Pro & Contra: Islamvertrag
Darum geht es: Die CDU-Landtagsfraktion bricht die Gespräche zum Islamvertrag ab. Die übrigen Landtagsfraktionen beraten das Thema in der kommenden Woche. Was spricht dafür, was dagegen? Die Redaktion des Rundblicks argumentiert pro und contra.
PRO: Der Vertrag mit Schura und Ditib sollte gerade jetzt beschlossen werden, meint Klaus Wallbaum:
Sicher ist der Verdacht berechtigt, es gibt ja auch jeden Tag neue Belege dafür: Die türkische Führung um Staatspräsident Erdogan versucht, ihren Einfluss in allen ihr nahestehenden Organisationen auszuweiten – auch in Deutschland. Der gescheiterte Putschversuch bietet den perfekten Vorwand für eine Machtausdehnung Erdogans, und man muss befürchten, dass über kurz oder lang damit die Abschaffung der türkischen Demokratie bezweckt wird. Vor nationalen Grenzen macht Erdogan nicht halt, und die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass auch scheinbar nur religiöse Verbände in Deutschland wie Schura oder Ditib von der Führung in Ankara schamlos für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert werden.
Sollten wir daraus den Schluss ziehen, den Kontakt zu diesen Verbänden abzubrechen? Das wäre der verkehrte Weg. Die Entschlossenheit und Schärfe, mit der die türkische Führung derzeit auftritt, soll Stärke nur vorspielen. In Wirklichkeit ist Erdogans Aufbegehren, sein rabiates Verhalten gegenüber Oppositionellen, nur ein Zeichen von Schwäche. Auch bei Ditib und Schura gibt es moderate Kräfte, die eine Politisierung der Predigten in den Moscheen nicht wollen. Den Islamvertrag jetzt zu beerdigen hieße, diesen moderaten Leuten vor den Kopf zu stoßen. Der Vertrag gibt immerhin die Chance, die Islamverbände auf das deutsche Grundgesetz, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Toleranz gegenüber allen Religionen einzuschwören. Er ist ein Angebot an Schura und Ditib, sich in die deutsche Gesellschaft nach den in Deutschland geltenden Regeln einzugliedern. Verzichtet man auf dieses Angebot, dann verzichtet man auch auf den Versuch, die vernünftigen Kräfte bei den Islamverbänden zu unterstützen.
Eines ist allerdings auch klar: Man kann nicht so tun, als wenn es die Radikalisierung in der Türkei und auch bei den Erdogan-freundlichen Türken in Deutschland nicht gäbe. Wer den Islamvertrag beschließen will, muss die demokratischen Grundsätze und das Bekenntnis zu den liberalen Werten noch stärker betonen als bisher. Das muss nicht heißen, den Vertragsentwurf noch einmal umzuschreiben. Aber eine feierliche Unterzeichnung, in der die aktuellen Probleme nicht angesprochen werden, ist nicht vorstellbar. Das hieße, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.
CONTRA: Der Vertrag mit Schura und Ditib sollte jetzt nicht beschlossen werden, meint Martin Brüning:
Politische Entscheidungen sind immer im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen. Anti-Terror-Gesetze, Agenda 2010, Atomausstieg – vieles wird verständlicher, wenn man Geschehnisse und Stimmungen im Umfeld dieser Entscheidungen betrachtet.
Wir leben in unruhigen Zeiten. Um die Verunsicherung vieler Menschen wahrzunehmen, braucht es keinen sogenannten Angstindex, den eine Versicherung seit längerem erhebt. Meine Generation, die Generation Golf, wie Florian Illies sie einst betitelte, erlebt so eine Zeit zum ersten Mal. Viele von uns sind im sicheren Wohlstand aufgewachsen. Den unheilvollen Terror der linksextremen RAF haben wir als Kinder nur am Rande und unbewusst erlebt. Die europäischen Staaten waren sich freundschaftlich verbunden und die Türkei gehörte irgendwie auch dazu – spätestens, wenn viele im Hotel in Antalya die Badehose auspackten. Im Gegensatz zum Internet waren Begriffe wie Schuldenkrise, Flüchtlingskrise (der als solcher ohnehin abzulehnen ist) und Terroranschläge wirklich Neuland für uns.
Wir sind verunsichert. Europa bröckelt, die Gefahr von Anschlägen ist präsent, und in Deutschland gehen zehntausende Menschen mit türkischem Hintergrund für einen türkischen Ministerpräsidenten auf die Straße, dessen demokratisches Verständnis in Frage zu stellen ist. Experten befürchten eine Islamisierung des Militärs und eine weitere Theologisierung der türkischen Politik. Ist das der richtige Zeitpunkt, um mit einer Erdogan-nahen Religionsgemeinschaft einen Vertrag zu unterzeichnen?
Wir sind weltoffen. Wir wissen, dass die Religion des Islam weder für die Anschläge noch für autokratische Machthaber verantwortlich zu machen ist. Aber wir sind auch vorsichtig geworden. Wenn alles so einfach und klar wäre, dann hätte der sogenannte Islamvertrag schon seit Jahren unterschrieben werden können. Die Entscheidung der CDU-Fraktion, die Gespräche zunächst einmal nicht fortzuführen, ist deshalb richtig.
Politische Entscheidungen sind immer im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen. Wenn Politik häufig davon spricht, die „Menschen mitzunehmen“, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Eine Verschiebung des Vertrags wäre weder ein Abschied von einer Willkommenskultur noch ein Misstrauensvotum gegen die Religion des Islam. Es ist schlichtweg nicht der richtige Moment für eine solche Vereinbarung.