
Weil das Gas knapp wird, aber niemand frieren soll, fordern alle Politiker eine völlig unvoreingenommene Debatte über alternative Formen der Strom- und Wärmeversorgung. Über Kernkraft wird wieder geredet, die Kohle erlebt eine Renaissance. Aber sollte man auch über Fracking nachdenken, die Gewinnung tiefliegender Gasvorkommen mittels chemikalischer Verfahren? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Im Winter wird die Bundesrepublik über die neuen LNG-Terminals auch große Mengen an flüssigem Schiefergas importieren, das in den USA durch Fracking gewonnen wurde. Dabei könnte der gleiche Rohstoff mit geringeren Umweltschäden auch hierzulande gefördert werden. Die Debatte über Fracking in Deutschland muss noch einmal neu geführt werden, meint Christian Wilhelm Link.

Tatsache ist: Ohne Erdgas, das aus unkonventionellem Fracking gewonnen wurde, können wir die deutsche Energieversorgung in den kommenden Jahren nicht gewährleisten. Dafür gehen der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Wärmewende für den Gebäudesektor einfach nicht schnell genug voran. In der Industrie ist Gas mit einem Anteil von 31,2 Prozent am Gesamtverbrauch immer noch der wichtigste Energieträger – vor Strom (21 Prozent) und Mineralöl (16 Prozent). Bei den Privathaushalten ist der Abstand sogar noch größer: 41,2 Prozent der Wohnenergie werden durch Gas gedeckt, weil etwa jede zweite Heizung eine Gasheizung ist. Und wie das Bundesamt für Statistik berichtet, werden 95 Prozent des in Deutschland eingespeisten Erdgases importiert. Dabei spielt Flüssiggas aus den USA nun eine zentrale Rolle, weil andere Brennstoffe auf dem Weltmarkt schlicht nicht zu bekommen sind – selbst die Diktatoren aus den arabischen Gasförderländern haben schon abgewinkt. Flüssiggas hat jedoch zwangsweise eine viel schlechtere Umweltbilanz als Leitungsgas. Durch den Transport, vor allem aber durch das Verflüssigen und die Regasifizierung wird zusätzliche Energie benötigt, die den CO2-Fußabdruck erhöht.
Sobald ein Rohstoff-Abbau etwas schmutziger wird, überlassen wir das gerne anderen Ländern. Fair ist das nicht.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geht davon aus, dass hierzulande genug Schiefergas lagert, um den deutschen Gasbedarf theoretisch zehn Jahre lang komplett zu decken. „Die größten Potentiale sind im norddeutschen Becken – und hier vor allem im Posidonienschiefer in einer Tiefe von mehr als 1000 Metern – zu erwarten“, heißt es in einer BGR-Studie von 2016. Damit käme also auch Niedersachsen als Fracking-Land infrage. Für die Landschaft und Natur vor Ort ist das natürlich kein schönes Szenario, aber wenn das Erdgas nicht hier gefördert wird, dann passiert das eben woanders – möglicherweise unter nicht so strengen Umweltauflagen. Leider ist die „Not in my backyard“-Haltung in Deutschland weit verbreitet. Sobald ein Rohstoff-Abbau etwas schmutziger wird, überlassen wir das gerne anderen Ländern, damit wir uns mit den Umweltauswirkungen nicht beschäftigen müssen. Die Rohstoffe und die daraus hergestellten Produkte nehmen wir dann aber trotzdem gerne. Fair ist das nicht, St. Florian lässt grüßen.

Zudem ist Fracking gar nicht so schlimm, wie es hierzulande oft dargestellt wird. Mit brennenden Wasserhähnen hat die hydraulische Risserzeugung zur Erschließung unterirdischer Lagerstätten nämlich nichts zu tun. Diese Bilder werden nach mehreren Fernsehbeiträgen zwar mittlerweile mit Fracking verbunden, sind aber ein Naturphänomen, das bei der oberflächennahen Methanförderung auftritt. Trotzdem berührt Fracking die Urangst der Menschen vor Trinkwasservergiftung nicht ganz unbegründet. Schließlich werden beim Aufbrechen des Untergrundes durch ein Gemisch aus Wasser und Quarzsand oder Keramikkügelchen unter einem enormen Druck von bis zu 1000 bar auch chemische Stoffe eingesetzt. Die Chemikalien haben aber nur die Aufgabe, das Wasser-Sand-Gemisch homogen zu halten und Keime abzutöten. Das ist auch ohne hochgiftige Stoffe möglich. Und zudem verweisen Fracking-Experten darauf, dass die Flüssigkeit nach unten gepumpt wird und nicht einfach wieder ins Grundwasser aufsteigen kann. Auch die BGR-Studie aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis: „Trinkwasserschutz und Fracking sind vereinbar.“
Die Bundesregierung sollte zumindest ergebnisoffen prüfen lassen, welchen Beitrag das Fracking für die Gasversorgung leisten könnte.
Trotz aller Gegenargumente wurde das konventionelle Fracking in Deutschland 2017 verboten. Gerade mal vier Forschungsbohrungen ließ der Bundestag noch zu, die aber gar nicht begonnen wurden, weil sich angesichts des Gegenwindes niemand mehr für die Technik interessierte. 2021 kam jedoch eine noch von der Großen Koalition eingesetzte Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass Fracking in bestimmten Regionen sinnvoll und das Risiko beherrschbar sein kann. Diesen Ansatz sollte man mit Blick auf die Versorgungssicherheit zumindest weiterverfolgen. Denn auch wenn deutsches Fracking-Gas kurzfristig die deutsche Energiekrise nicht abmildern kann, könnte es mittelfristig als Brückentechnologie noch wertvoll werden. Die Bundesregierung sollte zumindest ergebnisoffen prüfen lassen, welchen Beitrag das Fracking für die Gasversorgung leisten könnte. Bei den Ausmaßen, die die Energiekrise mittlerweile erreicht hat, müssen alle Optionen auf den Prüfstand.
CONTRA: Vor fünf Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das Fracking-Verbotsgesetz, seitdem sind unkonventionelle Fracking-Methoden hierzulande verboten. Die Schiefergas-Förderung kostet zu viel Zeit, stellt ein zu großes Risiko für das Klima, die Umwelt und die Gesundheit dar, meint Audrey-Lynn Struck.

Statt mit Gas können wir langfristig auch mit Geothermie heizen, statt aus Kohle können wir aus Windrädern und Photovoltaik-Anlagen Strom gewinnen. Und wie erzeugen wir Wasser, wenn der Niederschlag abnimmt und der Grundwasserspiegel sinkt? Deutschland hat ein Wasserproblem. Schon jetzt zählt die Bundesrepublik weltweit zu den Ländern, die am stärksten vom Wasserrückgang betroffen sind. Der Verlust soll bei rund 2,5 Gigatonnen oder Kubikkilometer im Jahr liegen, heißt es vom Direktor des Global Institute for Water Security in Kanada, Jay Famiglietti. Wasser ist also höchst schützenswert. Aber Fracking bedeutet eine Gefahr für das Wasser. Nur wegen des Gasmangels plötzlich mit Fracking zu beginnen und mögliche Risiken für die Umwelt und das Grundwasser zu vernachlässigen, wäre fahrlässig. Wir sind zu lange auf kurze Sicht gefahren, jetzt gilt es langfristige, möglichst risikofreie und klimafreundliche Lösungen für die nächsten Jahrzehnte zu finden.
Nur wegen des Gasmangels plötzlich mit Fracking zu beginnen und mögliche Risiken für die Umwelt und das Grundwasser zu vernachlässigen, wäre fahrlässig.
Fracking beeinflusst gleich auf zweierlei Wegen unsere Wasservorräte. Zum einen verbraucht eine Bohrung zwischen 300 bis 600 Kubikmeter Wasser. Zum anderen gibt es Kritiker, die befürchten, dass das Grundwasser durch die giftigen Chemikalien, mit denen beim Fracking der Boden aufgebrochen wird, verunreinigt werden könnte. In Deutschland soll das bisher nicht vorgekommen sein, schreibt der Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie auf seiner Website. Nach Ansicht des Bundesumweltministeriums allerdings soll die Förderung des Lagerstättenwassers und die Entsorgung der Fracking-Gemische höchst riskant für die Umwelt sein.
Bei der Schiefergas-Förderung wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in die Gesteinsschichten gepresst, durch Druck entstehen dann Risse, durch die das Gas entweichen kann. Zusätzliche Stützmittel halten die Risse offen. Wurde erst einmal das ganze Gas gefördert, wird das anfallende Lagerstättenwasser (Flowback) wieder nach oben gepumpt, das Bohrloch versiegelt. So zumindest die Theorie. In der Praxis bleibt ein Teil der Fracking-Flüssigkeit im Boden, die Menge ist nicht bekannt. Ob sich das Gemisch durch die feinen Risse verbreiten oder mögliche giftige Verbindungen mit anderen Stoffen eingehen, ist ebenfalls ungeklärt. Eine weitere potentielle Gefahr: Die Fracking-Flüssigkeit kann durch natürliche Verwerfungen im Untergrund strömen und dort das Spannungsgefüge stören. Die Folge könnten Erdbeben sein. Als ziemlich sicher gilt indes, dass natürlich vorkommende Schadstoffe austreten können. Methangas, das etwa 25-mal klimaschädlicher als CO2 ist, und auch das krebserregende Benzol können bei schlechter Abdichtung der Bohrlöcher entweichen. Anfang 2022 veröffentlichte die US-Universität Harvard eine Studie, nach der über 65-Jährige, die in der Nähe von US-Fracking-Standorten leben, früher sterben würden als Gleichaltrige mit einem anderen Wohnort.

Die teils widersprüchliche Debatte um das Thema Fracking zeigt: Wir brauchen mehr Fakten, mehr Langzeitstudien. Erdgas sei keine Brückentechnologie hin zur Energiewende, wie einige deutsche Forscher in einer Anfang Juli veröffentlichten Studie bemängelten. Durch Investitionen in fossile Energie entstünden vielmehr fossile Pfadabhängigkeiten, die eine Energiewende verzögerten. Genau das sollten wir aber trotz Energiekrise nicht aus den Augen lassen: die Energiewende und erneuerbare Energien. Das Argument, wir bräuchten viel zu lange für den Ausbau der erneuerbaren Energien und sollten deshalb kurzfristig die Schiefergas-Förderung betreiben, läuft zum großen Teil ins Leere. Gerade Fracking kostet neben Wasser, Materialien und Geld vor allem eines: Zeit.
Einige Experten gehen gar davon aus, dass erst in zehn Jahren mit nennenswerten Gasfördermengen zu rechnen sei.
Einige Experten gehen gar davon aus, dass erst in zehn Jahren mit nennenswerten Gasfördermengen zu rechnen sei. Unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben, die erst einmal geändert werden müssten, bräuchte es zuerst Untersuchungen inklusive Probebohrungen der möglichen Gebiete, bevor der erste Bohrturm aufgebaut wird. Eine Herausforderung für Deutschland, zumal hier bisher kaum Erfahrungen auf dem Gebiet der Schiefergas-Förderung vorhanden sind. Hinzu kommt ein Platzproblem. Fortlaufend muss gebohrt werden, weil die Gasfelder schnell erschöpft sind. Im Gegensatz zu den USA ist Deutschland aber dichtbesiedelt, Fracking konkurriert so mit Naturschutzgebieten, landwirtschaftlichen Flächen und möglichen zukünftigen Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie Standorten für Windkraft- oder Photovoltaikanlagen.