Pro & Contra: Sollten wir auf Fleisch verzichten?
Die unhaltbaren Zustände, die in vielen Schlachthöfen herrschen, sind in diesen Tagen einmal wieder öffentlich dargestellt worden: Billig-Arbeitskräfte aus dem Ausland, über Werkverträge beschäftigt, werden ausgebeutet und müssen in unzumutbaren Unterkünften hausen. Das kann eine der Ursachen für die hohen Corona-Ansteckungszahlen sein. Die Grundsätze des Tierwohls werden in vielen Betrieben auch nicht respektiert.
Das sind Folgen der Massentierhaltung. Müssen wir alle zu Vegetariern werden, damit sich endlich etwas ändert? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Inzwischen muss man sich zwischen Null und Eins entscheiden. Wer weiter Fleisch isst, stützt ein an vielen Stellen unethisches Massensystem, dessen Ursache unser eigener Konsum in den vergangenen Jahrzehnten ist. Schluss damit, meint Martin Brüning.
Vor etwa einem Jahr fühlte ich mich herausgefordert, eine Entscheidung zu treffen. Schon lange irritierte mich der maßlose Umgang mit Fleisch und Wurst im meinem Umfeld. Wer abends im politischen Hannover auf Veranstaltungen geht, bekommt schnell den Eindruck, dass für das Büffet eine komplette Fleischfabrik leergeräumt wurde. In der Markthalle, dem sogenannten Bauch von Hannover, werden Teller mit fettigem Fleisch gereicht, Brötchen sind natürlich mit drei Scheiben Salami belegt, weil eine ja offenbar nicht ausreicht. Dass zumindest die berühmten Mettbrötchen in Pressekonferenzen auf dem Rückzug sind, kann mit dem Corona-Virus zu tun haben, weil auf Pressekonferenzen in der Regel kein Essen mehr gereicht wird. Vielleicht hat es auch olfaktorische Gründe, zu begrüßen ist es aber auf jeden Fall.
Der Club der bekennenden Fleischesser genießt in den Reihen mancher Landtagsabgeordneter Kultstatus, es wurde nahezu als Majestätsbeleidigung aufgefasst, als der neue hannoversche Oberbürgermeister Belit Onay die Gesellschaft aus der Rathauskantine warf, die von ihr in den vergangenen Jahren unter etwas kuriosen Umständen kostenlos genutzt wurde. In Niedersachsen grölt man all die Probleme, die mit dem massiv gestiegenen Fleischkonsum in Zusammenhang stehen, gerne weg – am liebsten natürlich am Grill mit dem Steak in der einen und dem Bier in der anderen Hand. Mir jedenfalls ist die Lust auf Fleisch und Wurst vor einem Jahr gründlich vergangen, und ich meinte, eine Entscheidung zwischen Null und Eins treffen zu müssen. Ich entschied mich für Null. Für einen ethisch begründeten Vegetarismus gibt es dabei gute Gründe.
Welche Tiere verdienen Tierwohl? Während Millionen Deutsche ihre Haustiere verhätscheln wie die eigenen Kinder (dabei nehme ich mich ausdrücklich nicht aus), der Hund im bequemen Federbett schläft und die Katze natürlich das teuerste Futter serviert bekommt, scheint es ihnen herzlich egal zu sein, wie das Tier gelebt hat, dessen Fleisch gerade vor ihnen auf dem Teller liegt. Der Autor Jonathan Safran Foer beschreibt es in seinem lesenswerten Buch „Tiere essen“ an einer Stelle sehr eindrucksvoll: „Wenn man Knut (den Eisbär, die Red.) besucht und Hunger bekommt, gibt es ein paar Meter neben seinem Gehege eine Bude, die „Knutwurst“ verkauft. Sie besteht aus dem Fleisch von Schweinen aus Massentierhaltung, die mindestens so intelligent sind wie Knut und unsere Aufmerksamkeit genauso verdient haben.“
Natürlich ist uns klar, dass es ethisch verwerflich ist, dass männliche Küken geschreddert werden oder dass Schweine in 70 Zentimeter breiten Kastenständen eingepfercht werden. Das hat übrigens nichts damit zu tun, dass es in einem Stall nun einmal so aussehen muss und der träumerische Städter die Gegebenheiten auf dem Land nicht mehr kennt. Vielmehr liegt es an der Entwicklung eines industriellen Massengeschäfts, dessen Ursprung in unserer eigenen Maßlosigkeit liegt und die auf dem Land entsprechend bedient wurde.
Schweinesystem in der Fleischfabrik: Was schon im Stall schief läuft, setzt sich in der Weiterverarbeitung fort. Seit Jahren wird über die Arbeitsbedingungen von Werkvertragsarbeiten in der Fleischbranche diskutiert – wenn’s gerade passt, so wie jetzt in Corona-Zeiten. Immer wieder geriet in Vergessenheit, dass das Prinzip „viel und billig“ irgendwo seinen Ursprung haben muss. Dabei geht es nicht allein um die verwerflichen Arbeitsbedingungen, die Abzocke der Vermittlungsfirmen und das moralische Versagen von Tönnies und Co. Wenn der rumänische Arbeiter nach Niedersachsen kommt, um das Fleisch hier zu schlachten, das seine Familie dann wieder günstig in einem rumänischen Supermarkt kaufen kann, dann ist das keine Globalisierung, sondern schlicht und einfach ökologischer Unsinn. So ein System sollte keine Zukunft haben.
Der Blick über den Tellerrand: In welchen Ländern weltweit gerne möglichst viel Fleisch konsumiert wird, ist relativ schnell zu identifizieren. Man muss sich nur das durchschnittliche Gewicht der Bevölkerung und den Konsum von Blutdrucksenkern ansehen. Seit Jahrzehnten kommen allerdings immer weitere Länder hinzu. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung von Indien und China steigt auch dort der Fleischkonsum enorm. Die Folgen werden weltweit zu spüren sein. Dabei geht es nicht allein um die dadurch weiter zunehmende Massentierhaltung, sondern auch um klimatische Aspekte. Nun kann niemand Chinesen und Indern verbieten, sich an der Stelle dem westlichen Lebensstil anzupassen. Allerdings müsste im Westen aber einmal der eigene Lebensstil hinterfragt werden.
Es geht um XXL-Bratwürste, um 270-Gramm-Schokoladentafeln, um drei T-Shirts für nur fünf Euro, um SUV’s, in denen man im Kofferraum seinen halben Hausstand spazieren fahren könnte.
Die Ursache einer Fehlentwicklung sind wir selbst, und es geht dabei nicht allein um unseren Fleischkonsum, um die drei Scheiben Salami auf dem Brötchen. Es geht um XXL-Bratwürste, um 270-Gramm-Schokoladentafeln, um drei T-Shirts für nur fünf Euro, um SUV’s, in denen man im Kofferraum seinen halben Hausstand spazieren fahren könnte. Und wer ist bei einer Fisch-Restaurantkette eigentlich einmal auf die Idee gekommen, dass man zwischen zwei Brötchenhälften dringend gleich zwei Backfische quetschen muss?
Irgendwann in den vergangenen zwanzig oder dreißig Jahren, irgendwo zwischen „Geiz ist geil“ und den „Super-Framstagen“ einer Supermarktkette hat diese Gesellschaft Maß und Mitte verloren. Belohnt wurde sie auf dem Weg nicht mit mehr Wohlstand, sondern mit mehr Müll. Und so ist es auch mit dem Fleisch: Es ist so viel davon da, dass wir es gar nicht essen können, und so landen tonnenweise Fleisch und Wurst, für das Tiere unter fragwürdigen Umständen ihr Leben lassen mussten, auf dem Müll. Das ist unethisch, ich bleibe bei Null. Es fällt übrigens überhaupt nicht schwer, probieren Sie es einmal aus.
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CONTRA: Fleisch ist ein Stück Lebenskraft? Das war vielleicht mal. Fleisch ist zur Massenware geworden, abgepackt in Plastikfolien in den Supermärkten. Eine Umkehr ist wichtig, die Massenproduktion in viel zu großen, für Tiere unzumutbaren Ställen muss aufhören. Dazu müssen wir aber keine Vegetarier werden. Es reicht, den Fleischkonsum zu beschränken – und als Verbraucher nein zu sagen zu unwürdigen Haltungsbedingungen, meint Klaus Wallbaum.
Respekt vor Vegetariern – viele von ihnen legen eine beeindruckende Konsequenz an den Tag. Die Gefahr einer solchen Haltung ist schnell, dass sie moralisch überhöht und ideologisiert werden kann. Wenn Vegetarier auftreten wie die besseren Menschen, erreichen sie bei den anderen kein Verständnis, sondern Ablehnung. Wobei an dieser Einstellung schon klar wird, wo der Kern der „Ernährungswende“ liegt, die von Wissenschaftlern, Politikern und Umweltschützern gleichermaßen gefordert wird – nämlich im Verhalten der einzelnen Menschen, in der Ethik. Die Verbraucher haben es in der Hand, die Einkäufer in den Supermärkten, die Gäste im Restaurant, die Konsumenten an der Würstchentheke.
Wenn jeder zwei Regeln beherzigt, haben wir schon einen großen Fortschritt erreicht. Die erste Regel lautet, auf Billig-Angebote beim Fleisch möglichst zu verzichten. Wenn man ein Steak, Thüringer Mett, Schinken, Putenfleisch oder Bratwürste kauft, dann sollte es möglichst Ware eines Betriebes sein, der mit den Tieren vorher würdevoll umgegangen ist. Die zweite Regel lautet, den Konsum von Fleisch zu beschränken – vielleicht auf zwei oder drei Tage die Woche maximal, es sollte aber nicht an jedem Tag verzehrt werden.
Massentierhaltung verstößt gegen den Tierschutz, gegen den Klimaschutz, vermutlich gegen Grundsätze der gesunden Ernährung und auch gegen Arbeits- und Wohnnormen, wenn man die Bedingungen der Werkvertragsarbeiter in diese Überlegungen einbezieht.
Leider hat es in der Vergangenheit immer dann, wenn jemand solche Regeln gefordert hat, einen Sturm der Entrüstung gegeben. Man wolle die Verbraucher gängeln, hieß es dann gern, man wolle ihnen vorschreiben, wie sie sich verhalten wollen – und das sei Bevormundung und eine Beschränkung der Freiheitsrechte. Rein formal ist etwas Wahres an diesem Vorwurf. Aber die Gesellschaft verändert sich, und die Corona-Krise hat gezeigt, dass der Staat den Bürgern für das Gemeinwohl (hier den Schutz vor Infektionen mit einem gefährlichen Virus) tatsächlich Verhaltensänderungen abverlangen kann.
Nun wäre ein staatlich verordneter Fleischverzicht wohl unverhältnismäßig und dürfte vor keinem Gericht des Landes Bestand haben. Aber eine Empfehlung, die dem Schutz wichtiger Werte des gesellschaftlichen Miteinanders dient, dürfte im Jahr 2020 schon erlaubt sein. Die plumpe Zurückweisung nach dem Motto „Ich lasse mir von niemandem mein Schnitzel verbieten“ verliert dann ihre überzeugende Wirkung, wenn die Verhältnisse, unter denen das Schnitzel hergestellt wurde, offensichtlich nicht mehr hinnehmbar sind. Massentierhaltung verstößt gegen den Tierschutz, gegen den Klimaschutz, vermutlich gegen Grundsätze der gesunden Ernährung und auch gegen Arbeits- und Wohnnormen, wenn man die Bedingungen der Werkvertragsarbeiter in diese Überlegungen einbezieht. Massentierhaltung trägt auch eine große Verantwortung für die zu hohe Belastung unseres Grundwassers.
Deshalb sind mehrere Schritte nötig: Tiere müssen mehr Platz haben, sie dürfen in den Ställen nicht eng zusammengepfercht werden. Der Respekt vor der Kreatur muss auch in den Schlachthöfen beachtet werden, deshalb sind Video-Überwachungen und ungemeldete Kontrollen der Behörden notwendig – Datenschutz hin oder her. Ein Tierwohl-Label auf allen Produkten ist als verpflichtender Weg nötig. Und wenn dann das Fleisch viel teurer wird als bisher? Die allgemeine Erwartung, die Verbraucher würden dann zum vielleicht ausländischen Billig-Produkt greifen, überzeugt nicht wirklich.
Am ersten Tag schreckt der Verbraucher vor dem hohen Preis zurück. Zuhause grübelt er. Am dritten Tag aber hat er es sich überlegt und gibt mehr Geld für ein gutes Stück Fleisch aus.
Wahrscheinlicher ist doch eher etwas anderes: Am ersten Tag schreckt der Verbraucher vor dem hohen Preis zurück. Zuhause grübelt er. Am dritten Tag aber hat er es sich überlegt und gibt mehr Geld für ein gutes Stück Fleisch aus. Dass er so handelt, hängt eben auch davon ab, ob die breite Mehrheit spürt, wie überfällig eine Abkehr von den derzeitigen Verhältnissen in dieser Wirtschaftsbranche ist. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass eine „öffentliche Bewusstseinsbildung“ möglich ist, sie hat die Sensibilität für Grundfragen der Gesellschaftsordnung erhöht. Je bekannter die Missstände in der Fleischbranche werden, auch das Übel mit den unzumutbaren Arbeitsbedingungen der Werkvertragsarbeiter, desto eher wird ein Umdenken auch hier möglich.
Vielleicht sollte die Landesregierung demnächst, wenn die Corona-Krise mal überwunden sein wird, ein neues Bündnis mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Kirchen, Kommunen und Parteien starten – nach dem Motto: „Zweimal die Woche Fleisch – das reicht!“ Dies könnte auch ein Startsignal sein für einen Wandel der vielen fleischverarbeitenden Betriebe, die für Niedersachsens Wirtschaftsstruktur wichtig sind – weg von der Massenproduktion, hin zu einer ökologischen, angemessenen Produktion. Eine gesellschaftliche Initiative dafür ist lohnenswert, und womöglich kann man die Verbände der betroffenen Erzeuger dabei sogar mitnehmen. Die Vegetarier müssen ja nicht unbedingt dabei sein, wenn sie nicht wollen.