Schlamperei oder Überforderung? Kreis Holzminden nach Vergewaltigung unter Druck
Ist eine schlimme Tat nur geschehen, weil im Landkreis Holzminden geschlampt wurde? Am vergangenen Wochenende hat der 34-jährige Marokkaner Adil B. in einer Hamburger Bar eine Frau vergewaltigt, er kam in Untersuchungshaft. Nun wird klar: Eigentlich hätte man den Mann schon seit Monaten abschieben sollen, denn er war bis Oktober wegen eines Einbruchs in Hamburg in Untersuchungshaft. Da aber der für seinen Aufenthalt zuständige Kreis Holzminden es versäumte, ihn nach Ablauf der Haft aus Hamburg abzuholen, die Abschiebehaft zu beantragen und ihn festzusetzen, konnte sich der Mann wieder frei bewegen – und die Frau in Hamburg missbrauchen. Den Vorwurf, wegen eigener Versäumnisse die spätere Vergewaltigung erst möglich gemacht zu haben, weist die Holzmindener Kreissprecherin Marie-Luise Niegel gegenüber dem Rundblick zurück: „Ich glaube nicht, dass wir eine ausreichend lange Abschiebehaft erreicht hätten, um tatsächlich die nötigen Papiere für seine Ausweisung zu bekommen.“
Der Fall spielte am Donnerstag auch im Landtag eine Rolle, die Opposition verlangte eine Unterrichtung, Innenminister Boris Pistorius schilderte die Chronologie von B.s Aufenthalt in Deutschland. Im September 2015 war er eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt, der dann im April 2016 abgelehnt wurde. Die Abschiebung wurde ihm angedroht. Da er keine gültigen Passpapiere vorweisen konnte, eine Abschiebung ohne solche aber nicht möglich ist, sollte er freiwillig ausreisen. Wie Pistorius berichtet, ist eine solche Aufforderung zur freiwilligen Ausreise üblich in diesen Fällen. B. folgte dem Rat der Behörden nicht, ließ die Frist verstreichen und tauchte unter – und beteiligte sich dann im Juli in Hamburg an einem Einbruch. Er wurde gefasst und zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt, anschließend nahmen die Hamburger Behörden Kontakt zum Kreis Holzminden auf. Sie teilten mit, man könne ihn übernehmen und Abschiebehaft beantragen. Dazu aber sah sich der Kreis nicht in der Lage, wie Sprecherin Niegel sagt: Man habe zweieinhalb Fachkräfte gehabt, die landkreisweit 4000 Asylbewerber betreuen müssen, da sei es nicht möglich gewesen, den Mann aus Hamburg abzuholen. Außerdem, meint Niegel, sei es sehr unwahrscheinlich gewesen, dass das Gericht eine Haftzeit verhängt hätte, die ausreichend gewesen wäre, die nötigen Ersatzpapiere zu beantragen. „Ich glaube nicht, dass das gelungen wäre“, sagt Niegel. Da der Landkreis ihn in Hamburg am Untersuchungsgefängnis nicht in Empfang nahm, kam B. frei, erschien im November in einer Holzmindener Asylunterkunft und wurde darauf hingewiesen, in der Behörde vorsprechen zu müssen. Das tat B. nicht, er tauchte wieder unter.
Innenminister Boris Pistorius zeigte sich am Landtag deutlich unzufrieden mit dem Verhalten des Landkreises: „Darüber wird noch zu reden sein“, meinte er. Unerklärlich sei, warum die Kreisverwaltung nicht reagiert habe, als die Hamburger Behörden sich meldeten. „Natürlich haben wir personellen Druck gehabt“, erläutert Niegel. Pistorius fragt sich auch, warum der Kreis Holzminden B. nicht zur Fahndung ausschrieb, spätestens nachdem er im November – also nach seiner Verurteilung – erneut abgetaucht war. Außerdem erklärte Pistorius, er erwarte von allen Ausländerbehörden der Landkreise, dass sie sich melden, wenn sie überlastet sind. Das sei hier nicht geschehen. „Von diesem Fall habe ich zuerst aus der Zeitung erfahren, nicht vom Landkreis.“
Der CDU-Innenpolitiker Jens Nacke meinte: „Es kann doch nicht sein, dass ein gefährlicher Mann auf freien Fuß kommt, nur weil der Landkreis Holzminden nicht genügend Mitarbeiter hat.“ Stefan Birkner (FDP) sagte: „Das Erschreckende an diesem Fall ist, dass man ihn als fast schon normal bezeichnen muss.“ Aus dem Innenministerium heißt es, eine längere als die übliche, recht kurze Abschiebehaft wäre vielleicht doch durchsetzbar gewesen, obwohl der Mann nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Außerdem gebe es durchaus Wege, die notwendigen Passersatzpapiere schneller zu beschaffen, wenn es sich um Straftäter handele, die rasch abgeschoben werden sollen.