Jetzt kommt es auf die 463.723 SPD-Mitglieder an. „Soll die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den mit der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) ausgehandelten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 abschließen? – Ja oder Nein“, so lautet die Frage beim Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag. Die Mitglieder können vom 20. Februar bis zum 2. März, 24 Uhr, über abstimmen. Aber sollte Deutschland überhaupt weiter von einer Großen Koalition regiert werden? Lesen Sie dazu ein Pro & Contra von Klaus Wallbaum und Martin Brüning.

Wir wollen nicht zu viele Argumente vorweg nehmen…. – Foto: isc

PRO:Schweren Herzens muss das schwarz-rote Bündnis für die nächste Bundesregierung nun sein, meint Klaus Wallbaum. Aber er gibt zu, dass auch er bei diesem Gedanken Bauchschmerzen bekommt.

Es fällt nicht leicht, dieses „Pro“ zu schreiben. Dabei liegen die Argumente auf der Hand, und sie haben sich auch in den vergangenen Monaten nicht wesentlich verändert. Nur: Das Verhalten der SPD-Spitze macht es einem verdammt schwer, überzeugende Gründe für diesen Schritt zu finden. Denn nach der – zugegeben altmodischen – Vorstellung von einer guten Regierung müssen Partner zusammenkommen, die ihre Ziele gemeinsam und ernsthaft verfolgen wollen. Wer zusammen regiert, muss sich gegenseitig vertrauen, einen klaren Blick nach vorn wagen und alle Kräfte darauf ausrichten, einen guten Job zu machen. Die Qualität der Regierungsarbeit muss dabei das Maßgebliche sein – und eben nicht die Frage, wie man in vier Jahren oder früher vom Wähler für das eigene Verhalten möglichst gut belohnt werden kann.

Insofern ist erst einmal viel, viel Skepsis angesagt. In der SPD hört man das törichte Argument immer öfter, dass man ja in den vergangenen vier Jahren der Großen Koalition unter Angela Merkel, Frank Steinmeier und Sigmar Gabriel „erdrückt“ worden sei von der übermächtigen Kanzlerin. Dass Merkel es gewesen sei, die die Lorbeeren erhalten habe, nicht die Sozialdemokraten – obwohl doch die Politik weitgehend sozialdemokratisch geprägt war, von Mindestlohn über Mietpreisbremse bis Energiewende. Das mag in der Verkürzung manchen überzeugen, hält aber einer genauen Analyse nicht stand. Immerhin war es doch SPD-Spitzenkandidat Martin Schutz mit seinem Slogan „Zeit für Gerechtigkeit“ der im Wahlkampf so tat, als habe die SPD mit der Bundesregierung gar nichts zu tun, als sei jetzt die Zeit für einen radikalen Wechsel gekommen. Statt sich zu den Erfolgen der SPD in der Regierung zu bekennen, führte Schulz einen Oppositionswahlkampf. Weil er aber keine glaubwürdige Alternative darstellen konnte, wurde die SPD abgestraft. Der Preis dieses Wahlkampfes aber war, dass von sozialdemokratischer Seite die Regierungspolitik schlecht geredet wurde, die Ministermannschaft erschien insgesamt als geschwächt – und so musste vor allem die Union drastische Verluste einstecken. AfD, FDP und Grüne konnten sich freuen.

Warum, nach all diesen Einwänden, sollte es doch eine Große Koalition geben? Ganz einfach, weil das Land eine stabile Regierung braucht und derzeit nicht erkennbar ist, wie das ohne das jetzt vereinbarte Bündnis von Union und SPD klappen könnte

Und jetzt? Es spricht Hohn, dass federführend für die Koalitionsbeschlüsse in den vergangenen Tagen ausgerechnet die SPD-Politiker waren, die die ganze Misere zu verantworten haben – und die darüber hinaus seit September zunächst ganz auf Opposition eingestellt waren. Martin Schulz hatte Stein und Bein geschworen, in eine Regierung mit Angela Merkel nicht eintreten zu wollen. Dann wollte er Außenminister im neuen Kabinett Merkel werden, das er selbst großspurig verkündet. Die Resonanz war vernichtend – und so warf er dann einen Tag später wieder hin. Die ganze Personalplanung wirkt dilettantisch und unüberlegt. Gut, dass Schulz im letzten Moment noch die Kurve gekriegt hat. Man hätte es ihm sowieso nicht geglaubt, ernsthaft an der Seite der Union Bundespolitik gestalten zu wollen. Die nächste ist Andrea Nahles, die neue starke Frau der SPD. Fraktions- und Parteichefin soll sie werden, damit die mächtigste SPD-Figur der Großen Koalition. Jeder hat seinen eigenen Stil, aber es gibt Grenzen. Nahles überschreitet diese, sie verstößt mit ihrem unhöflichen Benehmen immer wieder gegen den ungeschriebenen Kodex, dass Politiker Vorbilder sein sollen. Das schlimmste ist aber auch hier die Verachtung, die diese Sozialdemokratin dem künftigen Regierungspartner gegenüber ausdrückt. Sie wollte den Unionspolitikern erst „in die Fresse“ hauen, bezeichnete den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt öffentlich als „blöd“ und hat ihren „Bätschi“-Spruch mit der Ankündigung verknüpft, dass ihr Haushaltsdisziplin im Umgang mit Steuergeldern herzlich egal ist. Und so jemand soll nun ernsthaft an einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit den Christdemokraten und Christsozialen in der Regierung interessiert sein? Das klingt unglaublich.

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Die CDU-Seite hat nun ganz andere Probleme. Die Kanzlerin hat über Jahre dafür gesorgt, dass im Dunstkreis ihrer Macht nur Politiker wirken, die inhaltlich entweder unauffällig sind, technokratisch oder derart angepasst, dass nicht der geringste Dissens zu Angela Merkel erkennbar wird. Man denke an Hermann Gröhe oder Volker Kauder. Die Partei ist viel zu gleichförmig, sogar in den Ländern fehlen starke, eigenständige Figuren – lediglich die CSU mit Horst Seehofer kann man als solche ansehen. Dass in den Untergliederungen der Union der Unmut immer größer wird, dass gerufen wird nach Diskussion, Dialog und inhaltlichem Streit, ist nur zu verständlich. Dabei sind es nicht einmal nur die konservativen Kräfte, die hier aufbegehren. Zunehmend melden sich Leute, die einfach nur wieder mehr Lebendigkeit in die Partei bringen möchten. Ausgerechnet jetzt, in einer Phase erkennbarer Schwäche nach den vielen Zugeständnissen an die SPD in den Koalitionsgesprächen, wird Merkel zur Abgabe eines Teils ihrer Machtpositionen gedrängt. Das dürfte ihr besonders schwer fallen.

Warum, nach all diesen Einwänden, sollte es doch eine Große Koalition geben? Ganz einfach, weil das Land eine stabile Regierung braucht und derzeit nicht erkennbar ist, wie das ohne das jetzt vereinbarte Bündnis von Union und SPD klappen könnte. Wie soll die Alternative, eine Minderheitsregierung, mit einer ohnehin schon geschwächten Merkel überhaupt funktionieren? Das droht zu einem Desaster zu werden. Also bleibt zu hoffen, dass die SPD-Mitglieder am Ende mehrheitlich zustimmen – und dass sich die Akteure in der Regierung anschließend doch zusammenraufen. Am einfachsten ginge das vielleicht, wenn nach Martin Schulz noch andere über ihre Schatten springen: Merkel gibt das Kanzleramt an Annegret Kramp-Karrenbauer ab, die SPD belässt Gabriel – allen seinen persönlichen Schwächen zum Trotz – doch in der Position des Außenministers. Er hat immerhin gezeigt, dass er in einer Großen Koalition konstruktiv arbeiten kann. Die in großen Teilen der SPD enorm überschätzte Andrea Nahles sollte sich ebenfalls zurückziehen und Manuela Schwesig als neue SPD-Vorsitzende empfehlen. Fraktionschefin kann sie ja bleiben, vorläufig. Nur mal so als Vorschlag.

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CONTRA: Es ist keine Liebesheirat, es ist nicht einmal eine Zweckehe. Man kann nur hoffen, dass eine Mehrheit der SPD-Mitglieder dieser teuren Notgemeinschaft schon vor dem Start ein Ende bereitet, meint Martin Brüning.

Die AfD im Bundestag plant einen 20-köpfigen Newsroom mit Schichtbetrieb. Dass diesem Newsroom die Nachrichten nicht ausgehen werden, dafür sorgen gerade Union und SPD in Berlin. Bad News are Good News – von diesen schlechten Nachrichten dürfte es in den kommenden Jahren mehr als genug geben. Die Partner in spe haben einen knapp 180-seitigen Vertrag für eine Ehe ausgearbeitet, die schon ramponiert erscheint, bevor überhaupt der Ring an den Finger gesteckt wurde. Es ist keine Liebesheirat, es ist nicht einmal eine Zweckehe. Es ist der Zusammenschluss zweier müder, ausgelaugter Partner, die nicht einmal mehr die Kraft zum Fremdgehen aufbringen würden. Eine Notgemeinschaft.

Die Situation erinnert ein wenig an das vergangene Jahr im Nachbarland Österreich, in dem ebenfalls eine Große Koalition am Ende ihrer Geschichte angekommen war. Es waren auch hier zwei Partner, die sich nur noch wenig zu sagen hatten und für die es kein Weiter so mehr geben konnte. Auch in Deutschland hat sich die Große Koalition schon in der letzten Legislaturperiode vor allem durch teures politisches Stückwerk ausgezeichnet. Eine überflüssige Maut, eine nichtsnutzige Mietpreisbremse und eine Rente mit 63, die nicht nur kommende Generationen noch teuer bezahlen werden. „Ich habe fertig“, würde Giovanni Trapattoni an dieser Stelle wohl sagen.

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Dass nun über dem neuen Koalitionsvertrag ausgerechnet die Worthülsen „neuer Aufbruch“ und „neue Dynamik“ zu lesen sind, macht das Schriftstück schon von der ersten Seite an unglaubwürdig. Denn das Dokument enthält weder einen Aufbruch, noch eine Dynamik. Im Gegenteil: Die Große Koalition bleibt vor allem in einem groß: im Geld der Steuerzahler ausgeben. Das Wort sparen findet sich auf den 179 Seiten nicht einziges Mal. An einer Stelle ist von Einsparungen die Rede – da geht es allerdings um CO2-Einsparungen – die nehmen der Großen Koalition allerdings nicht einmal die Grünen ab. Dass in Zeiten von Steuerüberschüssen in Milliardenhöhe gerade einmal eine schwarze Null versprochen wird, ist an finanzpolitischer Ambitionslosigkeit kaum zu überbieten.

Es sagt viel aus über eine vollkommen verunsicherte SPD , dass sie trotz eines Koalitionsvertrages, der auf zu vielen Seiten mit roter SPD-Tinte geschrieben wurde und der Wirtschaft das Fürchten lehrt, mit der Großen Koalition hadert. Und es sagt viel aus über eine inhaltlich vollkommen entkernte CDU, dass sich der innerparteiliche Unmut über die Großen Koaltion ausgerechnet am Verlust des Finanzminister-Postens für die CDU entzündet. Politische Posten statt politische Positionen: damit ist langfristig politisch kein Staat zu machen. Im Prinzip würden beiden Partei eine Regierungsauszeit gut tun, aber ohne die CDU wird es wohl nicht gehen.

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Nun kann man davon ausgehen, dass dieses – auch wirtschaftlich – starke Land weitere vier Jahre mit einer Großen Koalition mit sozialdemokratischer Umverteilungspolitik überleben wird. Aber: die Frust-Koalition könnte mittelfristig zu weiteren tektonischen Verschiebungen im Parteiensystem führen. Niemand kann heute vorhersagen, wer von der Selbstverzwergung der ehemaligen Volksparteien profitieren wird. Es muss nicht unbedingt die AfD sein. Eines ist jedoch sicher: Das Finden und Bilden von Koalitionen dürfte damit in Zukunft eher noch schwieriger werden. Sowohl im Hinblick auf die nahe als auch die ferne Zukunft wäre es deshalb besser, wenn die Mitglieder der SPD diese geplante Notgemeinschaft aus Union und SPD ablehnen würden.

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