In einem langen Rechtsstreit um einen der wichtigsten Richterposten in Niedersachsen gibt es nun eine überraschende Wende: Der ehemalige Staatssekretär im Justizministerium, Frank-Thomas Hett (62), soll neuer Präsident des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg werden. Das Kabinett hat seine Berufung nach Rundblick-Informationen vergangenen Dienstag beschlossen.

Die Personalie kommt recht unerwartet, da das niedersächsische Justizministerium das CDU-Mitglied Hett im vergangenen Jahr aus formellen Gründen nicht zulassen wollte für den Kreis der Bewerber um das freigewordene Amt des OVG-Präsidenten. Der bisherige Präsident Thomas Smollich (SPD) hatte sich im November 2022 aus seiner Richtertätigkeit verabschiedet und war neuer Justiz-Staatssekretär geworden. In der Öffentlichkeit war dann in den folgenden Monaten der Eindruck entstanden, die rot-grüne Landesregierung favorisiere den bisherigen Präsidenten des Verwaltungsgerichts Hannover, Ingo Behrens, für die Präsidentschaft des OVG. Diesem Plan kam aber dann Hett mit seiner Bewerbung in die Quere.
Da die Position des OVG-Präsidenten kein politisches Amt ist, entscheiden bei der Auswahl die Kriterien der Eignung, Befähigung und Leistung. Auf eine gute Beurteilung kommt es an, außerdem auf das bisherige Statusamt. Wer ein höheres Statusamt hat, genießt gegenüber einem Mitbewerber mit niedrigem Statusamt den Vorzug. Drei Bewerber gab es für die Stelle des OVG-Präsidenten, neben Behrens und Hett noch den OVG-Richter Sebastian Lenz. Behrens wird nach R4 eingestuft, das ist vergleichbar mit B4. Hett jedoch war von 2020 bis 2022 Justiz-Staatssekretär und damit in der Besoldungsstufe B9 eingruppiert. Wie verlautet, waren die Beurteilungen für alle drei Bewerber sehr gut, also ohne wesentliche Abstufungen. Im Frühjahr 2023 entschied das Justizministerium jedoch, dass Hett sich als Ruhestandsbeamter gar nicht bewerben dürfe, da er ja schon aus dem Dienst ausgeschieden sei. Das sah im Mai 2023 zunächst das Verwaltungsgericht Hannover anders, im Juli dann auch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Beide meinten, mit dem Abschied aus dem aktiven Dienst sei Hett nicht dienstunfähig geworden. Und da in der Ausschreibung für die OVG-Präsidentenstelle die Bewerbung eines früheren Staatssekretärs nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden sei, müsse er sich auch bewerben dürfen. Nach dem OVG-Urteil vom Juli war spekuliert worden, dass das Ministerium nun vielleicht die Ausschreibung zurückzieht und neu formuliert. Diesen Weg schlug die Landesregierung jedoch nicht ein, und damit war auch klar, dass im Wettstreit der Bewerber der Zuschlag für Hett gegeben werden musste.
Der Fall ist aus mehreren Gründen kurios: Das vom Mitbewerber Behrens geleitete Verwaltungsgericht und das OVG entschieden klar gegen die Position des übergeordneten Justizministeriums, sie bewiesen damit die richterliche Unabhängigkeit in besonderer Weise. Außerdem wird Hett, der von Smollich als Staatssekretär abgelöst wurde, nun Smollichs Nachfolger bei einem der wichtigsten niedersächsischen Gerichte. Die beiden geben sich damit ein zweites Mal die Klinke in die Hand. Man kann diesen Personalstreit auch als Niederlage für das Justizministerium beschreiben, da die erklärte Absicht, Hett außen vor zu lassen, nicht verwirklicht wurde. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass eine Neuausschreibung den Verdacht geweckt hätte, Rot-Grün wolle einen offensichtlich qualifizierten Christdemokraten als Gerichtspräsidenten verhindern. Mit diesem Vorgang passiert nun zum dritten Mal der früher ungewöhnliche Schritt, dass ein einstiger Justiz-Staatssekretär ein hohes Richteramt bekommt und ihm im Auswahlprozess seine frühere B9-Besoldung dienlich ist. 2015 wurde Justiz-Staatssekretär Wolfgang Scheibel (SPD) neuer OLG-Präsident in Braunschweig, 2017 dann seine Nachfolgerin Stefanie Otte (Grüne) neue Präsidentin des OLG Celle. Nun wird Ottes Nach-Nachfolger neuer Präsident des OVG Lüneburg.