20. Mai 2019 · 
Kommentar

Soll man Wahlplakate mit rechtsradikalen Parolen künftig verbieten und abhängen?

Der Wahlkampf geht in seine Schlussphase, und viele Beobachter bezeichnen ihn als „langweilig“. Immer wieder allerdings tauchen Plakate, Transparente und Flugblätter auf, in denen gegen bestimmte Gruppen gehetzt wird und Vorbehalte geschürt werden. Muss man dagegen vehement und radikal einschreiten? Die Rundblick-Redaktion streitet über dieses Thema.

PRO: Die Grenzen der Meinungsfreiheit müssen beachtet werden. Intoleranz darf man nicht tolerieren. „Demokratie darf die Demokratie nicht abschaffen“, meint Niklas Kleinwächter.

In diesen Tagen nähern wir uns zwei Ereignissen, die für unsere Demokratie von großer Bedeutung sind: Am kommenden Donnerstag jährt sich zum 70. Mal der Tag der Unterzeichnung unseres Grundgesetzes. Und am Sonntag darauf wählen wir ein neues Europäisches Parlament. In dieser Phase, in der Gedenken und Wahlkampf zusammentreffen, stellt sich immer wieder die Frage: In welcher Verfassung befindet sich eigentlich unsere Demokratie? Die Diskussion über hetzerische Wahlplakate und die Frage, ob man diese abhängen sollte, wird da zum Kristallisationspunkt. Ist unsere Demokratie so stark, dass sie solche Plakate aushalten kann? Oder zeichnet sich die Stärke unserer Demokratie nicht viel eher dadurch aus, dass sie solche Plakate nicht toleriert? Der demokratische Rechtsstaat ist in der Lage, diese Spannung zu ertragen und sowohl die Meinungsfreiheit zu garantieren als auch Wahlplakate abzuhängen – wenn es sein muss. Unser Grundgesetz sichert in Artikel 5 die freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild zu. „Eine Zensur findet nicht statt.“ Darunter fällt selbstverständlich auch die Meinungsäußerung auf Wahlplakaten. Für den politischen Wettbewerb ist diese unerlässlich. Schließlich kann so jeder Wähler sehen, wofür die Parteien stehen oder zumindest: wie sie gerne gesehen werden wollen. Natürlich muss die freie und offene Gesellschaft die Meinungsäußerungen auch derjenigen verteidigen, mit denen sie nicht übereinstimmen.

Der demokratische Rechtsstaat ist in der Lage, sowohl die Meinungsfreiheit zu garantieren als auch Wahlplakate abzuhängen.


Artikel 5 verweist aber auch auf Schranken der freien Meinungsäußerung. Werden Wahlplakate missbraucht, um Einzelne in ihrer Ehre zu verletzen, zu Straftaten aufzurufen oder um öffentlich gegen andere Gruppen zu hetzen, ja tatsächlich Volksverhetzung zu betreiben, dann sind diese Grenzen erreicht. „Das ist die Verschiebung des Sagbaren in Richtung Volksverhetzung und ein Angriff auf die Staatsraison“, sagte deshalb zum Beispiel die hannoversche Landessuperintendentin Petra Bahr über die Wahlplakate der Partei „Die Rechte“. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes, derer dieser Tage oft gedacht wird, wollten eine wehrhafte Demokratie. Die Demokratie muss nicht alles erdulden – vor allem nicht das, was ihre Grundfeste tangiert. Dieser Anspruch ist edel und eine große Herausforderung zugleich. Denn schnelle Entscheidungen fallen in diesem Spannungsfeld naturgemäß schwer, weil es viele vermeintliche Widersprüche gibt: Intoleranz etwa darf nicht toleriert werden; Demokratie darf Demokratie nicht abschaffen. Unsere Demokratie lebt also davon, dass es trotz der Meinungsfreiheit auch Dinge gibt, die nicht gesagt werden dürfen. Nun stellt sich natürlich die Frage: Wer entscheidet denn, was konkret auf Wahlplakaten stehen darf und was nicht? Sicher ist, dass es nicht die Entscheidung von Einzelpersonen sein kann, wo genau die Grenzen der freien Meinungsäußerung verlaufen. Es darf nicht darum gehen, welche Gruppe am lautesten protestiert oder die stärkeren Unterstützer hinter sich hat. Und auch in einer Amtsstube im Rathaus wird nicht entschieden, welche Parole erlaubt ist, und welche nicht. Für den Schutz unserer Grundordnung haben wir klar definierte Regeln und Institutionen, die über die Einhaltung derselben wachen. So ist das rechtsstaatliche Urteil die Grundlage für jedes Verbot. Die klaren Schranken des Artikel 5 werden durch Gesetze geregelt und über die Einhaltung der Gesetze entscheiden Gerichte. Ein Verbot von Plakaten kann deshalb nicht leichtfertig getroffen werden. Dafür sind unsere Grundrechte zu wichtig. Was nun für Unmut sorgen kann, ist vielleicht die Dauer der gerichtlichen Überprüfung. Was nützt ein Verbot, wenn der Wahlkampf schon vorbei ist, bevor das Urteil kommt? Der demokratische Rechtsstaat muss nicht jedes Wahlplakat erdulden – gründliche Überprüfungen aber schon. Mail an den Autor des Kommentars
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CONTRA: Die scharfe Auseinandersetzung der verschiedenen Positionen belebt den politischen Wettstreit. Deshalb sollte man nicht erschrocken zurückweichen, wenn Grenzen überschritten werden, meint Klaus Wallbaum.

Der oft zitierte Satz von Kurt Tucholsky, wonach Satire „alles darf“, wird in der politischen Auseinandersetzung missbraucht. Was fällt noch unter Satire – und wo beginnt das Agieren politischer Organisationen? Die Trennungslinie ist heutzutage nicht mehr klar zu ziehen. Rechtsextreme Gruppen versuchen eine Tabuverletzung, indem sie sich mit ironischen Bemerkungen und Betrachtungen in den künstlerischen Bereich der Satire begeben – aber gleichzeitig politische Ziele verfolgen und Propaganda für ihre Gruppierung betreiben. Daneben gibt es Organisationen, die ganz offensichtlich die satirische, nicht ganz ernste Betrachtung des politischen Geschehens zum Wesen ihrer Arbeit erklären. Die Partei namens „Partei“ beispielsweise tritt gern so auf. Wenn sie dann an die Laternenpfähle Wahlplakate befestigt mit der Aufschrift „Hier könnte ein Nazi hängen“ – ist das dann von der Kunstfreiheit gedeckt oder Hetze gegen eine Minderheit, in diesem Fall eine rechtsextreme Minderheit? Die Unterscheidung zwischen der Kunst und der Politik führt also nicht weiter. Wenn es um die Grundregeln des politischen Diskurses geht, im Anbetracht eines immer schärferen Umgangstons in den sozialen Medien, sollten ein paar Leitlinien beachtet werden. Die erste lautet: Wer Wahlkämpfe und den politischen Meinungswettstreit als Vorwand dazu nutzt, menschenverachtende und diskriminierende Botschaften auszusenden, sollte gestoppt werden. Die Grenze ist dort, wo Minderheiten angegriffen und beschimpft werden – also beispielsweise mit antisemitischen Parolen. Plakate und Flugschriften mit solchen Inhalten gehören nicht in die Öffentlichkeit, sie sollten notfalls verboten und abgehängt werden.

Leider ist es zur Unsitte geworden, bestimmten Gruppierungen das Auftreten und Werben um Unterstützung generell versagen zu wollen – oder sie zumindest nachhaltig zu stören.


Die zweite Leitlinie muss dann aber auch heißen: Jenseits dieses Tabus muss vor allem in Wahlkampfzeiten eine deutliche Zuspitzung und auch Provokation gestattet sein. Es muss hingenommen werden, wenn eine – nicht verbotene – rechtsradikale Partei wie die NPD auf die angebliche „Massenzuwanderung“ schimpft, ebenso darf die linksradikale MLPD das Agieren des Diktators in Venezuela verherrlichen oder zur Rebellion in Deutschland aufrufen. Wenn in einem Werbespot der NPD der Eindruck vermittelt wird, die Partei bilde künftig eine Schutzgruppe aus kräftigen Männern, die Polizeiaufgaben übernehmen, dann mag das ältere Zuschauer verschrecken und Erinnerungen an die SA wecken. Aber im Wahlkampf muss das erlaubt sein – offenbart es doch unfreiwillig, welche Gedankengänge oder Pläne in dieser extremistischen Partei vorhanden sind. Leider ist es zur Unsitte geworden, bestimmten Gruppierungen das Auftreten und Werben um Unterstützung generell versagen zu wollen – oder sie zumindest nachhaltig zu stören. Dieses Verhalten ist leider gerade auf der extremen politischen Linken stark ausgeprägt. Warum beispielsweise werden Parteitage der AfD blockiert, warum werden Protestaktionen organisiert, wenn sich AfD-Mitglieder zu ihren regelmäßigen Veranstaltungen treffen? Gern wird dies begründet mit Aussagen einzelner Politiker, die sich nationalistisch und rassistisch geäußert haben, oder auch mit anstößigen Formulierungen in Programmen der Partei. In der politischen Auseinandersetzung sollte eine harte verbale Reaktion auf undemokratische und inhumane Denk- und Ausdrucksweisen angebracht sein, sie ist sogar in aller Schärfe und Deutlichkeit erforderlich. Aber der Versuch, den politischen Gegner zu blockieren oder ihn an der Ausübung seiner Versammlungsrechte zu behindern, ist inakzeptabel. Nicht alle Wahlkämpfe sind langweilig – und die besten Wahlkämpfe sind sogar solche, die politische Menschen mitziehen, begeistern und zum Mitmachen animieren. Dabei muss es zugespitzt und polarisierend zugehen. Wir leben in einer merkwürdigen Zeit: In sozialen Netzwerken verlieren viele Menschen ihre Hemmungen, wenn sie über Andersdenkende urteilen. Aber gleichzeitig wird auf Meinungsäußerungen von Gruppierungen, die nicht der eigenen Linie entsprechen, gern mit der großen Keule der moralischen Empörung geantwortet. Was wir hier auf jeden Fall brauchen, ist mehr Gelassenheit auf allen Seiten – und mehr Bereitschaft, den anderen zu ertragen. Mail an den Autor des Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #094.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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