28. Sept. 2017 · 
Inneres

Soll das Land den armen Kommunen gezielt helfen – oder doch lieber allen Kommunen?

Wenige Tage vor der Landtagswahl deutet sich in der Innen- und Finanzpolitik ein Grundsatzkonflikt zwischen der SPD und der CDU an. Es geht um die Frage, wie das Land künftig die Investitionstätigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden unterstützen soll. Ministerpräsident Stephan Weil und Innenminister Boris Pistorius (beide  SPD) haben am gestrigen Donnerstag viele Vertreter von Kommunal- und Landesverwaltung zu einer Konferenz nach Hannover eingeladen. Bei der Gelegenheit stellte Weil sein Modell eines neuen Investitionsprogramms vor, das die SPD im Fall der Fälle in Koalitionsverhandlungen einbringen will. Gleichzeitig verkündete CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann seine Idee einer Unterstützung kommunaler Investitionen: Der Anteil der Landes-Steuereinnahmen, der in den Topf des „kommunalen Finanzausgleichs“ fließt, soll kräftig erhöht werden um rund 200 Millionen Euro jährlich. Wie unterscheiden sich diese Modelle? Nach Darstellung von Weil soll sein Programm so funktionieren: Die Kommunen, die eine unterdurchschnittliche Steuerkraft haben, überdurchschnittlich viele Überbrückungskredite nutzen und vom demographischen Wandel besonders betroffen sind, weil sie eine besonders schrumpfende oder wachsende Bevölkerung haben, sollen Landeshilfen nutzen können. Diese Hilfen sehen so aus, dass die Kommunen Kredite aufnehmen – und zwar im Umfang von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro – und das Land die Zins- und Tilgungslast dafür trägt, gestreckt womöglich über mehrere Jahrzehnte. Die jährliche Belastung des Landeshaushalts würde wohl weniger als 100 Millionen Euro betragen. Nach Aussage des Ministerpräsidenten soll die Landesregierung „einen sehr weiten Rahmen“ für die Mittelverwendung setzen. So könne vorgeschrieben werden, dass Investitionen in neuen Straßen, Sportanlagen oder Schienenstrecken bestehen müssen. „Entscheiden muss aber die kommunale Selbstverwaltung“, hob Weil hervor. Die Kommunalaufsicht werde keinen Strich durch die Rechnung machen, da jede Kreditaufnahme ja der Wertsteigerung diene. „Die Details müssten mit den Kommunalverbänden besprochen werden“, fügte der Regierungschef hinzu. Die Variante der CDU sieht anders aus: Der Anteil an bestimmten Steuereinnahmen des Landes, der den Kommunen für den „kommunalen Finanzausgleich“ zufließt, soll von 15,5 auf 16,09 Prozent angehoben werden – das könnten jährlich bis zu 200 Millionen Euro zusätzlich sein. Da es um den Finanzausgleich geht, profitieren ärmere Kommunen von der Steigerung etwas stärker als die reicheren, aber alle werden berücksichtigt. Es gäbe dann auch keine – wenn auch weit gefasste – Vorgaben des Landes, wie das zusätzliche Geld ausgegeben werden soll. In der Veranstaltung der Landesregierung zu diesem Thema ließ Uwe-Peter Lestin (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Schwülper (Kreis Gifhorn) stärkere Sympathien für das CDU-Modell erkennen, als er sagte: „Ich frage mich, wann wir endlich so viel Geld des Landes für die Gemeinden zur Verfügung haben, dass diese ihre Angelegenheiten frei von Vorgaben des Landes erledigen können.“ In der Kommunal-Konferenz wurde deutlich, wie ausgeprägt die Unterschiede der Kommunen in Niedersachsen sind. Birgit Frischmuth vom Deutschen Städtetag erklärte, dass die Entschuldungshilfen der Länder – auch in Niedersachsen – die Sorgen in den Rat- und Kreishäusern verringert hätten. Richtig nachhaltig und langfristig sei diese Unterstützung jedoch nicht. Auf der anderen Seite seien die Banken in den zurückliegenden Jahren teilweise verunsichert gewesen, ob sie armen Kommunen überhaupt noch neue Darlehen gewähren sollten. Zwar sei die Haftung in solchen Fällen nicht ausdrücklich geregelt, aber es gebe in der Praxis ein „bündisches Prinzip“ – alle Bundesländer hätten signalisiert, ihre Gemeinden nicht im Regen stehen zu lassen. Derartige Debatten müssten in Niedersachsen besonders aufmerksam verfolgt werden, denn der Investitionsrückstau sei hier besonders hoch. In bayerischen Kommunen werde 517 Euro je Einwohner und Jahr von den Kommunen investiert, in niedersächsischen nur 294 Euro. Hinrich Holm, Vize-Vorstandschef der Nord/LB, riet den Kommunen sogar, neue Finanzierungswege zu nutzen – so etwa Schuldscheine zu verschreiben. Anbieter solcher Produkte seien bereit, Gemeinden und Kreise zu unterstützen, allerdings nur dann, wenn diese auch offen eine Vision aufzeigen, wohin sie sich entwickeln und was sie anstreben wollten. Nach den Worten von Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) wird in den Kommunalverbänden gerade heftig diskutiert, ob man die bestehenden Verbindlichkeiten wegen der drohenden Zinserhöhungen jetzt in langfristige Kredite umwandeln oder lieber die Finger von solchen Aktionen lassen soll. Unabhängig von Weils Idee eines Investitionsprogramms steht die SPD nach Aussage von Innenminister Boris Pistorius dazu, auch in anderer Form einzugreifen, wenn Kommunen in Schwierigkeiten kommen sollten. „Helfend und unterstützend“ wolle man Gemeinden und Kreise begleiten, die bereit sind, mit Nachbarkommunen zu fusionieren. „Wir wollen Kommunen ermutigen, diesen Weg zu gehen“, betonte Pistorius und lobte den Erfolg des Entschuldungsprogramms, das 2009 noch vom damaligen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gestartet worden war. Die ganz armen Gemeinden, die aus eigener Kraft nicht auf die Beine kommen, waren zunächst nicht dabei, das holte Rot-Grün später dann mit einem „Stabilisierungsprogramm“ noch nach. Die langfristigen Lasten, die sich aus dem Programm ergeben und ähnlich geregelt sind wie bei Weils neuem Programm, würden bis zum Jahr 2040 abbezahlt, aber Pistorius sieht spürbare Erfolge dieser Politik der Kombination von Finanzhilfen, Sparauflagen und Fusionsanreizen: 21 Gebietsänderungen von Kommunen habe es gegeben, 15 Fusionen (vorwiegend von kleinen Gemeinden und Samtgemeinden). Zwei Kreise, Osterode und Göttingen, sind verschmolzen. „Das war vor allem deshalb richtig, weil Osterode als eigenständiger Kreis keine Zukunftsaussichten mehr gehabt hätte“, sagt Landrat Bernhard Reuter (SPD). Der Bestand an Kassenkrediten der Kommunen, die eigentlich nur zur Überbrückung dienen sollten, ist landesweit von 2011 bis heute von 5,5 auf 2,3 Milliarden Euro gesunken. Kommunalfusionen hätten jetzt „eine Eigenbewegung“, meint der Innenminister. Für ihn eine Erfolgsgeschichte. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #171.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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