Schwerter oder Pflugscharen? Kirchen ringen um Haltung zu Waffenlieferungen
Können Christen Waffenlieferungen gutheißen? Der russische Angriffskrieg fordert den Pazifismus vieler Kirchenvertreter und Theologen heraus. Während die katholischen Geistlichen die Unterstützung der Ukrainer mit Waffen aus Deutschland befürworten, hadern die protestantischen Christen deutlich stärker mit dieser Position. Bereits Anfang März haben sich die katholischen Bischöfe in Deutschland dahingehend geäußert, dass Waffenlieferungen an die Ukraine gerechtfertigt seien. In einer gemeinsamen Erklärung der Bischofskonferenz heißt es: „Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, halten wir deshalb für grundsätzlich legitim.“
Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erläuterte der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer kürzlich, dass der katholische Katechismus aus dem Jesus-Wort „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ ableite, dass der einzelne Mensch das Recht auf Notwehr habe, wenn er angegriffen wird. „Menschen, die Verantwortung für viele andere tragen, haben sogar ‚die schwere Pflicht der Verteidigung‘ – und zwar notfalls auch unter Einsatz von Gewaltanwendung“, sagte der Theologe. Er grenzte zwar ein, dass die „Gewaltanwendung abgewogen sein, klug und maßvoll eingesetzt werden“ müsse. Er bekannte aber auch deutlich, dass die Kirche es nie dulden könne, „wenn geplündert und gemordet wird, wenn Frauen vergewaltigt werden“. Gewaltanwendung zur Verteidigung sei ein Übel, das ein größeres Übel abwenden soll, so Wilmer im Rundblick-Interview. Erst am vergangenen Wochenende erklärte die Apostolische Nuntiatur in Kiew, dass der Vatikan Waffenlieferungen an die Ukraine nicht grundsätzlich ablehne, sondern jedem Land das Recht auf Selbstverteidigung zugestehe.
Käßmann: „Ich als Christin bin gegen Waffenlieferungen“
Gänzlich anders positionierte sich erst am vergangenen Sonntag die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann. In ihrer Kolumne in der Bild am Sonntag schrieb sie: „Ich bin als Christin und Pazifistin gegen Waffenlieferungen.“ Allerdings brachte sie auch zum Ausdruck, dass diese Haltung sie nicht frei von Schuld mache: „Auch dadurch können Menschen sterben“, schrieb die Theologin.
Differenzierter äußert sich ihr Nachfolger an der Spitze der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister. Gegenüber dem Politikjournal Rundblick sagte Meister: „Gewalt ist keine Lösung, dabei bleibe ich. Aber der begrenzte Einsatz von Gewalt ist dann gerechtfertigt, wenn es sich um rechtserhaltende Gewalt handelt.“ In einem Krieg wie in der Ukraine sei rechtserhaltende Gewalt legitim, wenn eine Reihe von ethischen Kriterien erfüllt sind, neben anderen die Abwehr eines evidenten Angriffs und der unmittelbare Schutz des Lebens von Menschen, so Meister. Weiter verwies er auf eine EKD-Denkschrift von 2007: „Wenn ich mich nach genauer ethischer Abwägung für den Einsatz von rechtserhaltender Gewalt entschieden habe und durch mein Handeln Leben bedroht oder vernichtet wird, befreit mich das nicht von dem Risiko, schuldig zu werden. Krieg kann nie gerecht sein und Gewalt wird nie zu wirklichem Frieden führen.“
Meisters Amtskollege Thomas Adomeit, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg, beschrieb die Lage gegenüber dem Politikjournal Rundblick als Dilemma. „Jedes Land hat das Recht auf Selbstverteidigung“, sagte er, mahnte aber: „Bei der Frage nach Waffenlieferungen in ein Krisengebiet sind in der Bundesrepublik Diskussionsschritte übersprungen worden.“
Kramer: „Militärausgaben sind tote Ausgaben“
Wiederholt äußerte sich in den vergangenen Wochen auch der neue Friedensbeauftragte der EKD. Friedrich Kramer, Bischof der Mitteldeutschen Kirche und seit Ende Januar neu im Amt des Friedensbeauftragten, sprach sich noch Anfang Februar, also einige Wochen vor dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine, gegen Waffenlieferungen aus.
„Waffen können kein Teil der Lösung sein, sie würden eher zu einer Eskalation des Konfliktes führen“, sagte er damals und mahnte, man müsse die Sicherheitsinteressen Russlands nüchtern in den Blick nehmen. Am 7. März dann kritisierte Kramer die geplante Erhöhung des Wehretats. „Militärausgaben sind tote Ausgaben“, sagte er dem evangelischen Pressedienst (epd) und forderte, man solle die Hälfte des Wehretats in Entwicklungsprojekte investieren. Kramer begrüßte gleichzeitig, dass die Weltgemeinschaft Putins Rechtsbruch klar verurteilt habe. „Damit wird Putin zum Kriegsverbrecher – und alle, die ihn tragen.“
Zur selben Zeit äußerte sich die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus abwägender. So zeigte sie Verständnis für Waffenlieferungen, mahnte aber Zurückhaltung an. Ihre Sorge sei es, dass die Waffenlieferungen den Krieg bloß weiter anheizten. Allerdings gestand sie den Ukrainern zu, ihr Land zu verteidigen und sagte in Anspielung auf dem der Bibel entlehnten Leitspruch der christlichen Friedensbewegung: „Wer bin ich, ihnen ins Gesicht zu sagen, sie sollten dazu Pflugscharen benutzen.“
Dieser Artikel erschien am 12.04.2022 in der Ausgabe #069.
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