
PRO: Ja, Schüler sollten die Schule verlassen und demonstrieren gehen – und eine Fünf kassieren, wenn es nötig ist, meint Niklas Kleinwächter.
Natürlich ist die Schulpflicht wichtig. Es ist auch nicht zu unterschätzen, dass Lehrer ja eine Aufsichtspflicht haben und Schulschwänzer für sie eine ganz schöne Herausforderung darstellen. Eine elegante Lösung mag es deshalb sein, dass die Eltern ihren streikenden Kindern einfach eine Entschuldigung schreiben. Aber was wäre das denn – Aufstand mit Netz und doppeltem Boden? Ich finde, Schüler sollten auch mal die Schule schwänzen, wenn sie auf eine Demo gehen wollen. Aber genauso finde ich, dass sie dann dafür eine Fünf kassieren müssen. Eine Demonstration am Nachmittag oder am Wochenende würde wohl ehrlicher wirken. Schließlich gibt es genug schwarze Schafe unter den Schülern, die nur auf die Straße gehen, weil für sie damit Mathe ausfällt. Aber es stimmt ja auch, was gesagt wird: Würden sie nicht die Schule schwänzen, wäre die Aufmerksamkeit auf allen Seiten viel geringer. Was es aber nicht geben darf, ist eine offizielle Erlaubnis, die Schule zu verlassen, um für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren. Es ist weder Aufgabe der Schule noch des Kultusministeriums oder der Bundeskanzlerin festzulegen, für welches Anliegen man demonstrieren darf und für welches nicht. Was ist eine gute Demo und was ist eine schlechte? Freitags für das Klima ist in Ordnung, aber montags gegen Einwanderung ist nicht gut – so darf es nicht kommen. Gleichwohl sollten die Themen, die von den Demonstranten aufgeworfen werden, im Gesellschafts- oder Politikunterricht ausführlich diskutiert werden. Die Schule ist ein politischer Ort, sie schreibt aber keine Haltung vor. Was die Schule ihren Schülern vermitteln muss, sind zwei Dinge: einen Standpunkt zu haben und dafür einzustehen. Wenn dann ein Schüler zu der Entscheidung kommt, dass die „Fridays for Future“-Bewegung genau das richtige für ihn ist, dann muss er da auch hin gehen. Was er im Unterricht verpasst, muss er später nachholen. Und wenn er in der betreffenden Stunde keine Leistung erbracht hat, bekommt er dafür eine schlechte Note. So sind die Spielregeln. Diese kennenzulernen, ist aber ausgesprochen wichtig für junge Menschen. Die ständige Überbehütung durch Eltern und Lehrer und alle Institutionen, die Kinder und Jugendliche durchlaufen, hilft nicht, mündige Bürger aus ihnen zu machen. Wer etwas bewegen möchte, muss auch ein Risiko eingehen. Und für seine Überzeugungen streiten.Lesen Sie auch: In der Klimaschutz-Debatte richtet die SPD die schärfsten Angriffe auf die Grünen Nach Klimaschutzdemos: Piel hält an Wahlrecht ab 14 fest Koalition ist uneins: Welchen Beitrag muss die Landwirtschaft zum Klimaschutz leisten?
Darüber hinaus kann diese Erfahrung die Schüler nachhaltig reifen lassen. An die eine Doppelstunde, die sie verpassen, werden sie sich nie erinnern. Aber dass sie für ein Anliegen auf die Straße gegangen sind, dass sie dort unter sehr vielen Gleichgesinnten waren und dass man auf sie gehört hat, wird nachwirken. Für viele ist das sicher der erste Kontakt mit politischer Willensbildung und Partizipation. Dass sie dafür die Regeln des Erlaubten etwas ausreizen, wird die Erinnerung nur noch stärker in ihren Köpfen einpflanzen. Wird die Demo aber zur Schulveranstaltung, zu der halt alle gehen dürfen oder sogar gehen sollen, wird sich die Erinnerung wohl nur einreihen neben banale Events wie dem letzten Sportfest und dem Besuch im Naturkundemuseum. Der CDU-Politiker Jens Spahn hat jetzt alle jugendlichen Klimademonstranten eingeladen, politisch zu bleiben und sich in einer Partei zu engagieren. Richtig so. Es werden aber nicht alle Schüler, die gerade auf der Straße ihre Meinung kundtun, eine derart steile politische Karriere hinlegen wie Spahn. Auch dürften nicht alle Spaß an der Arbeit im Ortsverein entwickeln. Parteien bleiben eben auch unsexy, mit ihren spätabendlichen Sitzungen und den Kungelrunden in Hinterzimmern. Viele Schüler werden vermutlich auch das Interesse an den Demos verlieren. Aber sie werden sich noch lange erinnern: Damals, 2019, da haben wir die Schule geschwänzt und sind für das Klima auf die Straße gegangen. Damals hat dieser Schritt die Erwachsenen verrückt gemacht und sie haben endlich auf uns gehört. Wer weiß, vielleicht erinnern sie sich dann irgendwann an ihr erstes Erlebnis politischer Selbstwirksamkeit und nehmen deshalb bewusster ihr Wahlrecht wahr, schließen sich einer Partei oder Gewerkschaft an, oder holen auch als Erwachsene später noch mal die Trillerpfeife raus. Zum Beispiel, wenn einfach so über ihre Köpfe hinweg eine Pflegekammer eingerichtet wird oder weil das Rentensystem kollabiert. Wenn wir sie aber nur loben, vom Unterricht befreien und sogar zur Demo begleiten, nehmen wir ihnen das kleine bisschen Rebellentum, das vielleicht auch zum Reifungsprozess eines Citoyens, eines politischen Bürgers dazugehört. Mail an den Autor des Kommentars
CONTRA: Wer die Schulpflicht nicht ernst nimmt, läuft Gefahr, später gar keine Pflichten mehr ernst zu nehmen, meint Klaus Wallbaum.
Welchen Wert hätten die Studentendemonstrationen der späten sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gehabt, wenn sie brav, friedlich und ruhig verlaufen wären? Vermutlich hätte dann kaum jemand davon Notiz genommen. Was hat die Anti-Atom-Demonstrationen im Wendland, regelmäßig begleitend zu den Castor-Transporten, so interessant werden lassen? Es waren vermutlich die Regelverletzungen: Sitzblockaden, das Sich-Fest-Ketten an den Bahnanlagen, der Landwirt Adi Lambke, der mit seinem Trecker die Weiterfahrt der Wasserwerfer verhindern wollte und damit einen blutigen Polizeieinsatz auslöste. Ja, zu einer wirkungsvollen Demonstration gehört die Provokation dazu – ein Schritt, der die Bevölkerung polarisieren soll in Anhänger und Gegner, der ein Gesprächsthema erzeugen soll. Insofern war es durchaus richtig und angemessen, dass die ersten Kundgebungen der klimabewussten Jugendlichen unter dem Motto „Fridays for Future“ tatsächlich während der Unterrichtszeit stattfanden. Sie wollten ja, dass einige aufschreien und sagen: „Unerhört!“ Nur das sichert die notwendige Aufmerksamkeit.