„Signal von Hannover“: Prantl fordert linke Sammlungsbewegung
Ein „Signal von Hannover“ wollte der Publizist und langjährige Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, bei seinem Besuch in der niedersächsischen Landeshauptstadt am vergangenen Freitag aussenden: Die politisch links stehenden Kräfte in Deutschland, Prantl nannte sie „die Freunde des Rechtsstaats und Gegner des Populismus“, sollten sich aufraffen und eine neue Bewegung gründen. Im Wesentlichen sieht er zwei Ziele als wichtig an: Erstens gehe es darum, gegen die um sich greifenden nationalistischen und grundrechtsfeindlichen Haltungen anzugehen – auch in Deutschland.
„Es ist kein Naturgesetz, dass im Osten des Landes 25 Prozent eine Partei wie die AfD wählen“, betonte Prantl. Zweitens müssten die unter Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften erkennen, dass sie „eine neue Utopie brauchen“. Sie sollten sich in „transnationale Nicht-Regierungsorganisationen“ verwandeln und ein Selbstverständnis als „Kampforganisationen gegen die Repression durch digitale Profiteure“ entwickeln. „Bei den Veränderungen, die uns bevorstehen, reicht eben ein bisschen Bastelei an der Arbeitszeitverordnung nicht aus.“
Prantl geißelt Auftreten von Populisten
Prantl trat vor mehr als 300 Gästen, vorwiegend Vertretern des linken Spektrums und Sozialdemokraten, als Hauptredner auf. Veranstalter waren die Friedrich-Ebert-Stiftung, das „Forum für Politik und Kultur“, das Verdi-Bildungswerk und die Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“. Das vorweihnachtliche Treffen stand unter dem Leitgedanken der „Solidarität“. Wie Arno Brandt vom „Forum für Politik und Kultur“ erklärte, gebe es für die linken Kräfte derzeit „Rückenwind vom SPD-Parteitag“, vor allem im Hinblick auf sozialpolitische Forderungen. Urban Überschär von der Friedrich-Ebert-Stiftung meinte, wichtig sei die Klärung der Frage, mit wem man sich solidarisch zeigen müsse und mit wem nicht. Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des DGB, grenzte Solidarität vom Begriff des Kollektivismus ab – das eine meine den Zusammenhalt zur Sicherung von Vielfalt, das andere ziele auf eine Vereinheitlichung und Unterordnung ab.
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Der Hauptredner Prantl geißelte zunächst das Auftreten populistischer Kräfte, wie sie vor allem mit Trump in den USA, Kaczynski in Polen und Bolsonaro in Brasilien ihren Ausdruck finden. Sie zielten darauf ab, die Ängste der Menschen zu verstärken und gegen Minderheiten zu mobilisieren. Sie machten das demokratische System verächtlich, beseitigten Bürgerrechte und gefährdeten den internationalen Frieden. Jemand wie Trump seien Verträge und Absprachen egal.
„Er leugnet alles, was ihm nicht passt.“ Dagegen ruft Prantl nun „zu einem kleinen Widerstand“ auf. Das könnten Demonstrationen und Kundgebungen sein oder auch Sitzblockaden. Der „kleine Widerstand“ sei nicht gewalttätig, sondern symbolisch – und er werde „in der Demokratie gebraucht um zu verhindern, dass eines Tages wieder ein großer Widerstand nötig wird“.
Die Gegner der populistischen Extremisten sollten nach Prantls Meinung in der Form durchaus auch populistisch auftreten – nämlich „mutig, zornig, pointiert und volkstümlich“, sie sollten „an Kopf und Herz appellieren“ und „die Emotionen nicht nur den anderen überlassen“. Aber sie müssten es vermeiden, niedere Instinkte der Menschen anzusprechen.
Gewerkschaften sollen Widerpart sein gegen die Digitalkapitalisten sein
Anleihen nimmt Prantl am hannoverschen Soziologen Oskar Negt, der die Utopien als „realistisch in Zeiten des Umbruchs“ bezeichnet habe und aus der „Verneinung des Vorhandenen“ eine „Entschlossenheit zum Wenden“ der Verhältnisse abgeleitet habe. Mit der Digitalisierung löse sich die klassische Industriearbeiterschaft, die durch ihre starke Solidarität im Betrieb ausgezeichnet habe, immer stärker auf. Viele einzelne Crowd-Arbeiter und Clickworker seien als einzelne und nicht vernetzte Arbeitskräfte den oft anonymen Auftraggebern ausgeliefert, die Grenzen zwischen Arbeitnehmer und Selbstständigen verwischten – und schleichend verlören die Beschäftigten ihre Rechte.
Die Gewerkschaften sollten dem mit einer „neuen Vision“ gegenübertreten – indem sie international für Mindeststandards eintreten und kämpfen. „Vier-Tage-Woche, 30-Stunden-Woche, gesicherte Arbeitszeiten und Altersteilzeit sollten Standards sein“, sagt Prantl. Die Gewerkschaften müssten „Widerpart sein gegen die Digitalkapitalisten“. In der SPD, sagt der Publizist, sehe er inzwischen wieder einige hoffnungsfrohe Ansätze in diese Richtung. Die SPD sei ohnehin diejenige Partei, die „so lange, so heftig und so katastrophal heruntergeredet“ worden sei wie keine andere. Das sei nicht grundlos geschehen – „es wurden gewaltige Fehler gemacht, in Hannover muss ich das nicht näher erläutern“.
Jetzt aber setze er auch auf die SPD, denn der von ihm gewünschte „kleine Widerstand“ sei auch deshalb nötig, weil sich „die lähmende Angst vor den populistischen Extremisten in produktive Sucht verwandeln“ müsse. Prantl ist dabei ein Anhänger einer visionären Politik, denn ein Fehler der demokratischen Politiker sei gegenwärtig, dass sie „die Hoffnung auf eine Vision nicht befriedigen können“.