Pro & Contra zum Burka-Verbot
PRO: Der Fehler der bisherigen Integrationspolitik war, dass sie häufig gar nicht ernsthaft betrieben wurde. Das Verbot der Vollverschleierung wäre ein erster Weg, die Werte und Normen unserer Gesellschaft sichtbar werden zu lassen, meint Klaus Wallbaum.
Manchmal kann man den Eindruck bekommen, dass diejenigen, die ein Burkaverbot wollen, bewusst missverstanden werden. Es geht doch nicht um innere Sicherheit. Natürlich wirft niemand den vollverschleierten Frauen vor, sie würden unter ihrer schwarzen Kleidung reihenweise Sprengstoffgürtel tragen. Es geht auch nicht darum, für die Freiheit der Frau zu kämpfen. Sicher ist die Burka ein Symbol der Unterdrückung, viele Frauen tragen sie, weil ihre Männer das wollen und von ihnen fordern. Aber es gibt auch etliche, die diese Kleidung freiwillig tragen – und will man denen im Namen der Freiheit vorschreiben, wie sie sich anziehen sollen?
Nein, das Verbot der Vollverschleierung ist aus einem ganz anderen Grund richtig und angemessen. Es geht um die Integration von Zuwanderern in die deutsche Gesellschaft – und darum, dass man denen, die zu uns kommen, die Anpassung an die hier gültigen Regeln abverlangen muss. Jahrzehntelang ist Integrationspolitik so nicht verstanden worden. Man sprach von „multikultureller Gesellschaft“ und nutzte das oft als Vorwand dazu, sich um die Eingliederung der Zuwanderer in die Gemeinschaft nicht weiter kümmern zu müssen. Im Ergebnis leben in vielen Städten Gruppen von beispielsweise türkischstämmigen Menschen, in denen nur wenige deutsch sprechen, die ihre eigene Kultur pflegen und Kontakt mit den Deutschen meiden. Hätte man sie integriert, sie gezielt in deutscher Sprache unterrichtet und ihnen vorgelebt, welche Werte, Normen und Regeln in Deutschland üblich sind, so wären Brücken entstanden, die eine Verständigung erleichtert hätte. Aber man hat sich nicht gekümmert und sie ihrem Schicksal überlassen.
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Die Gründe für diese Fehlentwicklung sind vielschichtig – aber ein Grund dürfte sein, dass in Deutschland selbst eine Verunsicherung über die Werte in unserer Gesellschaft herrscht. Freiheit und Toleranz? Ja, das sind Grundprinzipien unserer Ordnung, aber die Toleranz darf nicht so verstanden werden, dass man es hinnimmt, wenn jemand sich vom Dialog mit anderen bewusst abkoppeln will. Wer eine Vollverschleierung trägt, signalisiert seiner Umgebung: Ich will nicht mit euch reden, euch nicht in die Augen sehen, ich lehne eine Kommunikation mit euch ab. Das aber darf nicht sein. Integration muss künftig als Verpflichtung verstanden werden, sich einzuordnen in die deutsche Gesellschaft und ihre Regeln zu akzeptieren.
Noch etwas kommt hinzu: Die Integration ist nicht nur ein Problem für die, die integriert werden sollen und müssen – sie ist auch eine Aufgabe für die, die Fremde aufnehmen sollen. Viele Flüchtlinge kommen zu uns, Deutschland ist reich und stark, kann vielen Menschen in Not eine neue Bleibe bieten. Aber es wäre ignorant zu leugnen, dass viele hierzulande die Flüchtlinge auch als Bedrohung empfinden – als Konkurrenten auf dem Arbeitsplatz oder beim Empfang von Sozialleistungen. Die Furcht vor den Fremden wird umso größer, je mehr befremdliche Eigenarten bei den Zuwanderern beobachtet oder vermutet werden. Eine Burka, die als Symbol für Abschottung und Rückständigkeit verstanden werden kann, verstärkt viele Ängste. Dass es bisher nur wenige Vollverschleierte in Deutschland gibt, ist kaum ein geeignete Beruhigung für jene, die sich von einer schleichenden Unterwanderung bedroht fühlen. Umgekehrt gilt aber: In einer Gesellschaft, die stärker als bisher ihr eigenes Regelwerk definiert und klar Nein sagt zu Burka und schwarzer Vermummung in der Öffentlichkeit, können die Ängstlichen und Eingeschüchterten offener gegenüber Zuwanderern sein.
CONTRA: Der konservative Hardliner droht wieder en vogue zu werden. Martin Brüning fürchtet eine „Re-Kantherisierung“ der Innenpolitik:
Es ist paradox: Während in Niedersachsen das Vermummungsverbot gelockert werden soll, diskutiert man nun landauf, landab ein Verschleierungsverbot. Die Vorschläge gehen dabei, offensichtlich befeuert von den Wahlkämpfen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Niedersachsen, von einem Verbot der Burka bis hin zu einer Bestrafung der Männer, die ihre Frauen dazu zwingen, eine Burka zu tragen. Wie so oft bleibt dabei auf der gedanklichen Strecke, ob und wie das am Ende praktisch überhaupt umzusetzen wäre.
In der Tat fallen Burka tragende Frauen in der Öffentlichkeit auf. Warum? Weil es so wenige von ihnen gibt. Selbst in größeren Städten mit hohem Ausländeranteil ist die Burka eher eine Seltenheit. Ein Redakteur des Spiegel-Jugendportals „bento“ hat kürzlich in Berlin versucht, Burka-Trägerinnen zu finden. Sein Fazit: Gar nicht so einfach. Worüber sprechen wir also überhaupt?
Um Sicherheit, wie zum Beispiel vom CDU-Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern suggeriert, geht es in der Diskussion schon einmal nicht. Im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ gibt es die Rubrik „Torte der Wahrheit“. In einem Tortendiagramm wurde dabei kürzlich aufgezeigt, von wem der Terror in Europa ausgeht: Frauen in Burkas 0 Prozent, Männer in Hosen 100 Prozent . Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat recht, wenn er sagt, es sei absurd, über ein Burka-Verbot im Zuge einer Debatte um innere Sicherheit zu reden.
Die Bundeskanzlerin wiederum sieht die Burka als Integrationshindernis, und auch Niedersachsens Landtagspräsident Bernd Busemann meint, vermutlich irritiert durch die zahlreichen Burkaträgerinnen im heimischen Emsland, „Integration durch einen Sehschlitz“ könne nicht gelingen. Das Integrationsargument ist allerdings ein reines Ablenkungsmanöver der Politik. Richtig ist: Die Burka macht Integration sicherlich nicht einfacher. Aber sie ist nicht Kern des Problems der Versäumnisse vergangener Jahre und Jahrzehnte. Tausende Bildungsverlierer unter den Migranten sind das Ergebnis einer Politik der Vernachlässigung und des Wegsehens, und das Entstehen rechtsfreier Räume in manchen Stadtvierteln geht zurück auf ein Teil-Versagen des Staates, der nun seit Jahren mühsam versucht, wieder Boden gut zu machen.
Die Burka ist nicht die Wurzel des Übels fehlender, vernachlässigter Integration. Man muss sie dennoch nicht überall akzeptieren. An Schulen, vor Gericht oder bei der Verkehrskontrolle können Verbote zweckmäßig sein. Aber wollen wir in Deutschland wirklich die arabische Touristin auffordern, ihre Burka abzulegen? Fühlen wir uns durch Bekleidungsvorschriften sicherer? Glauben wir wirklich, dadurch würden die wenigen betroffenen Frauen und deren Familien besser integriert?
https://soundcloud.com/user-385595761/noch-nie-eine-burka-am-nordseestrand-gesehen
Der CDU-Politiker Jens Spahn, der die Debatte mit angestoßen hat, forderte damals „klare Werte“. Zu diesen sollten wir uns in der Tat wieder bekennen. Diese Werte lauten Freiheit und Toleranz. In einem weltoffenen Deutschland sollten wir niemandem vorschreiben, was er auf der Straße zu tragen hat – egal, ob es Flip-Flops, ein Kopftuch (bei Frauen und Männern) oder eben eine Burka sind.
Die Debatte um Terror und Flüchtlinge treibt seltsame Blüten und führt in Teilen zu einer „Re-Kantherisierung“ der Innenpolitik. Der konservative Hardliner im Sinne eines Manfred Kanthers droht wieder en vogue zu werden. Dadurch wird Deutschland aber weder sicherer noch werden Migranten damit besser integriert. Die Angstmacher sind Vertreter eines neuen politischen Biedermeiers, der statt Integration nur Piefigkeit zur Folge hat.