Die Große Koalition in Niedersachsen wird sich erneut mit einer Novelle des Bestattungsgesetzes befassen müssen. In der letzten Legislaturperiode hatte das rot-grüne Kabinett beschlossen, dass das Verstreuen der Asche von Verstorbenen auf dem Friedhof in Niedersachsen verboten bleiben soll. Sollten SPD und CDU daran festhalten? Lesen Sie dazu ein Pro und Contra von Martin Brüning und Klaus Wallbaum.

Pro & Contra: Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum

PRO: Die tolerante Gesellschaft endet nicht mit dem Tod – in diesem Fall fängt sie an dieser Stelle gerade erst an.  Aber Staat und Kirche lassen uns nicht aus ihren Händen, nicht einmal nach unserem Ableben, beschwert sich Martin Brüning.

„Meine liebe Gattin! ich erwarte Dich da, wo kein Tot mehr ist!“ So steht es auf dem Grabstein des Seefahrers und Landwirts Rickmer Arfsten, der auf dem Friedhof der Kirche Sankt Laurentii auf der Insel Föhr begraben liegt. Wer dort über den Friedhof schlendert, findet viele „redende Grabsteine“ mit den Geschichten der Verstorbenen. Rickmer Arfsten „ehelichte seine neben ihm ruhende Gattin Mattje Flor, mit der er eine 39 jährige vergnügte Ehe geführet hat. In seinem 29 jährigen glücklichen Seeberufe sowohl als nachher zuhause in der Landwirtschaft hat er sich stets redlich und fleißig bewiesen“, lesen wir unter anderem auf dem Stein. Arfsten starb 1828. Heute wäre eine solche Lebensgeschichte auf einem Grabstein eher ungewöhnlich.

Die Beerdigungskultur ist nicht erst seit ein paar Monaten im Wandel. Wer seine Lebensgeschichte nach dem Tod festhalten möchte, kann sein Facebook-Profil in einen digitalen „Gedenkzustand“ versetzen lassen. Der Steinmetz wird dafür nicht mehr benötigt. Für ihn gibt es inzwischen ohnehin weniger Arbeit. Denn immer mehr Menschen lassen sich in Urnen oder auf hoher See bestatten. Manchmal spielen dabei die hohen Kosten einer traditionelle Bestattung eine Rolle, oftmals aber auch einfach geänderte Ansichten über die Beerdigungs-Rituale. „Ist der normale Friedhof zum Auslaufmodell geworden?“, fragte schon die katholische Kirche in einem Artikel auf ihrem Internetportal.

Der Tod sei keine Privatsache, ist immer wieder zu hören. Was aber soll denn privater sein als der eigene Tod?

In Bremen kann die Asche nach dem Tod inzwischen sogar abseits von Friedhöfen verstreut werden. In Niedersachsen scheiterte dagegen in der letzten Legislaturperiode schon eine Minimal-Liberalisierung des Bestattungsgesetzes. Sozialministerin Cornelia Rundt wollte erreichen, dass die Asche von Verstorbenen zumindest auf einem Teil des Friedhofs verstreut werden darf. Das Ministerium wollte damit „den Wünschen vieler Menschen Rechnung tragen“. Aber die Wünsche vieler Menschen sind offensichtlich nicht deckungsgleich mit den Ansichten der Kirche und der damaligen Mehrheit der Kabinettsmitglieder. Nicht einmal nach unserem Tod lassen und Staat und Kirchen uns aus ihren Händen. Das ist in diesem Fall leider nicht beruhigend, sondern erdrückend.

Der Tod sei keine Privatsache, ist immer wieder zu hören. Was aber soll denn privater sein als der eigene Tod? Es sollte jedem Individuum überlassen werden, wie mit seinen sterblichen Überresten umgegangen werden sollte. Der selbstbestimmte Mensch sollte das entscheiden können, wenn er es denn entschieden hat. Dabei sollten auch die Familienmitglieder keinen Vorrang haben und erst recht nicht Kirchen oder Staat. Mit der Möglichkeit, die Asche in einer Ecke des Friedhofs zu verstreuen, wären wir immer noch meilenweit von Möglichkeiten in anderen Ländern entfernt. In Frankreich kann die Asche aus einem Heißluftballon, Hubschrauber oder Flugzeug in die Luft gestreut werden; in den USA kann die Asche einen Toten mit einem Satelliten ins All befördert werden. Man kann das unangemessen finden. Aber warum sollte man einem Menschen diesen Wunsch verwehren?

Wenn Gesetze oder Kosten mit der Realität nicht mehr in Einklang zu bringen sind, finden Menschen Wege, diese zu umgehen. Zum selbstbestimmten Sterben fahren manche inzwischen in die Schweiz oder die Niederlande. Und die günstige Einäscherung gibt es in Polen oder Tschechien. Anstatt Menschen mit veralteten Regeln ins Ausland zu treiben, wäre es besser, diese Regeln an die Realität anzupassen. Die tolerante  Gesellschaft endet nicht mit dem Tod – in diesem Fall fängt sie an dieser Stelle gerade erst an.

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Evangelische und katholische Kirche sehen durch das Verstreuen der Totenasche die Totenruhe verletzt –
Foto: majorosl66

CONTRA: Die Regeln, nach denen bei uns Menschen bestattet werden, haben viel mit kulturellen Überlieferungen zu tun. Wir sollten das achten und respektieren, meint Klaus Wallbaum.

Nein, mit dem Tod ist eben nicht alles aus. Ob es eine Wiederauferstehung gibt, ob die Seele fortbesteht, ob der Körper, der zu Erde wird, die Quelle neuen Lebens ist – diese Fragen beschäftigen die Theologen und Philosophen, sie sind wichtig und werden so gut wie jeden Menschen früher oder später beschäftigen – spätestens dann, wenn er sie nicht mehr verdrängen kann. Es sind Existenzfragen – ganz so wie die nach der Einzigartigkeit des Lebens auf der Erde und nach den fremden Wesen irgendwo im Weltall. Der Staat darf und kann Antworten darauf nicht vorschreiben oder regeln. Aber wir sollten umgekehrt auch nicht so tun, als ob wir die Frage von Bestattungsritualen oder Beerdigungsformen frei von Kultur, Geschichte und Tradition entscheiden könnten. Richtig, immer weniger Menschen pflegen den christlichen Glauben und die christlich überlieferten Traditionen. Aber richtig ist auch, dass die Kultur des Zusammenlebens in der Bundesrepublik auf diesen Traditionen aufbaut, und das allein begründet schon den Anspruch, sie zu achten und zu beherzigen.

Konkret heißt das: Es ist richtig, in Niedersachsen das Verstreuen der Totenasche auf dem Friedhof nicht zu gestatten. Dass die Kirchen es waren, die dies mit ihrem Protest gegen den ursprünglichen Gesetzesplan der damaligen Sozialministerin Cornelia Rundt vor etlichen Monaten durchgesetzt haben, ist ihr Verdienst. Damit wird das aber nicht zu einer Angelegenheit der Kirchen. Der Landtag hätte es auch ohne diesen Einwand stoppen müssen – aus Verantwortung gegenüber den eigenen Sitten und Bräuchen in der Gesellschaft, die nun einmal vom Christentum und seinen Ritualen geprägt wurden. „Die Identität verweht mit dem Tod gerade nicht“, sagt die hannoversche Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track. Sie hat recht. In unserer Gesellschaft soll eben niemand die Chance haben, die Erinnerung an sich, sein Leben und Wirken, vollkommen auslöschen zu können. So viel Selbstverachtung, wie in dieser Entscheidung stecken kann, sollte weiterhin nicht toleriert werden. Und überhaupt: Sind die Menschen imstande, ihren „letzten Willen“ frei zu fällen, wenn sie unter dem Druck stehen, den Angehörigen mit der Grabpflege nicht zur Last fallen und keine Kosten verursachen zu wollen? Die Selbstbestimmtheit des Lebens endet mit dem Tod – denn jeder Mensch hinterlässt Angehörige, Freunde, Wegbegleiter oder, langfristig gedacht, Nachfahren und Nachfahren von engen Wegbegleitern. Das Recht dieser Nachfahren, später den Ort finden zu können, wo die sterblichen Überreste des Menschen liegen, sollte wichtiger sein als die Entscheidung des Menschen, wie mit seinem Leichnam umgegangen werden soll. Jeder Mensch ist einzigartig, über seinen Tod hinaus.

In unserer Gesellschaft soll niemand die Chance haben, die Erinnerung an sich, sein Leben und Wirken, vollkommen auslöschen zu können.

Natürlich gibt es die Freiheit, sich beerdigen oder verbrennen zu lassen. Natürlich bleibt auch die Freiheit, als letzte Ruhestätte etwa ein eigenes Grab oder einen Friedwald zu wählen – ein Gelände, bei dem nicht genau nachvollziehbar ist, an welcher Stelle genau die Urne nun liegt. Auch die Seebestattung ist derzeit rechtlich zulässig, obwohl sie, streng genommen, diesem Prinzip widerspricht und eigentlich nicht erlaubt werden sollte. Aber es ist gut, dass die Vielfalt der Bestattungsformen und -bedingungen in Niedersachsen eine Grenze findet.

Die Frage nach den Ritualen von Bestattungen, nach Sitten und Gebräuchen im Umgang mit dem Tod ist eine Kernfrage unserer Gesellschaft. Dahinter ist tatsächlich eine für jedermann höchst persönliche Ansichtssache verborgen: Ist mit dem Tod alles zu Ende und vergessen, was einen Menschen ausgemacht hat? Sind wir nur materielle Existenzen, die eine gewisse Zeit auf Erden haben und danach gefälligst verschwinden sollten? Es mag sein, dass es immer mehr Menschen gibt, die so denken und glauben. Aber die Grundregeln unserer Gesellschaft, der abendländischen Kultur überhaupt, bauen eben auf einem anderen Menschenbild auf – auf der Fort- und Weiterexistenz, in welcher Form auch immer, nach dem Tode. Das sollte weiterhin bestimmend bleiben für die Art und Weise, wie wir mit den Verstorbenen umgehen.

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