Die Verantwortlichen von „Fridays for Future“ werden von der Politik mit Lob überschüttet, sie erfahren in der öffentlichen Debatte viel Zustimmung. Nun strengen sie sogar eine Klage an und wollen auf juristischem Weg der Politik Beine machen. Sollte man ihnen mehr Gewicht im politischen Meinungsbildungsprozess einräumen? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Foto: DQM; nkw

PRO: Es gibt althergebrachte und neuere Gruppen, die Einfluss auf die politische Meinungsbildung nehmen. Warum sollte man Luisa Neubauer und ihren Klima-Mitstreitern diesen Einfluss verwehren? Dem Land wird es auf jeden Fall gut tun, meint Martin Brüning.

Wer hat eigentlich Einfluss in Deutschland? Wer diese Frage beantworten will, muss weit über den politischen Raum hinausschauen. Bei der Analyse wird auffallen, dass der einzelne Parlamentsabgeordnete – ob im Bund oder im Land – eigentlich recht wenig Einfluss hat. Hier ist die ZDF-Serie „Eichwald, MdB“, die von einem fiktiven Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Bochum II handelt, häufig näher an der Wirklichkeit, als vielen Parlamentariern lieb sein dürfte. In der Politik haben vor allem Regierungschefs, Minister und hohe Beamte, die an den richtigen Stellen in den Häusern tätig sind, Einfluss. Außerhalb der inneren Machtsysteme der Regierung gibt es zwei Gruppen, die Einfluss haben.

Gruppe 1 – Macht und Geld: Hier ist festzustellen, dass Geld alleine nicht ausreicht, um mit den inneren Kreisen der politischen Entscheider ins Gespräch zu kommen. Es braucht eine Kombination aus Geld und den richtigen Kontakten, um im entscheidenden Moment die richtige Telefonnummer wählen zu können. Ja, es gibt sie noch, die gute alte Deutschland AG. Wer hat mit wem studiert, wer sitzt im selben Aufsichtsrat, wer trifft sich am Wochenende auf dem Golfplatz? Die erst kürzlich in einer Studie des Weltwirtschaftsforums erneut kritisierte fehlende soziale Durchlässigkeit gipfelt in diesem Land in einer „Elite“, die sich untereinander kennt, und sich gerne im Clubraum über die politischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten austauscht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der „Gruppe 1“-Vertreter ein großes Unternehmen oder einen einflussreichen Verband repräsentiert. Es geht um die richtige Herkunft, den richtigen Lebensweg und die richtige Position, was auch bedeutet: nicht jedes große Unternehmen oder jeder große Lobbyverband hat automatisch Einfluss.

Gruppe 2 – Lautsprecher: Wer war eigentlich noch einmal Johanna Uekermann? An die Vorgängerin des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert erinnert sich kaum noch jemand. Erst Kühnert konnte durch sehr zugespitzte Formulierungen und seine Präsenz beim Kurznachrichtendienst Twitter eine große Bekanntheit erreichen. Die Jusos wurden plötzlich zu einem wichtigen Faktor in SPD und Öffentlichkeit. Kühnert (über 160.000), Influencer wie Sascha Lobo (740.000) oder TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf (1,8 Millionen) erreichen über Twitter eine Anzahl von Menschen, die manche professionelle Medien neidisch werden lässt. Sie alle haben Einfluss auf ihre Follower, die Medienwelt und damit wieder auf die gesamte Gesellschaft. Twitter ist damit der digitale Gegenpol zum Hinterzimmer-Clubraum mit den bequemen Polstersesseln.

Luisa Neubauer folgen auf Twitter fast 110.000 Menschen. Hier und auf der Straße, bei den „Fridays for future“-Demonstrationen, begeistert sie ihre Anhängerschaft. Ihre Bedeutung wird gar nicht zuallererst aus ihrem Engagement heraus deutlich, sondern spiegelt sich eher im Umgang anderer mit ihr wider. Da ist der Siemens-Vorstandsvorsitzende, der ihr einen Posten im Aufsichtsrat anbietet, oder auch der ehemalige CSU-Minister, der sich öffentlich fragt, ob Neubauer denn genügend „Kinderstube“ hinter sich habe, um ordentlich mit anderen umzugehen. Es sind genau die Kreise, in denen Menschen wie Neubauer, für die das „Das-haben-wir-immer-so-gemacht“-Prinzip nicht mehr gilt, stören.

Jede Gesellschaft braucht Menschen wie Luisa Neubauer, die vielleicht – noch – außerhalb des parlamentarischen Systems stehen, hinter denen sich aber Gleichgesinnte versammeln können.

Man muss die Anhänger von „Fridays for future“ nicht unbedingt die neuen 68er nennen. Aber mit ihnen gemein haben sie, dass die üblichen Kreise sie auch mit Argwohn betrachten. Auch damals begehrte unter großem Aufsehen eine junge und idealistische Generation auf. In der Retrospektive war es gut, dass es sie gegeben und sie sich die entsprechende Aufmerksamkeit erkämpft hat. 50 Jahre später sind gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse noch komplexer geworden. Respekt genießt nicht mehr automatisch derjenige, der ein Amt innehat, sondern vielmehr der, der seine Interessen klar, authentisch und kraftvoll zu artikulieren weiß. Jede Gesellschaft braucht Menschen wie Luisa Neubauer, die vielleicht – noch – außerhalb des parlamentarischen Systems stehen, hinter denen sich aber Gleichgesinnte versammeln können. Das führt automatisch dazu, dass Menschen wie sie Einfluss auf gesellschaftspolitische Prozesse ausüben können. Ein Machtüberschuss geht damit nicht einher, schließlich entscheiden letztendlich immer noch die Parlamente. Und es ist Gruppen, die die Forderungen der radikalen Klimaschützer für falsch halten, unbenommen, mit ihren Argumenten selbst in die Öffentlichkeit zu gehen und viele Menschen zu überzeugen.

Die Welt ändert sich jeden Tag, das wird vor allem der ersten oben genannten Gruppe durch Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter schmerzhaft bewusst. Unternehmen werden sich in Zukunft nicht nur daran messen lassen müssen, was sie produzieren, sondern auch, wie sie es tun. Politiker müssen ihre Positionen besser und mehr erklären als früher, weil es heute eingefordert wird. Das ist eine gute Entwicklung. Und auch der demographische Wandel ist ein Grund dafür, warum Neubauer und ihre Mitstreiter Einfluss nehmen müssen. Durch die Vielzahl der Älteren in der Gesellschaft droht dem Land in der Zukunft eine geringe Veränderungsbereitschaft und dadurch noch mehr Stillstand als bisher. Die Jugend steht auf, wehrt sich und bekommt dadurch auch Einfluss. Was sollte sie sonst tun?

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CONTRA: Die Klima-Aktivisten mögen in vielen ihrer Positionen richtig liegen. Trotzdem ist die Autorität, die ihnen in der öffentlichen Debatte verliehen wird, nicht angemessen. Die Welt geht in ihrer Komplexität über die moralische Empörung der Klimaschützer weit hinaus. Auch ein politischer Wandel ist schwerer zu bewerkstelligen, als es Luisa Neubauer, Greta Thunberg und andere vermitteln, meint Klaus Wallbaum.

Über die Absicht, die Siemens-Chef Joe Kaeser verfolgte, als er der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer einen Sitz im Aufsichtsrat eines seiner Unternehmen anbot, war viel spekuliert worden. Will er sich großzügig und gesprächsbereit zeigen gegenüber der aufmüpfigen jungen Generation? Will er Neubauer „einkaufen“ und damit mundtot machen? Oder will er sich ernsthaft auf einen Weg begeben, die Politik seines Konzerns zu erneuern – hin zu mehr Umwelt- und Klimaschutz, hin zu einer völligen Neuausrichtung in der Verantwortung für die Zukunft des Planeten?

Die Sache wurde medial hochgeschaukelt, und am Ende verließ Kaeser nicht als Gewinner den Platz. Luisa Neubauer lehnte das Angebot ab und regte stattdessen an, einen unabhängigen Wissenschaftler für das Aufsichtsgremium zu benennen. Das wiederum fand Kaeser nicht gut, aber dies allein wäre für ihn noch keine Niederlage gewesen. Als aber bekannt wurde, dass Siemens zu seinen Lieferpflichten für die Zugsignalanlage eines australischen Kohlebergwerks steht, war die Freund-Feind-Einteilung in der öffentlichen Meinung wieder einmal klar: Luisa Neubauer behauptete sich als aufrechte Kämpferin für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Kaeser entlarvte sich als das, was er in den Augen vieler Beobachter schon vorher war – ein gnadenloser Kapitalist, dem der Profit des Unternehmens über alles geht, auch über den Klimaschutz. Ist das nun gerecht?

Zu lange haben die großen Entscheidungen in der Welt allein den kapitalistischen Marktregeln gehorcht, zu lange blieben Elemente des Naturschutzes und der Bewahrung der Schöpfung ausgeklammert.

Die Welt ist komplizierter, und die Geschäftswelt ist weitgehend frei von Moral und Anstand. Dort geht es in erster Linie um Interessen. Außerhalb Deutschlands sind die Signale der öffentlichen Debatte und des politischen Verhaltens keineswegs so stark auf Klimaschutz und erneuerbare Energien geschaltet wie hierzulande. Wenn Deutschland weniger Kohle verbraucht und keine Kernkraft mehr nutzt, dann tun es viele andere Länder umso mehr und nutzen die Marktlücken. Wenn Siemens die Signalanlage nicht liefert, finden sich sicher Konkurrenten, die es tun – mit der Folge, dass Siemens der gute Ruf des verlässlichen Kaufmanns verloren geht. Das musste Kaeser abwägen, als er entschied. Aber erntet er dafür hierzulande Verständnis?

Nur allzu gern liest die mediale Welt in Deutschland von der Geschichte des bösen Kapitalisten, dem die junge Klimaaktivistin die Stirn zeigt. Sie, die Vertreterin des Volkes – und er, der Vertreter der Macht. Es geht am Ende also um Gut und Böse. Dagegen ist ja nicht einmal viel einzuwenden, denn natürlich steckt hinter dieser Konfrontation eine tiefere Wahrheit: Zu lange haben die großen Entscheidungen in der Welt allein den kapitalistischen Marktregeln gehorcht, zu lange blieben Elemente des Naturschutzes und der Bewahrung der Schöpfung ausgeklammert. Nun ist ja tatsächlich Zeit, dass sich das ändert. Die Symbolik passt hervorragend zu einer sich breit machenden politischen Erwartungshaltung in Deutschland. Oder anders gesagt: In dem Konflikt war Kaeser von vornherein der Verlierer.

Demokratische Meinungsbildungsprozesse dauern nun einmal, und das liegt vor allem an der Einbeziehung vieler Interessengruppen und an der Notwendigkeit von Kompromissen.

Bei allem Verständnis für einen nötigen Ruck, der jetzt in Richtung mehr Klimaschutz gehen muss – und für die jungen Leute, die dafür stellvertretend stehen: Im politischen System der Bundesrepublik müssen wir aufpassen, dass die Kirche im Dorf bleibt. Gern können Klima-Aktivisten die Gesetze in Frage stellen, die Repräsentanten von Politik und Wirtschaft angreifen oder in Protesten eine sehr viel entschiedenere Politik fordern. Die Grenzen werden erreicht, wo ihre Aktionen entweder Elemente von Gewalt enthalten (wie bei „Extinction Rebellion“) oder Sympathien für Öko-Diktaturen geäußert werden. Demokratische Meinungsbildungsprozesse dauern nun einmal, und das liegt vor allem an der Einbeziehung vieler Interessengruppen und an der Notwendigkeit von Kompromissen.

Für viele Politiker ist es gegenwärtig chic, die jungen Klima-Aktivisten mit Lob und Anerkennung zu überschütten. Auch dafür gibt es Gründe, denn „die Jugend“ wird in den Parteien, Verbänden und Verwaltungen schmerzlich vermisst. Man möchte alles tun, damit der rebellische Nachwuchs sich nicht völlig abwendet, also umarmt man ihn und drückt ihn ganz fest an sich. Doch daneben ist es natürlich auch berechtigt, zwei Fragen zu stellen: Wer hat die Klima-Aktivisten gewählt, inwieweit sprechen sie tatsächlich für eine größere Gruppe. Und: Ist ihre Bewegung tatsächlich Ausdruck von idealistischer Basis-Demokratie, oder stecken auch dahinter Gruppen, die lenken und steuern? Verbirgt sich hinter ihrer Moralität ein Show-Element?

Die Sympathie für Luisa Neubauer und ihre Kollegen ist ja nachvollziehbar – und doch muss man aufpassen, dass sich in den aufgeregten politischen Zeiten nicht all jene ausgegrenzt, gering geschätzt, missachtet oder abgewertet fühlen, die eben über ganz viele Jahre den Weg der kleinen, mühsamen Erfolge beschritten haben. Auch jene, die nicht erst einmal den lauten Aufschlag gewagt haben, sondern von Anfang an auf Ausgleich, Kompromiss und Gespräch gesetzt haben, sind in vielen politischen Fragen erfolgreich gewesen.

Wenn nur noch die Lauten, die Kompromisslosen und die Anmaßenden das Sagen haben im öffentlichen Diskurs, dann droht das ausgewogene System der Meinungsbildung in der Demokratie Schaden zu nehmen. Dann wird irgendwann nicht über Gesetze gesprochen, mit denen die mühsamen und umständlichen Planungsverfahren beschleunigt werden können – dann redet man gleich darüber, dass die wichtigen Aufgaben der Zeit mit dem Modell von Interessenausgleichen in Parlamenten gar nicht angemessen erfüllt werden könnten. Dann ist das Bekenntnis wichtiger als die Erkenntnis – und die Zeit der Öko-Diktatur ist gekommen.

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