Die Masern breiten sich aus in Deutschland – und in der Politik gibt es unterschiedliche Ansichten zu der Frage, ob es eine gesetzliche Impfpflicht gegen diese hochansteckende Krankheit geben sollte. Auch die Koalition in Niedersachsen ist sich uneins. Während sich CDU-Landeschef Bernd Althusmann dafür ausspricht, lehnt Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) die Impfpflicht bislang ab. Die Rundblick-Redaktion bewertet das Thema mit einem Pro und Contra.

Pro & Contra: Martin Brüning und Niklas Kleinwächter

PRO: Wer seinen Kindern die Masernimpfung vorenthält, gefährdet ihre Gesundheit. Es ist sicher nicht nötig, gegen alle Kinderkrankheiten geimpft zu werden. Doch bei Masern verhält es sich anders, meint Niklas Kleinwächter.

Die Freiheit des Individuums ist ein hohes Gut. Unsere Gesellschaft basiert darauf, und in keinem Fall sollte diese leichtfertig aufgegeben werden. Aber Freiheit geht auch immer mit Verantwortung einher. Und manchmal rechtfertigt dann unverantwortliches Verhalten auch eine Einschränkung der Freiheit. Immer, wenn wir diese Freiheiten einschränken, gibt es auch zunächst Empörung darüber. Zurecht. Später folgt dann die Phase der nüchternen Betrachtung. Die Gurtpflicht findet heute auch jeder vernünftig – weil sie Leben rettet. Bei einer Pflicht zur Masernimpfung verhält es sich genauso: Wer seinen Kindern eine Masernimpfung vorenthält, gefährdet auch ganz konkret ihre Gesundheit und ihr Leben – und das von anderen.

Masern sind ganz und gar nicht ungefährlich. Eine Erkrankung kann bis hin zu Hirnhauterkrankungen und sogar zum Tod führen. Deshalb ist die Impfpflicht unbedingt geboten – alles andere wäre eine Form von unterlassener Hilfeleistung.

Gerade Kindergärten und Schulen sind Orte, an denen sich Masernerreger gut ausbreiten können. Wo viele Menschen zusammenkommen, steigt immer das Ansteckungsrisiko. Im März mussten deshalb mehrere Schüler in Niedersachsen zuhause bleiben, weil sie keinen ausreichenden Impfschutz nachweisen konnten. Da steht die Gesundheit in solchen Phasen zweifellos über der Schulpflicht. Sicherer und besser wäre es aber, würden alle Kinder regulär gegen Masern geimpft. Wer nur darauf hofft, dass es schon ausreichend andere tun, ist ein Trittbrettfahrer und verhält sich unfair und unsolidarisch gegenüber seinen Mitmenschen.

Natürlich ist dabei mit Vorsicht vorzugehen. Niemand möchte etwa unmündige Bürger produzieren oder Verschwörungstheorien von Impfgegnern Vorschub leisten. Deshalb bleibt ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kinderärzten auch bei einer Impfpflicht notwendig. Die Kinderärzte müssen aber auch gründlich über die Vor- und Nachteile aller möglichen Formen von Impfungen aufklären. Nicht jede Impfung ist sinnvoll, manche können auch riskant sein. Deshalb aber per se alle Impfungen zu verteufeln, wäre der verkehrte Weg. Um das Verhältnis von Eltern und Ärzten zu stärken, darf der Staat deshalb keinesfalls einen unverrückbaren Zeitpunkt definieren, zu dem eine Impfung zu geschehen hat.

Spätestens, wenn die Kinder in den Kindergarten oder die Grundschule kommen, sollte eine Masernimpfung vorgenommen worden sein. Falls Kinder schon sehr früh in eine Krippe kommen, erhöht das natürlich den Druck. Dadurch wird die Zeit deutlich verkürzt, die für eine Impfung bleibt, da diese möglichst vor dem Kontakt mit einer größeren Gruppe passiert sein soll. Nötig ist das dennoch, denn gerade diese größere Gruppe erhöht das mögliche Ansteckungsrisiko enorm. Abweichungen sollten nur dann ermöglicht werden, wenn der Kinderarzt diese nach einer Untersuchung des Kindes und in Absprache mit den Eltern ausdrücklich empfiehlt. Schließlich ist dem Kind auch nicht geholfen, wenn die Masernimpfung auf eine andere Erkrankung obendrauf kommt. Eine Impfung ist schließlich kein einfacher Eingriff – es ist immer auch eine Herausforderung für den kleinen Körper.

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Auch deshalb darf die Pflichtimpfung gegen Masern nicht zu einer generellen Impfpflicht gegen mehrere Krankheiten ausgeweitet werden. Ärzte und Eltern sollen auch weiterhin in jedem Einzelfall genau abwägen können, welche sonstige Impfung wann geboten ist. Manchmal sind einige Kinderkrankheiten ja durchaus nicht von Nachteil für die Abwehrkräfte des Körpers. Das Ziel darf es nicht sein, durch möglichst viele Mehrfachimpfungen menschliche Roboter zu erzeugen, die niemals krank werden können und deren Eltern deshalb immer einsatzbereit sind.

Bei manchen Krankheiten gilt der profane Satz: „Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker.“ Hat man beispielsweise eine Röteln-Infektion einmal durchgemacht, ist der Schutz durch das Immunsystem sehr viel höher als nach einer Impfung. Die Krankheit an sich ist harmlos. Zumindest, wenn eine Frau sie nicht gerade in der Schwangerschaft bekommt – dann allerdings ist sie schädlich für das Kind. Deshalb sollte in den Kinder- und Jugenduntersuchungen zuerst beraten, dann geimpft und danach regelmäßig kontrolliert werden.

Masern hingegen sind ganz und gar nicht ungefährlich. Eine Masernerkrankung führt zu Ausschlag und Fieber und kann bis zu Hirnhauterkrankungen und Spätfolgen und sogar bis zum Tod führen. Deshalb ist die Impfpflicht unbedingt geboten – alles andere wäre eine Form von unterlassener Hilfeleistung.

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CONTRA: Immer diese nervigen Grundrechte. Kein Wunder, dass sich Kindergartenbetreiber eine staatliche Impfpflicht wünschen, anstatt sich mit impfmüden Eltern anzulegen. Dennoch wird man Impfgegner mit anderen Mitteln überzeugen müssen, meint Martin Brüning.

„Ob ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der zu impfenden Menschen unter Inkaufnahme möglicher Impfschäden zugunsten des Schutzes von Gesundheit und des Lebens anderer Menschen angemessen erscheint, lässt sich pauschal nicht beantworten.“ So steht es in einer Beurteilung der Wissenschaftliche Dienste des Bundestags, und allein dieser Satz macht das ganze Dilemma deutlich: Verstößt eine Impfpflicht gegen Artikel 2 des Grundgesetzes oder ist dieser Verstoß die Ansteckung anderer Menschen, weil nicht verpflichtend geimpft wurde?

Fest steht: Wer seine Kinder nicht impfen lässt, handelt verantwortungslos, seinen Kindern und auch anderen gegenüber. Wer dann auch noch seine kranken Kinder in den Kindergarten oder die Schule bringt, erst recht. Aber die Verantwortungslosigkeit weniger Eltern sollte nicht zu einem generellen Infragestellen von Grundrechten führen. Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann hat vollkommen recht, wenn sie eine Impflicht als „allerletztes Mittel“ bezeichnet. Denn das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein hohes Gut, und es stellt sich die Frage, warum es ausgerechnet wegen einiger Dutzend Masernfälle in Frage gestellt werden sollte. Im vergangenen Jahr starben bundesweit fast 1700 Menschen an Grippeviren. Angesichts dieser Zahlen könnte man ebenso über eine verpflichtende Grippe-Impfung diskutieren. Warum eigentlich nicht?

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Im vergangenen Winter war gerade einmal ein Drittel der Über-60-Jährigen in Deutschland gegen Grippe geimpft, die Durchimpfung bei Masern liegt in Niedersachsen dagegen bei über 93 Prozent. Die Zahlen machen deutlich, dass man es in Bezug auf Masern nicht mit einer großen Horde von Impfgegnern zu tun hat. Stattdessen ist festzustellen, dass man trotz leichter Rückgänge bei den Impfzahlen dem Ziel, 95 Prozent zu schützen um eine Ausbreitung zu verhindern, immer noch recht nahe ist. Gerade deswegen kommt eine Impfpflicht nicht in Frage. Zuvor müssen sich Behörden und Mediziner fragen, ob sie alle Möglichkeiten genutzt haben, damit möglichst alle Kinder die erste und zweite Masernimpfung empfangen.

Man setze darauf, Eltern intensiver aufzuklären, heißt es bei der Ärztekammer, um gleichzeitig zu betonen, dass Kinderärzte schon jetzt natürlich alles täten, um Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder impfen zu lassen. Natürlich. Alle Kinderärzte, jederzeit. Vielleicht sollte die Kammer doch noch einmal bei allen Kinderärzten nachfragen. Nur so zur Sicherheit.

Wem klar ist, dass das eigene Kind gegen Masern geimpft werden sollte, der sollte selbst den Weg zum Kinderarzt finden. Der mündige Bürger kann eigenverantwortlich handeln, auch wenn er manchmal dafür einen kleinen Stups braucht.

Die Behörden wiederum sollten sich Gedanken über die deutlichen regionalen Unterschiede machen. So geht die Durchimpfungs-Quote von über 97 Prozent in den Kreisen Holzminden, Grafschaft Bentheim und Peine bis zum Teil deutlich unter 90 Prozent in Lüchow-Dannenberg sowie in Stadt und Landkreis Osnabrück. Bereits im vergangenen Jahr haben sich die betroffenen Kreise Gedanken gemacht, wie sich die Zahlen wieder steigern ließen.

Die Gründe für die verpassten Impfungen sind vielfältig, sie reichen von weiten Wegen zum Kinderarzt über ungeimpfte Flüchtlingskinder bis hin zu notorischen Impfverweigerern. Das sind keine unlösbaren Probleme, für die es zwingend eine Impflicht bräuchte. Kampagnen und Flyer dürften allerdings nicht weiterhelfen, stattdessen ist persönliche Ansprache nötig. Dabei darf sich die Politik auch durchaus kritisch die Frage stellen, wie sich die Zahl der Mitarbeiter in Gesundheitsdiensten vor Ort in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Grundrechte sind anstrengend und eine durch den Staat geregelte Pflicht ist natürlich viel einfacher. Es ist nicht überraschend, dass sich Kindergartenbetreiber wie die Diakonie eine staatliche Pflicht zum Pieks wünschen. Das wäre natürlich viel bequemer, als mit impfmüden Eltern diskutieren zu müssen. Aber so einfach geht es dann eben doch nicht, zumal es gerade Kindergartenbetreiber zum Teil selbst in der Hand haben. Denn bei Nichtimpfung sollten Kinder und Eltern eben auch die Konsequenzen zu tragen haben. Wer keine Masernimpfung vorzuweisen hat, dem kann man durchaus die Klassenfahrt oder den Kindergartenbesuch verweigern. In vielen Fällen dürfte das ausreichen, um Eltern von der Notwendigkeit der Impfung zu überzeugen.

Polio konnte in Europa ohne Impfpflicht eliminiert werden, und bei Masern geht es häufig gar nicht unbedingt darum, dass nicht geimpft wurde, sondern vielmehr zu spät geimpft wird. Auch das macht deutlich, dass eine staatlich verordnete Impfpflicht unangemessen und übergriffig wäre. Die Deutschen müssen sich vor sich selbst in Acht nehmen. Die eigene Bequemlichkeit bringt schnell den übergriffigen Staat. Wem klar ist, dass das eigene Kind gegen Masern geimpft werden sollte und dass Organspenden eine gute Sache sind, der sollte selbst den Weg zum Kinderarzt finden, und der braucht auch keine Widerspruchslösung. Der mündige Bürger kann eigenverantwortlich handeln, auch wenn er manchmal dafür einen kleinen Stups braucht.

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