13. März 2023 · 
Bildung

Schulexperten diskutieren: Korrigiert künftig die künstliche Intelligenz die Klassenarbeiten?

Um zugespitzte und deutliche Aussagen ist der Kieler Psychologie-Professor Olaf Köller nicht verlegen. „Die künstliche Intelligenz kann bestimmte Aufgaben so gut machen wie der Mensch – wenn sie vorher richtig trainiert wurde“, sagt er beim Bildungsforum des Kultusministeriums am Montag.

Psychologie-Professor Olaf Köller diskutiert mit dem Publikum über das Gutachten. | Foto: Klaus Wallbaum

Die spannende Frage also, wer künftig die Klausuren und die Schularbeiten der Schüler kontrolliert, könne auch mit „der Computer“ beantwortet werden. Köller sieht das zumindest so, auch wenn in dem Gutachten der „Ständigen Wissenschaftlichen Kommission“ (SWK) der Vorschlag etwas anders formuliert wurde. Dort war erwähnt worden, man könne das Korrigieren der Arbeiten den Lehramtsstudenten übertragen. Leitgedanke ist dabei, die Lehrer von diesen Tätigkeiten zu entlasten – damit sie mehr Kraft in den Unterricht als solchen stecken können.

Als Vorsitzender der SWK hat Köller seine Thesen am Montag mit rund 200 Vertretern von Verbänden und Mitarbeitern der Schulverwaltung diskutiert. Dabei betonte er, dass die SWK ein unabhängiges Expertengremium ist, das im Auftrag der Kultusministerkonferenz Vorschläge entwickelt hat – aber nicht in deren Stellvertretung. Maßgabe sei dabei gewesen, angesichts des Fachkräftemangels die jetzt schon tätigen Lehrer zu halten und zu motivieren, freiwillig länger zu arbeiten, Arbeitszeiten auszudehnen oder ihren Unterrichtseinsatz effektiver zu machen. Das SWK-Gutachten spricht von einer Begrenzung der Möglichkeiten von Altersteilzeit oder auch von der Aufstockung von Teilzeitanträgen, von mehr ausländischen Lehrern, von einer Weiterqualifizierung von Quereinsteigern, vom Neueinstieg pensionierter Lehrer, vom Hybridunterricht in Oberstufen und von dort auszuweitenden „Selbstlernzeiten“, sowie auch von höheren Klassenfrequenzen, also mehr Schülern je Klasse. Auch die Zusammenlegung kleiner Grundschulen in ländlichen Gegenden sei ein möglicher Weg. Man könne zudem prüfen, ob man Gymnasiallehrer befristet einsetzt in Grundschulen, da dort der Mangel viel stärker sei.

Professor: Höchstzahl der Kinder je Klasse sollte ausgeschöpft werden

Köller bekennt, dass er die Reaktion auf die erste Veröffentlichung dieser Ideen unterschätzt hat: „Es ist doch heute schon üblich, dass Oberstufenschüler Phasen der Selbst-Aneignung von Unterrichtsstoff haben. Das gehört sogar zum Sinn der Bildung. Aber wenn man das als Vorschlag ausspricht, wird der Hohn und Spott der ganzen Republik über einen ausgegossen“, sagt der Professor. Einen anderen seiner Vorschläge, nämlich die Klassenfrequenzen zu erhöhen, schwächt Köller gleich wieder ab: „Es geht nur um die Ausschöpfung der vorgeschriebenen Höchstzahl der Kinder je Klasse – und nicht darum, diese Zahl noch anzuheben.“ Und bei einer Anhebung der Unterrichtsverpflichtung für Teilzeitkräfte gehe es nicht pauschal um zwei Stunden je Woche für jeden – sondern um individuelle Regeln, die im engen Zusammenhang mit der Entlastung an anderer Stelle stehen müssten.

„Es ist doch heute schon üblich, dass Oberstufenschüler Phasen der Selbst-Aneignung von Unterrichtsstoff haben. Das gehört sogar zum Sinn der Bildung.“

In der Diskussion ertönen Widerworte: Der Sprecher des Schulleitungsverbandes vermisst Vorschläge zur Entlastung der Lehrer, das sei lange versprochen und bisher nicht eingehalten worden. Der Vertreter eines Gesamtschullehrerverbandes beklagt die Vielfalt an verschiedenen Lehrerausbildungen und das dreigliedrige Schulsystem, das binde viele Kräfte und Mittel. Eine Mitarbeiterin der Regionalen Schulbehörde Osnabrück schlägt vor, den Schulen mehr Organisationsfreiheit zu geben – auch zu Klassengrößen, Unterrichtszeiten und Raumbedarf. Ein anderer empfiehlt die völlige Abschaffung von Lernkontrollen. Köller hält dagegen: Reformen der Lehrerausbildung brächten erfahrungsgemäß ganz wenig – entscheidend sei vielmehr das kollegiale Miteinander in den Lehrerkollegien. „Wenn sie fragen, wie zufrieden der Mitarbeiter eines Schlachtbetriebes mit seiner Arbeit ist, dann geht es um Sport, soziales Miteinander und die Achtsamkeit im Umgang untereinander. Er wird nicht zufriedener werden, wenn er zwei Schweinehälften am Tag weniger zerlegt.“ Auch die allgemeine Klage, dass „die Attraktivität des Lehrerberufes nachgelassen“ habe, teilt Köller nicht. „Dazu gibt es keine wirklich gesicherten Erkenntnisse.“ Kultusministerin Julia Hamburg sagt, genügend Ausbildungskapazitäten für Grund-, Haupt- und Realschullehrer gebe es, nur müsse man prüfen, wie man mehr geeignete Interessenten dafür finde – und wie man vermeide, dass Lehramtsstudenten während des Studiums oder kurz danach den Beruf aufgeben.



Dramatische Mängel bei Deutsch und Mathe: Prof. Köller stellte noch eine andere SWK-Studie vor, nämlich zu den Kompetenzen der Viertklässler. Der Vergleich der Kompetenz von Schulabgängern der vierten Klasse zwischen 2011 und 2021 zeigt gravierende Unterschiede: Heute zeigen 20 Prozent von ihnen große Schwächen bei Lesen, Rechnen und Schreiben – vorwiegend sind es Kinder aus sozial schwachen Familien und aus Migrantenfamilien. Ebenso hätten ein Fünftel der 7- bis 10-Jährigen heute psychische Auffälligkeiten. Vor allem diese Kinder, nicht jedoch alle Kinder seien angewiesen auf soziale Interaktion der Lehrer und der Gleichaltrigen. Köller empfiehlt daher, Förderangebote vor allem auf jene Schulen zu konzentrieren, die einen hohen Anteil derart schwacher Schüler haben – und nicht gleich alle Schulen mit ausgedehnter Lehrerbetreuung auch am Nachmittag zu bestücken. Der Lernrückstand der 20 Prozent schwachen Schüler betrage ein halbes Jahr, verglichen mit den Daten von 2011, die sehr viel positiver ausgefallen seien. Das hieße dann auch, dass diese Kinder später Mühe haben, in der fünften Klasse den Anschluss zu finden.

Dieser Artikel erschien am 14.3.2023 in Ausgabe #047.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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