Die Uhr läuft: Das Online-Zugangsgesetz verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Leistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Über 570 Dienste wurden dazu aufgelistet. Auf der Digitalmesse „Techtide“ haben Experten kürzlich darüber diskutiert, ob die föderale Struktur in Deutschland dem Erfolg der digitalen Verwaltung im Wege steht. Dabei wurden fünf Problemfelder deutlich, die die Digitalisierung im Land nach wie vor aufhalten.

Problem 1: Das fehlende Netz

Die Datenraten sind zu klein, auf den Dörfern fehlten immer noch stabile Netze, um überhaupt moderne und umfangreiche digitale Angebote machen zu können, sagt Rupert Metzler, ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Hilzingen im Landkreis Konstanz in Baden-Württemberg. Inzwischen berät er Kommunen in Digitalisierungsfragen.


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Die fehlende Infrastruktur liege auch an unklaren Fördervorlagen mit wechselnden Rahmenbedingungen. Dadurch hätten die Gemeinden oft Jahre verloren. „So erlahmt auch der Wille der Verwaltungen, stärker zu digitalisieren. Wenn ich keine ausreichende Netzabdeckung habe, brauche ich meine internen Prozesse nicht zu verändern“, meint Metzler.

Problem 2: Fehler der Vergangenheit

Für den ehemaligen Bürgermeister geht es schlichtweg um Daseinsvorsorge, er vergleicht es mit den Wasserleitungen. Der entscheidende Fehler sei schon vor vielen Jahren passiert. „Die Breitbandinfrastruktur hätte man wie beim Wasser den Kommunen überlassen sollen, dann hätten wir heute eine ganz andere Situation“, sagte Metzler.

Nun lägen in großen Städten teilweise sechs Kabel von unterschiedlichen Anbietern nebeneinander, kritisiert er. Es gebe aber schließlich auch nicht sechs Wasserleitungen von unterschiedliche Anbietern nebeneinander. Die Folge seien sehr heterogene Strukturen.

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Problem 3: Das Tempo des Föderalismus

Prof. Dr. Isabell Peters vom Niedersächsischen Studieninstitut für kommunale Verwaltung erwartet erst einmal keine disruptiven Entwicklungen, wie sie in der privaten Wirtschaft zu beobachten sind – eigentlich. Eine Ausnahme könnte ein externer Schock sein, wie zum Beispiel die Corona-Krise. Bisher ist die Digitalisierung in Deutschland aber vielfach eine Schnecke.

Zu beobachten sei, dass das Land auch schon vor Corona hinter anderen Staaten hinterherhinkte. Länder, in denen die Digitalisierung zentralstaatlich organisiert ist oder wo das Thema auf der Bundesebene verantwortet wird, seien schneller und erfolgreicher unterwegs als föderale Systeme. Diesen Befund kann man laut Peters man zumindest für die EU gelten lassen. Als Beispiel für Erfolge beim E-Government nannte sie die Estland, Malta und Österreich. In Deutschland sei die Verantwortung dagegen auf verschiedene Ebenen delegiert.

Problem 4: Die Suche nach Perfektion

Man müsse nicht immer gleich den perfekten Wurf landen, sondern könne auch mit alltagstauglichen Lösungen ins Rennen gehen, meint Peters. „Man sollte jetzt das Momentum nutzen und einfach mal loslegen.“ Sie sieht in deutschen Behörden ein „strukturbehaftetes Denken“, das man für einen Moment außen vor lassen sollte und stattdessen die Frage nach dem Ziel in den Vordergrund stellen sollte. Häufig würden in der Verwaltung Lösungen entwickelt, die sehr viele Bedürfnisse abdeckten, aber das eigentliche Ziel gar nicht mehr erreichten.

Problem 5: Der menschliche Faktor

Es sei für Verwaltungen derzeit ohnehin nicht einfach, für die digitalen Veränderungen Abläufe neu zu strukturieren, schließlich seien die Behörden in der Corona-Krise seit Monaten damit beschäftigt, Schulen und Kindergärten am Laufen zu halten, sagt der frühere Bürgermeister Metzler. Man dürfe aber auch nicht die großen Unterschiede auf der Ebene der Mitarbeiter vergessen. Oft gebe es zwar innovative Menschen an der Verwaltungsspitze, in der großen Pyramide der Verwaltung gebe es aber auch viele Sorgen und Ängste.

Immer wieder höre man den Satz, man wolle und brauche die Digitalisierung nicht, alles funktioniere wie bisher. Diese Ängste, auch um den eigenen Arbeitsplatz, hält Metzler für irrational. Die Verwaltung habe auch aufgrund der Bezahlung große Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden. Deshalb würden auch alle vorhandenen weiterhin dringend benötigt.

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Zu erwarten ist laut Isabell Peters, dass die Digitalisierung zu einer Harmonisierung von Verwaltungsleistungen führen wird. „Das liegt darin begründet, dass man es in der Regel mit Standardprodukten zu tun hat, die die öffentlichen Verwaltungen einzukaufen.“ Die neuen digitalen Arbeitsabläufe werden ihrer Meinung nach die neuen Strukturen vorgeben, die heutigen Zuständigkeiten in den Hintergrund rücken.