Problem für die Landwirtschaft? Südlink-Erdkabel kommt auf den Prüfstand
„Südlink ist eines der zentralen, wenn nicht das zentralste Leitungsvorhaben der Energiewende“, sagt Stefan Mirschel. Der Tennet-Projektdirektor für die innerdeutsche Stromautobahn ist freilich etwas voreingenommen, doch die Fakten sprechen für sich: Südlink soll ab 2028 rund zehn Millionen deutsche Haushalte mit Energie versorgen. Von der Nordsee bis nach Stuttgart werden dazu 700 Kilometer Gleichstromkabel verlegt – und zwar auf ganzer Länge unterirdisch.
Das stößt jedoch bei vielen Landwirten auf Vorbehalte, weshalb Tennet nun in drei Feldversuchen in Niedersachsen die Wechselwirkungen zwischen dem Höchstspannungsgleichstrom-Erdkabel und der Landwirtschaft erforschen will. Auf drei Testfeldern starteten gestern die Felduntersuchungen von Wissenschaftlern aus drei Hochschulen. „Wir sind zwar der Auftraggeber der Untersuchungen, wir machen sie aber nicht“, sagt Mirschel und verspricht: „Die Untersuchungen sind kritisch, sie sind ergebnisoffen und sie sind unabhängig.“
Der Netzbetreiber hat mit seinen 1000 Kilometern Gleichstromkabeln schon eine Menge Erfahrungen gesammelt, daher weiß Tennet-Chef Tim Meyerjürgens sehr genau: „Jeder Boden ist anders.“ Der Chief Operations Officer (COO) räumt auch ein, dass Erdkabel nicht ganz ohne Auswirkungen auf die Umwelt verlegt werden können. Deshalb kann er die Sorgen der Landwirte nachvollziehen, die sich insbesondere über die Hitzeentwicklung der Kabel unter ihren Feldern sorgen. „Wir nehmen die Bedenken sehr ernst“, versichert COO Meyerjürgens und verspricht: „Wir schöpfen den Rechtsrahmen, der uns für die Entschädigung der Landwirte zur Verfügung steht, voll aus.“ Die Verhandlungen zwischen den Südlink-Betreibern Tennet und Transnet/BW auf der einen, sowie den Bauernverbänden auf der anderen Seite laufen noch.
Keine schweren Auswirkungen erwartet
„Wir sind uns zusammen mit den Experten ganz sicher, dass es durch die Erdkabel keine praktischen Auswirkungen auf die Landwirtschaft geben wird“, sagt Mirschel. Dennoch könne er verstehen, dass es die Landwirte gerne genauer wissen wollen. Die Felduntersuchungen versteht er deswegen auch als „vertrauensbildende Maßnahme“. Über Heizrohre im Boden wollen die Wissenschaftler die Wärmeentwicklung durch die Hochspannungskabel simulieren und die Auswirkungen auf die Umgebung messen. Auf den Versuchsfeldern soll dazu bis 2026 die reguläre Fruchtfolge begleitet werden. Außerdem sollen die Folgen des Leitungsbaus auf das Erdreich erforscht werden, wobei vor allem die Rückverfüllung des Bodens und die Bodendichte von Interesse ist.
„Es wäre möglich, dass durch die Wärme der Erdkabel das Erdreich austrocknet“, nennt Geologe David Bertermann von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg das schlimmste Szenario. Der Leiter der „Arbeitsgruppe oberflächennahe Geothermie“ ist jedoch sehr sicher, dass die Abstände und das Bettungsmaterial für den Südlink-Bau großzügig bemessen wurden.
„Wir werden beim Feldversuch auch mit Heizlasten agieren, die es so niemals geben wird“, kündigt Bertermann an. Er erwartet, dass es schon in einem Meter Entfernung von den Heizrohren, die die Stromkabel simulieren werden, keine Beeinträchtigungen geben wird. Die Erdkabelattrappen werden genau wie die Originale in einer Tiefe von 1,3 bis 1,5 Meter verbuddelt. Bertermann betont aber auch, dass es sich um offene Untersuchungen handelt. „Was wir rauskriegen, werden wir auch so publizieren“, kündigt er an und sagt: „Die ersten Ergebnisse für das Testfeld in Seelze liegen voraussichtlich Ende des Jahres vor.“
Neben den FAU-Geologen arbeiten auch die Agrarwissenschaftler der Fachhochschule Kiel und das Institut für Bodenkunde der Leibniz-Universität Hannover an dem Projekt mit. In Seelze (Region Hannover) untersuchen sie einen Pseudogley-Parabraunerde-Boden, in Walsrode (Heidekreis) befindet sich das Testfeld in Pseudogley-Braunerde, in Heeslingen (Landkreis Rotenburg/Wümme) handelt es sich um Podsol-Braunerde. Bei der Auswahl haben die Forscher darauf geachtet, dass die Böden ganz unterschiedliche Ertragsfähigkeiten haben. „Wir versuchen damit, die wichtigen bodenkundlichen Großlandschaften in Niedersachsen für den Südlink vorzubereiten“, sagt Bertermann.
Weil fordert Tempo und Transparenz
„Die Frage des Netzausbaus ist eine Engstelle für die ganze Energiewende. Wenn die Netze nicht schnell genug ausgebaut werden, kann der Rest nicht funktionieren“, sagt Ministerpräsident Stephan Weil, der sich am Montag persönlich das Testfeld in Seelze angeschaut hat. „Wir wissen alle, dass wir in Deutschland einen Beschleunigungsbedarf haben“, räumt der SPD-Politiker ein. Das Thesenpapier der niedersächsischen Energiewirtschaft zur schnelleren Umsetzung von Infrastrukturprojekten habe er deswegen sehr aufmerksam gelesen. Weil kann sich vor allem eine Veränderung des vierstufigen Planungsverfahrens vorstellen.
„In den Niederlanden hat man auch diese vier Stufen. Aber man macht sie gleichzeitig und ist deswegen deutlich schneller“, stellt der Ministerpräsident fest. Zudem will er die Akzeptanz in der Bevölkerung für die weniger erfreulichen Aspekte der Energiewende erhöhen. „Wir müssen schneller werden. Wir müssen aber auch alles tun, was zur Transparenz und zur Versachlichung führt“, sagt Weil. Aus seinen direkten Gesprächen mit den Betroffenen habe er beim Netzausbau immer wieder festgestellt: „Grundsätzlich ist die Bereitschaft der Landwirte da, aber man möchte nachher keine Überraschung erleben.“
Südlink kommt voran
Um die Stromautobahn Südlink ist es zuletzt ruhig gewesen. Deswegen sagt Projektleiter Mirschel über den gestrigen Start der Felduntersuchungen: „Das ist ein wichtiger Schritt, mit dem wir auch zeigen wollen: Bei Südlink geht’s voran.“ Die Forschungskooperation sei zudem nicht der einzige Fortschritt in Norddeutschland. In Hildesheim werde demnächst der Bau des ersten Kabelzwischenlagers begonnen, in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) befinde sich der Bau einer Konverteranlage in Vorbereitung, die den Wechselstrom in Gleichstrom und wieder zurück verwandeln soll. Auch Mirschel drängt aufs Tempo: „Lassen Sie uns nicht nur Testfelder bauen. Lassen Sie uns Südlink bis 2028 erfolgreich in Betrieb nehmen.“
Dieser Artikel erschien am 10.05.2022 in der Ausgabe #087.
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