1. Dez. 2016 · 
Inneres

Rot-Grün will eilig einen Beauftragten für den „Radikalenerlass“ durchsetzen

SPD und Grüne im Landtag drücken nun auf das Gaspedal: Nachdem ein Antrag beider Fraktionen, die Praxis des umstrittenen „Radikalenerlasses“ aufzuarbeiten, zweieinhalb Jahre lang im Parlament schlummerte, sollen nun rasch Fakten geschaffen werden: Übernächste Woche, so der Wunsch beider Regierungsfraktionen, soll das Papier im Landtag beschlossen werden. Kernpunkt ist die Forderung nach einer Beauftragten, die Schicksale von Betroffenen klären und ihnen helfen soll. SPD und Grüne trugen ihren Vorstoß gestern im Innenausschuss des Landtags vor, CDU und FDP reagierten skeptisch: „Das Thema kann im restlichen Jahr dieser Wahlperiode sowieso nicht richtig behandelt werden“, sagte Angelika Jahns (CDU). „Es ist jetzt höchste Zeit, Anfang 2017 soll die Beauftragte ihre Arbeit beginnen“, entgegnete Meta Janssen-Kucz (Grüne). Wer in der Vorstellung von Rot-Grün „die Beauftragte“ sein soll, blieb aber offen. Janssen-Kucz deutete in der Ausschusssitzung an, es könne sich auch um einen Mann handeln. Auch inhaltlich ist die Initiative von Rot-Grün höchst umstritten, wie im Übrigen der damalige „Radikalenerlass“, der in den siebziger Jahren vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und den Ministerpräsidenten beschlossen wurde. Bis in die achtziger Jahre galt in den damals elf westdeutschen Bundesländern die Regel, dass Mitglieder von DKP und NPD nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt und Beamte werden durften – und zwar ohne eine Einzelfallprüfung auf ihre Verfassungstreue, die aus der Treuepflicht jedes Beamten abzuleiten ist. Hans-Michael Höntsch (SPD) sagte im Innenausschuss, man wolle die „unendliche Geschichte jetzt zu Ende bringen“, in Niedersachsen seien mehr als 130 Menschen von diesem Radikalenerlass betroffen gewesen, sie hätten sich „nach zermürbenden und jahrelangen Prozessen beruflich anderweitig orientieren müssen“. Janssen-Kucz wählte im Ausschuss den Begriff „Oppositionelle“, die seinerzeit „durchleuchtet“ worden seien. Tatsächlich richtete sich der Radikalenerlass gegen DKP-Mitglieder vor allem deshalb, weil diese damals von der DDR gesteuerte und finanzierte Partei für die Abschaffung des politischen Systems der Bundesrepublik eingetreten war. Nach den Worten von Jan-Christoph Oetjen (FDP) hat es in den siebziger und achtziger Jahren in der Praxis des Radikalenerlasses „durchaus Unrecht“ gegeben. Die Aussage im rot-grünen Antrag aber, Berufsverbote dürften „nie wieder Praxis“ werden, stellte Oetjen in Frage. Wenn extremistische, ausländerfeindliche und antisemitische Tendenzen immer stärker würden, dann sei doch fraglich, ob man Menschen mit diesen Einstellungen nicht vom öffentlichen Dienst fernhalten müsse. Ulrich Watermann (SPD) stimmte Oetjen grundsätzlich zu: „Wenn einer nachgewiesenermaßen nicht auf dem Boden der Verfassung steht, darf er nicht in den öffentlichen Dienst.“ Aber nicht die Parteimitgliedschaft an sich dürfe das festlegen, sondern nur eine Einzelfallprüfung.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #220.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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