehrer, die Behörden und die Gesellschaft darauf reagieren, dass diese Aktionen während der Unterrichtszeit stattfinden? Die Rundblick-Redaktion widmet sich dem Thema in einem Pro und Contra. [caption id="attachment_39551" align="alignnone" width="780"] Pro & Contra: Klaus Wallbaum (li.) und Niklas Kleinwächter. - Foto: MB[/caption]

PRO: Ja, Schüler sollten die Schule verlassen und demonstrieren gehen – und eine Fünf kassieren, wenn es nötig ist, meint Niklas Kleinwächter.

Natürlich ist die Schulpflicht wichtig. Es ist auch nicht zu unterschätzen, dass Lehrer ja eine Aufsichtspflicht haben und Schulschwänzer für sie eine ganz schöne Herausforderung darstellen. Eine elegante Lösung mag es deshalb sein, dass die Eltern ihren streikenden Kindern einfach eine Entschuldigung schreiben. Aber was wäre das denn – Aufstand mit Netz und doppeltem Boden? Ich finde, Schüler sollten auch mal die Schule schwänzen, wenn sie auf eine Demo gehen wollen. Aber genauso finde ich, dass sie dann dafür eine Fünf kassieren müssen. Eine Demonstration am Nachmittag oder am Wochenende würde wohl ehrlicher wirken. Schließlich gibt es genug schwarze Schafe unter den Schülern, die nur auf die Straße gehen, weil für sie damit Mathe ausfällt. Aber es stimmt ja auch, was gesagt wird: Würden sie nicht die Schule schwänzen, wäre die Aufmerksamkeit auf allen Seiten viel geringer. Was es aber nicht geben darf, ist eine offizielle Erlaubnis, die Schule zu verlassen, um für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren. Es ist weder Aufgabe der Schule noch des Kultusministeriums oder der Bundeskanzlerin festzulegen, für welches Anliegen man demonstrieren darf und für welches nicht. Was ist eine gute Demo und was ist eine schlechte? Freitags für das Klima ist in Ordnung, aber montags gegen Einwanderung ist nicht gut – so darf es nicht kommen. Gleichwohl sollten die Themen, die von den Demonstranten aufgeworfen werden, im Gesellschafts- oder Politikunterricht ausführlich diskutiert werden. Die Schule ist ein politischer Ort, sie schreibt aber keine Haltung vor. Was die Schule ihren Schülern vermitteln muss, sind zwei Dinge: einen Standpunkt zu haben und dafür einzustehen. Wenn dann ein Schüler zu der Entscheidung kommt, dass die „Fridays for Future“-Bewegung genau das richtige für ihn ist, dann muss er da auch hin gehen. Was er im Unterricht verpasst, muss er später nachholen. Und wenn er in der betreffenden Stunde keine Leistung erbracht hat, bekommt er dafür eine schlechte Note. So sind die Spielregeln. Diese kennenzulernen, ist aber ausgesprochen wichtig für junge Menschen. Die ständige Überbehütung durch Eltern und Lehrer und alle Institutionen, die Kinder und Jugendliche durchlaufen, hilft nicht, mündige Bürger aus ihnen zu machen. Wer etwas bewegen möchte, muss auch ein Risiko eingehen. Und für seine Überzeugungen streiten.
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Darüber hinaus kann diese Erfahrung die Schüler nachhaltig reifen lassen. An die eine Doppelstunde, die sie verpassen, werden sie sich nie erinnern. Aber dass sie für ein Anliegen auf die Straße gegangen sind, dass sie dort unter sehr vielen Gleichgesinnten waren und dass man auf sie gehört hat, wird nachwirken. Für viele ist das sicher der erste Kontakt mit politischer Willensbildung und Partizipation. Dass sie dafür die Regeln des Erlaubten etwas ausreizen, wird die Erinnerung nur noch stärker in ihren Köpfen einpflanzen. Wird die Demo aber zur Schulveranstaltung, zu der halt alle gehen dürfen oder sogar gehen sollen, wird sich die Erinnerung wohl nur einreihen neben banale Events wie dem letzten Sportfest und dem Besuch im Naturkundemuseum. Der CDU-Politiker Jens Spahn hat jetzt alle jugendlichen Klimademonstranten eingeladen, politisch zu bleiben und sich in einer Partei zu engagieren. Richtig so. Es werden aber nicht alle Schüler, die gerade auf der Straße ihre Meinung kundtun, eine derart steile politische Karriere hinlegen wie Spahn. Auch dürften nicht alle Spaß an der Arbeit im Ortsverein entwickeln. Parteien bleiben eben auch unsexy, mit ihren spätabendlichen Sitzungen und den Kungelrunden in Hinterzimmern. Viele Schüler werden vermutlich auch das Interesse an den Demos verlieren. Aber sie werden sich noch lange erinnern: Damals, 2019, da haben wir die Schule geschwänzt und sind für das Klima auf die Straße gegangen. Damals hat dieser Schritt die Erwachsenen verrückt gemacht und sie haben endlich auf uns gehört. Wer weiß, vielleicht erinnern sie sich dann irgendwann an ihr erstes Erlebnis politischer Selbstwirksamkeit und nehmen deshalb bewusster ihr Wahlrecht wahr, schließen sich einer Partei oder Gewerkschaft an, oder holen auch als Erwachsene später noch mal die Trillerpfeife raus. Zum Beispiel, wenn einfach so über ihre Köpfe hinweg eine Pflegekammer eingerichtet wird oder weil das Rentensystem kollabiert. Wenn wir sie aber nur loben, vom Unterricht befreien und sogar zur Demo begleiten, nehmen wir ihnen das kleine bisschen Rebellentum, das vielleicht auch zum Reifungsprozess eines Citoyens, eines politischen Bürgers dazugehört. Mail an den Autor des Kommentars  

CONTRA: Wer die Schulpflicht nicht ernst nimmt, läuft Gefahr, später gar keine Pflichten mehr ernst zu nehmen, meint Klaus Wallbaum.

Welchen Wert hätten die Studentendemonstrationen der späten sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gehabt, wenn sie brav, friedlich und ruhig verlaufen wären? Vermutlich hätte dann kaum jemand davon Notiz genommen. Was hat die Anti-Atom-Demonstrationen im Wendland, regelmäßig begleitend zu den Castor-Transporten, so interessant werden lassen? Es waren vermutlich die Regelverletzungen: Sitzblockaden, das Sich-Fest-Ketten an den Bahnanlagen, der Landwirt Adi Lambke, der mit seinem Trecker die Weiterfahrt der Wasserwerfer verhindern wollte und damit einen blutigen Polizeieinsatz auslöste. Ja, zu einer wirkungsvollen Demonstration gehört die Provokation dazu – ein Schritt, der die Bevölkerung polarisieren soll in Anhänger und Gegner, der ein Gesprächsthema erzeugen soll. Insofern war es durchaus richtig und angemessen, dass die ersten Kundgebungen der klimabewussten Jugendlichen unter dem Motto „Fridays for Future“ tatsächlich während der Unterrichtszeit stattfanden. Sie wollten ja, dass einige aufschreien und sagen: „Unerhört!“ Nur das sichert die notwendige Aufmerksamkeit. Mittlerweile allerdings verhält sich die Situation anders. Wenn die allwöchentlich protestierenden Schüler unter einem Defizit nicht leiden, dann ist es das Defizit an Publizität. Man nimmt Notiz von ihnen – und nicht nur das: der politische Diskurs dreht sich um sie. Da erlebt man, wie sich die Kanzlerin in Berlin und der Ministerpräsident in Hannover vor den Demonstranten verbeugen, ein Ausdruck voller Anerkennung. Das polarisierende Element, das Streiten um das Für und Wider, rückt in den Hintergrund – und das macht diese Bewegung langsam aber sicher schon wieder langweilig. Noch ein anderer negativer Umstand kommt hinzu: Die Schülerdemonstrationen drohen zum Ritual zu werden – immer die gleichen Wege, immer die gleichen Regelverletzungen, immer die gleichen Erklärungen und Begründungen. Wenn das erste Schulschwänzen nötig war, um wahrgenommen zu werden, dann wirkt dies zum fünften, sechsten oder siebenten Mal nicht mehr überzeugend. Das gilt umso mehr, als die Schulen schon ihre Wege gefunden haben, ihren Unterrichtsalltag um die Demonstrationen herum zu organisieren. Ein echtes Opfer, ein echtes Wagnis, eine echte Provokation ist das Fernbleiben von der Schule inzwischen vielerorts längst nicht mehr. Das alles sagt nun einiges über den Charakter dieser Demonstrationen aus. So berechtigt sie auch sein mögen, sie laufen jetzt Gefahr, in eine Sackgasse der gepflegten Langeweile zu laufen. Für den Staat, der mit dem Schulschwänzen provoziert werden sollte, folgen aus diesen Abläufen noch ganz andere Probleme. Man mag verstehen, dass führende Politiker ihre Sympathie mit den Anliegen der jungen Leute zeigten. Immerhin ist ja auch der Klimaschutz eine lohnenswerte Sache. Gefährlich ist zu viel Verständnis für jene Behörden, die für die Bildung der jungen Menschen Verantwortung tragen und deshalb die Schulpflicht sicherstellen müssen. Unabhängig davon, wie gut oder schlecht der angebotene Unterricht ist – der Staat hat die Einhaltung der Schulpflicht zu garantieren. Als einige Bundesländer vor Jahren begonnen hatten, notorische Schulverweigerer von der Polizei abholen und zur Schule bringen zu lassen, diente das als Untermauerung dafür, dass der Schulbesuch eben nicht von Lust und Laune abhängen kann, sondern ernst zu nehmen ist. Wenn jetzt Kultusminister Verständnis für die demonstrierenden Schüler zeigen und in ihren Reaktionen ausdrücken, dass sie große Sympathie für die Aktion haben, untergraben sie damit ihre eigene Autorität. Jeder Vertreter des Kultusministeriums und der Landesschulbehörde muss vehement auf die Einhaltung der Schulpflicht pochen. Wer stattdessen meint, die Direktoren seien doch über die „eigenverantwortliche Schule“ selbst für die Einhaltung der Schulpflicht zuständig, macht sich einen schlanken Fuß und entzieht sich seiner eigenen Verantwortung. Wer noch dazu sein Verständnis mit den Demonstrationen damit begründet, dass es sich um einen „guten Zweck“ handele, richtet noch größeren Schaden an: Wenn sich der Staat anmaßt, die Qualität von Protesten zu bewerten und daraus die Rechtfertigung einer Schulpflichtverletzung abzuleiten, greift er selbst parteilich in die politische Willensbildung ein. Das darf nicht sein. Dies alles zeigt, wie wichtig es ist, in dieser Frage eine klare Haltung zu zeigen – und die kann für die Vertreter der Staatsgewalt nur darin bestehen, auf die Schulpflicht zu pochen. Mail an den Autor des Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #065.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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