27. Aug. 2019 · 
Finanzen

Scharfe Rüge für Zulagen-Zahlung wird zu einer Last für die SPD im hannoverschen OB-Wahlkampf

Während die „Gehälteraffäre“ um den gestürzten hannoverschen Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) demnächst vor dem Landgericht Hannover aufgerollt wird, wirft ein neuer Vorgang einen Schatten auf den OB-Wahlkampf für dessen Nachfolge. In einer als „vertraulich“ gekennzeichneten Mitteilung hat das Rechnungsprüfungsamt (RPA) in der Stadtverwaltung, eine interne Prüfbehörde, massive Zweifel an der gängigen Praxis der Zulagen-Zahlung an die Beschäftigten geäußert. [caption id="attachment_42877" align="alignnone" width="780"] Rücken wieder in den Fokus: Hannovers früherer Finanzdezernent Marc Hansmann und der früherer Oberbürgermeister Stephan Schostok - Foto (M.): MB; Hansmann/Enercity; Weil/David Borghoff[/caption] Die Leistungsprämie, wie sie an alle rund 8500 Mitarbeiter der Stadt Hannover ausgezahlt werde, sei „nach Volumen und Rechtsgrundlage unrechtmäßig“, heißt es in einem internen Schreiben des RPA vom 29. Mai an die Mitglieder des Haushaltsausschusses im Rat der Stadt. Das Geld sei „leistungsunabhängig als pauschale Einheitsprämie ausgezahlt“ worden, und dies widerspreche dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), den Gewerkschaften und Kommunen in Deutschland zuerst 2005 ausgehandelt hatten. Außerdem habe die Stadtverwaltung mit der Entscheidung, die allein im Jahr 2017 Kosten von 5,6 Millionen Euro verursacht habe, ihre Kompetenzen überschritten. Der Rat hätte eingeschaltet werden müssen, heißt es.

Große Aufregung im hannoverschen Rathaus

Als am gestrigen Dienstag die „Hannoverschen Allgemeine Zeitung“ diese Zahlungen als „unrechtmäßige Boni“ bezeichnete, verursachte das im hannoverschen Rathaus helle Aufregung. Der Gesamtpersonalrat erklärte, die vertrauliche RPA-Mitteilung beruhe auf einem „überholten Entwurf“ des Prüfberichts, der noch überarbeitet worden sei. Verwiesen wird auf den „Haustarifvertrag zur Beschäftigungssicherung“, der jeweils für fünf Jahre gilt. Derzeit ist die 2015 geschlossene Variante verbindlich, der Vorgänger wurde 2010 ausgehandelt. Federführend war seinerzeit Finanzdezernent Marc Hansmann, der das Papier nach der Einigung auch überschwänglich lobte. Oberbürgermeister und Chef der Stadtverwaltung war 2010 Stephan Weil, der heutige Ministerpräsident.
https://www.youtube.com/watch?v=C0B30bZAB88&t=1s
Kern der Abmachung war, dass die laut TVöD möglichen zwei Prozent der Monatsentgelte, die mit Leistungsbezug verteilt werden können, auf 1,25 Prozent gekürzt wurden. Die Stadt als Arbeitgeber konnte den Rest einbehalten, garantierte aber im Gegenzug einen fünfjährigen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen und die Übernahmen aller Ausgebildeten. Die 1,25 Prozent wurden an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Die Stadtverwaltung nahm gestern nicht zu den Vorwürfen Stellung, es hieß aber, der 2010 abgeschlossene und später verlängerte Haustarifvertrag wiege schwerer als der TVöD, da er spezielle Regeln enthalte. Der Kommunale Arbeitgeberverband Niedersachsen (KAV) habe das auch abgesegnet. KAV-Sprecher Michael Krebs widerspricht jedoch: In dem Haustarifvertrag sei nur das Volumen festgelegt und auch gebilligt worden. Die für die konkrete Verteilung maßgebliche Dienstvereinbarung zwischen Stadtverwaltung und Personalrat, die jetzt Auslöser der Beanstandungen des RPA ist, sei nie vom KAV gebilligt worden. „Wir kennen die gar nicht“, sagt Krebs. Eine Sprecherin der Stadt sagte gestern auf Rundblick-Anfrage, diese Dienstvereinbarung sei derzeit „ausgesetzt“.

Rücken nun auch Stephan Weil und Marc Hansmann in den Fokus?

Schon vor sieben Jahren hatte es großen Ärger um die „leistungsgerechte Bezahlung“ in Kommunalverwaltungen geben, seinerzeit mit Bezug auf den Beamtenbereich. Dies führte sogar zu einer Anklage gegen den damaligen Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius, die dann aber doch nicht erhoben wurde. Der Vorwurf war auch damals, dass es nicht gestattet sei, die leistungsbezogene Bezahlung pauschal dauerhaft an die Belegschaft auszuzahlen. Da die Leistungsbeurteilung in großen Verwaltungen zu einem unvertretbaren Aufwand führe, könne man wohl Gruppen von Empfängern bilden, nötig sei aber dennoch eine leistungsbezogene Begründung.
https://www.youtube.com/watch?v=A0XXB0ZdNhY
Der sozialdemokratische OB-Kandidat Hansmann sagte gestern, ohne selbst auf seine eigene Beteiligung am Zustandekommen der hannoverschen Vereinbarung einzugehen: „Die rechtliche Prüfung einer solchen Pauschale ist nicht die Aufgabe des Finanzdezernenten, sondern muss durch das Personaldezernat erfolgen.“ Damit spielt er auf Harald Härke an, der für die Personalarbeit im Rathaus lange Zeit verantwortlich zeichnete und sich später mit OB Schostok überworfen hatte. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) erklärte, dass „disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen gezogen“ werden müssten, wenn man nach der Überprüfung der neuen Hinweise des RPA von „illegalen Betriebsvereinbarungen“ ausgehen müsse. Wen diese Konsequenzen betreffen sollen, ließ der BdSt offen. OB war 2010 der heutige Ministerpräsident Stephan Weil, Finanzdezernent war der heutige OB-Kandidat Hansmann.
Lesen Sie auch: Schostok beantragt Versetzung in den Ruhestand Rathausaffäre: Landtags-FDP nimmt Hansmann ins Visier
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #147.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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