Pro & Contra: Wäre eine Große Koalition vorteilhaft für das Land Niedersachsen?
Die FDP lehnt eine Ampel-Koalition ab, die Grünen stehen einem Jamaika-Bündnis skeptisch gegenüber. In Niedersachsen könnte es nach der Wahl zu einer Großen Koalition kommen. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil für Niedersachsen? Darüber diskutieren in einem Pro & Contra Klaus Wallbaum und Martin Brüning.
PRO: Ein Bündnis von SPD und CDU böte die Chance, endlich größere Reformen anzupacken. Das müsste gut klappen, zumal sich beide Parteien in ihrer Programmatik gar nicht so stark unterscheiden, meint Klaus Wallbaum.
Ohne Zweifel macht es einen Unterschied, ob die Opposition im Landtag von einer großen Volkspartei geführt wird, die genügend personelle Kraft aufbietet für viele Abgeordnete in vielen Ausschüssen und einen Stab an hauptamtlichen Zuarbeitern, der beeindruckend ist. All das wäre weitaus schmaler und eingeschränkter, wenn die Gegenseite zu einer übermächtigen Regierung aus drei kleinen, sich nicht einigen Fraktionen bestünde. Und dennoch ist Mitleid hier unangebracht. Organisationsuntersuchungen haben gezeigt, dass die Schlagkraft einer Organisation nicht von ihrer Größe abhängt, dass kleine Gruppen sogar weitaus effizienter sein können als große. Der Corpsgeist ist eben in kleinen Fraktionen ausgeprägter – und die Gefahr, dass verschiedene Gruppen gegeneinander arbeiten, besteht auch kaum.
Ganz praktisch sieht es doch so aus: Der Realo-Flügel in der Grünen-Landtagsfraktion ist inzwischen kaum noch vorhanden, viel spricht daher für eine relativ geschlossene Formation. Auch die FDP ist nicht vom Streit zerfressen, das zeigen die doch recht einmütigen Abstimmungsergebnisse bei Wahlen und strategischen Entscheidungen in den vergangenen Tagen. Bei der AfD ist es ähnlich. Das heißt: Eine Opposition aus FDP, Grünen und AfD kann durchaus ansehnlich sein – zumal die Chance bestünde, dass FDP und Grüne sich zu diesem Zweck in wichtigen Fragen annähern und eine Aufgabenteilung vereinbaren.
Die Große Koalition hätte wegen ihrer breiten Mehrheit gar die Chance zu einer maßvollen Verwaltungsreform – was etwa die Mittelinstanz angeht oder den Zuschnitt der Landkreise.
Das ist nun die eine Seite, die der Opposition. Aber auch auf der Seite der Regierung gibt es gute Gründe, warum man einem Regierungsbündnis von SPD und CDU, nach Lage der Dinge unter einem Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), viel zutrauen könnte. Der größte Zank dürfte bei der Ressortaufteilung entstehen, denn die SPD müsste erkennen, dass sie es nicht mit zwei kleinen, vermeintlich besser zu bändigenden Partnern zu tun hat, sondern mit einem großen, von der Stimmenanzahl fast ebenbürtigen.
Die CDU dürfte das Innen- und Finanzministerium fordern, und ums Innenministerium kann Streit entstehen, da Amtsinhaber Boris Pistorius bleiben möchte. Setzt die SPD sich durch, kann die CDU ein zusätzliches Ministerium bekommen. So könnte es aussehen: SPD-Ressorts: Innen, Wirtschaft, Wissenschaft, Soziales; CDU-Ressorts: Finanzen, Justiz, Kultus, Landwirtschaft und Umwelt. Gern hätte die SPD Umwelt gehabt, als Gegengewicht zum Agrarressort der CDU – aber das wäre eben der Preis, wenn das Innenministerium unbedingt in SPD-Hand bleiben soll. Die Inhalte jedenfalls, soviel ist klar, teilt beide Parteien nicht.
Während zwischen FDP und Grünen doch gravierende Unterschiede herrschen etwa im Streit zwischen Umweltschutz und Landwirtschaft oder Naturerhalt und Infrastrukturausbau, sind die Haltungen in beiden Volksparteien geschmeidiger, man ist in diesen Feldern kompromissbereiter. Die Schulpolitik teilt die Geister, aber bei der Inklusion findet man eine Verständigung, bei der Streitfrage Gymnasien oder Gesamtschulen ist eine pragmatische Lösung in Sicht – Glaubenskämpfe brechen bei diesen Fragen auch zwischen den eifrigsten Bildungspolitikern von Union und SPD nicht mehr aus.
Und: Stephan Weil ist hier ebenso Pragmatiker wie Bernd Althusmann. Die Große Koalition hätte wegen ihrer breiten Mehrheit gar die Chance zu einer maßvollen Verwaltungsreform – was etwa die Mittelinstanz angeht oder den Zuschnitt der Landkreise. Zum ersten Teil hatten sich CDU und SPD, öffentlich kaum bemerkt, in ihren Wahlprogrammaussagen schon erheblich angenähert. Die Kommunal-Lobby aus Landkreistag, Städtetag und Städte- und Gemeindebund gilt denn auch als treibende Kraft zugunsten der Großen Koalition – denn CDU und SPD sind in den meisten Kommunen stark, FDP und Grüne eher schwach.
Natürlich sind auch hier Sorgen mit diesem Weg verbunden, etwa vor einer Stärkung der Ränder, etwa der rechtsgerichteten AfD, oder aber vor einem Bedeutungsverlust des kleineren Regierungspartners, also hier der CDU. In der CDU gibt es mehrere besorgte Stimmen in diese Richtung. Ernsthaft berechtigt wäre das aber doch nur, wenn die Partner in der künftigen Großen Koalition so sehr vom gegenseitigen Misstrauen und Kontrollbedürfnis beseelt wären, dass sie beim gegenseitigen Belauern gar keine Kraft mehr finden, entschlossen gemeinsame Zukunftsprojekte anzupacken.
Wenn also ihre Leistungsbilanz nach fünf Jahren verheerend schlecht wäre. Leider ist die Sorge nicht unberechtigt, da die Vorbehalte zwischen führenden Christ- und Sozialdemokraten tatsächlich groß sind. Aber wenn man sie überwinden sollte, könnte eine Große Koalition das Land weiterbringen – und wenn sie das überzeugend tut, könnten auch beide Partner bei der nächsten Landtagswahl 2022 davon profitieren. Es hängt eben, wie bei vielen im Moment, vom ehrlichen guten Willen der Beteiligten ab.
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CONTRA: Das wird keine Harmonie-Demokratie, sondern der tägliche kleinste gemeinsame Nenner. Niedersachsen droht eine Zeit des politischen Mehltaus, meint Martin Brüning.
Mit der großen Koalition wird es am Ende nahezu nur Verlierer geben. Allein die SPD könnte fein raus sein. Die CDU, die sich schon auf die Besetzung der Ministerien freut und vermutlich bereits am Abend der Landtagswahl die Personalpläne aus den Schubladen geholt hat, droht das Schicksal der SPD im Bund. Stephan Weil wird, wenn er es geschickt anstellt, die CDU so klein regieren, wie die Kanzlerin es mit FDP und Sozialdemokraten im Bund gemacht hat. Wie es geht, hat er sich ja nun lange genug abschauen können. Die Grünen werden in der Opposition noch ein Stück weiter nach links rücken, in fünf Jahren genauso wenig für ein Jamaika-Bündnis zur Verfügung stehen und mangels Machtoption mit einem genauso schlechten oder sogar noch schlechteren Ergebnis abgestraft werden. Und die FDP? Wer wird die Mikro-Oppositionskraft im Landtag überhaupt noch hören, eingekeilt zwischen den pfiffigeren Oppositions-Grünen und der möglicherweise lauteren AfD?
Die kleinen Parteien tun der Demokratie mit ihrem verstockten Nein zu möglichen Dreierbündnissen keinen Gefallen. Mit der niedersächsischen Groko wird eine Dreiviertel-Mehrheit das Land regieren – Widerspruch zwecklos. Das ist keine Harmonie-Demokratie, sondern der tägliche kleinste gemeinsame Nenner. Die kleinen Parteien sind häufig die Würze der Politik. Mit einer großen Koalition drohen dagegen fade Jahre. Große Reformen sind nicht zu erwarten, allenfalls kleine Reförmchen, im Zweifel sogar zum Nachteil kleiner Parteien. Eine Große Koalition sei eben auch Mist für unsere Demokratie, hat der ehemalige SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann richtigerweise gesagt.
Sollte die Groko kommen, wäre eine auch finanzielle deutliche Aufwertung der Opposition zwingend erforderlich.
Den Groko-Parteien SPD und CDU wird das Bündnis nur wenig Beinfreiheit geben, um das eigene Profil deutlich zu machen. Das eigene Profil – das wird dann immer wenige Monate vor der nächsten Wahl plötzlich zum Thema, nachdem man viereinhalb Jahre lang schiedlich-friedlich miteinander koaliert und gearbeitet hat. Während dieser Zeit kann man das eigene Profil nicht schärfen, weil Opposition in der Koalition nun einmal nicht funktioniert. Auch hierfür gibt die Bundes-SPD ein gutes Beispiel ab. Aus diesem Dilemma geht zumeist der größere Koalitionspartner als Sieger hervor. Sollte es zu einer großen Koalition kommen, könnte die CDU ihre Entscheidung in den kommenden Jahren noch mehrmals bitter bereuen.
Hinzu kommt die hausgemachte Schwäche der Opposition im niedersächsischen Landtag. Die Räumlichkeiten im Nebengebäude – auf den 70er-Jahre-Toiletten gibt es teilweise nicht einmal warmes Wasser – ziehen nicht gerade massenhaft sogenannte High-Performer an. Die finanzielle Ausstattung ist eher bescheiden. Die Opposition soll die Regierung kontrollieren – dazu benötigt sie aber Augenhöhe. Hier aber steht der politische Zwergspitz chancenlos dem Bernhardiner gegenüber. Sollte die Groko kommen, wäre eine auch finanzielle deutliche Aufwertung der Opposition zwingend erforderlich. Ob das SPD und CDU im Landtag beschließen werden?
In einer neuen Landtagsfraktion reibt man sich angesichts der kommenden Groko-Jahre vermutlich schon die Hände. Für die Populisten der AfD könnte die große Koalition ein echter Vorteil sein. Sie könnte der Profiteur des politischen Mehltaus werden, der sich über das Land zu legen droht.