Darum geht es: Die Ziele und Maßnahmen der Fachkommission Inklusion in Niedersachsen sind veröffentlicht worden. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Es ist beeindruckend, was die Mitglieder der Fachkommission Inklusion in monatelanger Arbeit zusammengetragen haben. Von A wie Arbeit bis W wie Wohnen finden sich auf den mehr als 60 Seiten der Dokuments eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen, wie Inklusion in Niedersachsen verbessert werden kann. Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Petra Wontorra, sprach von einem besonderen Tag, der es auch war. Und so ist der leise Unmut verständlich, dem sich Ministerpräsident Stephan Weil und Sozialministerin Cornelia Rundt bei der Tagung gestern ausgesetzt sahen. Wer in zahlreichen Sitzungen eine detail- und kenntnisreiche Arbeit abliefert, der schaut nicht einfach zu, wie diese erst einmal anderthalb Jahre in der Schublade verschwindet. Die Landesregierung hätte vielleicht die Zwischenstände ihrer Arbeit zu dem Bericht besser kommunizieren können. Dass Weil gestern auch noch sagte, die Regierung wolle nun portionsweise, wie bei einer Salami, vorgehen, war ein unglückliches Bild: Der Begriff Salamitaktik ist in der Politik nicht gerade positiv besetzt.

Möglicherweise hat die Landesregierung den Bericht nicht ohne Grund auf die lange Bank geschoben. Denn der Detailreichtum ist zugleich eine Schwäche des Berichts und eine riesige Herausforderung für die Politik. Dabei geht es nicht allein um die Kassenlage, obwohl Forderungen zum Beispiel im Bereich der Schulklassengrößen schnell in die Milliarden gehen können. Bei mancher Maßnahme stellt sich zugleich die Frage, ob die Forderung möglicherweise im Gegensatz zu den aktuellen politischen Erfordernissen steht. Beispiel Wohnungsbau: Hier fordert die Kommission die Erarbeitung von Mindeststandards für private Bauherren, bei denen die verschiedenen Beeinträchtigungen berücksichtigt werden. Dabei wird angesichts der Wohnungsnot in zahlreichen Städten gerade darüber diskutiert, ob eine Einschränkung der Vorgaben den Bau von Wohnungen und Häusern beschleunigen könnte. Über die Maßnahme „Für von Behinderung betroffene Familien mit mehreren Kindern wird eine Quote für große Wohnungen festgelegt“ können vermutlich sämtliche Familien, egal ob sie von Behinderung betroffen sind oder nicht, in fast allen Großstädten vermutlich derzeit nur müde lächeln.

Gut gemeint muss nicht immer durchweg gut sein – das gilt auch für diesen Bericht. Er schießt an so mancher Stelle über das Ziel hinaus. So erscheint nicht nur die Vielzahl der geforderten Kampagnen fragwürdig, sondern auch die Vorgabe an die Tourismus Marketing Niedersachsen, sich verpflichtend des Themas „Tourismus für alle“ anzunehmen.  Für den Medienbereich wird eine Änderung des NDR-Staatsvertrags sowie des niedersächsischen Mediengesetzes gefordert. Das Ziel: „Inklusion und Barrierefreiheit werden in und durch Medien stärker thematisiert“. Dies ist nichts anderes als der Eingriff in die Medienfreiheit. Auch an dieser Stelle des Maßnahmenkatalogs gilt: Weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen.

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