Dieses Jahr ist ein Ausnahmejahr: Auch in Niedersachsen gilt 2017 der Reformationstag am 31. Oktober als Feiertag – weil es genau 500 Jahre her ist, dass Martin Luther seine Thesen in der Wittenberger Schlosskirche an das Hauptportal geschlagen haben soll. SPD und Grüne, teilweise auch Politiker der CDU, fordern nun generell für Niedersachsen einen zusätzlichen Feiertag. FDP und Arbeitgeberverbände sind strikt dagegen.

Klaus Wallbaum (links) und Martin Brüning - symbolisch mit der hannöverschen Marktkirche in der Mitte

Klaus Wallbaum (links) und Martin Brüning – symbolisch mit der hannöverschen Marktkirche in der Mitte – Foto: isc

 

PRO: Die Forderung nach einem zusätzlichen Feiertag sollte mit Sympathie aufgenommen werden – denn er könnte zur Entschleunigung der Arbeitswelt beitragen, meint Klaus Wallbaum.

Den „heiligen Sonntag“, an dem nicht gearbeitet wird, gibt es für immer weniger Menschen. Sonnabends arbeitsfrei? Auch das ist für viele keine Realität mehr. Feierabend um 18 oder 19 Uhr? Überstunden gehören heute zur Realität. Wie sehr sich die Arbeitswelt verändert hat, wurde für viele Menschen erst 1996 und später dann noch mal 2003 deutlich, als in Deutschland die bis dahin sehr strengen Ladenschlusszeiten gelockert wurden. Heute haben Supermärkte am Sonnabend regelmäßig bis 20 Uhr offen, manche bis 22 Uhr. Vor 60 Jahren wurde schon als großer Fortschritt gefeiert, den ersten Sonnabend im Monat bis 18 Uhr einkaufen zu können – das war dann der „lange Samstag“.

Heute ist jeder Tag lang, und das ist auch gut so. Gleichzeitig sind in vielen Branchen die Arbeitszeiten gesenkt worden. Das bedeutet: Den Menschen wird heute mehr Flexibilität abverlangt, dazu gehört auch die Bereitschaft, schneller mal einspringen und andere vertreten zu können. Der wachsende Stress, den die Arbeitswelt heute mit sich bringt, wirkt sich nicht unbedingt in höheren Anstrengungen oder längeren Diensten aus – sondern eher in dem Anspruch, aufmerksamer und reaktionsschneller zu sein. Weil das so ist, hat auch jede Entschleunigung einen hohen Wert. Ein zusätzlicher Feiertag in Niedersachsen bedeutet nicht, dass dann auf einen Schlag alle frei hätten. Er kann sogar mehr Arbeit bedeuten – etwa im Tourismus- oder Gaststättengewerbe. Aber er bedeutet für eine große Zahl von Menschen, dass sie „runterfahren“ können, das Tempo und die Aufmerksamkeit ein wenig drosseln. Solche Gelegenheiten gibt es, aber in Süddeutschland häufiger als in Niedersachsen. Deshalb wäre es nur recht und billig, wenn der Norden nachzöge.

Noch ein Argument mit Verweis auf die Biologie des Menschen: Im Herbst, der hektischen Vorweihnachtszeit, klagen viele Leute über zu wenig Ruhe, zu wenig Muße. Als es den Buß- und Bettag noch als Feiertag gab, war das für viele eine Art Zwangspause in aufgewühlten Wochen. Diese Unterbrechung hatte große Vorteile. Heute, ohne diesen Feiertag, fehlt gerade in der dunklen und trüben Jahreszeit etwas. Viele kommen nicht mehr zur Besinnung.

Das führt zu der Frage, welcher Feiertag es denn sein sollte. Der Reformationstag böte einen pragmatischen Grund – man müsste aus der Ausnahme 2017 einfach eine Regel für die Folgejahre machen. Auch die katholische Kirche steht heute positiv zur Reformation, weil Martin Luthers Wirken auch ihre Arbeit verändert hat, selbst wenn sich Luther damals gegen den Papst wandte. Sogar für jene, die keine Christen sind, wäre der Reformationstag als Feiertag sinnvoll – denn damit wird nicht nur an ein religiöses, sondern an ein großes historisches Ereignis in Deutschland erinnert. Luther hat für die Befreiung der Menschen von den Vorgaben der Kirche und für den freien Geist gestritten – er kann damit auch ein Vorläufer der Aufklärung genannt werden. Tatsächlich muss es aber kein kirchlicher Tag sein. Alternativen dazu, wie sie derzeit diskutiert werden, müssten allerdings sorgfältig abgewogen werden. Wer den „Europatag“ auswählen will, verfolgt das Ziel, das Image der EU angesichts zunehmender Anti-EU-Stimmungen aufzubessern. Das wird mit einem solchen formalen Akt wohl nicht gelingen. Besser wäre es, die EU mit inhaltlichen Reformen wieder auf den richtigen Weg zu führen, damit die Kritiker verstummen. Wer den 1. September als Antikriegstag auswählt, riskiert, dass Kriegstreiber und Nationalisten das begeistert aufnehmen, weil sie den Tag dann in ihrem Sinn uminterpretieren können. Deswegen scheiden auch der 8. Mai und der 9. November (wegen der Vielfältigkeit seiner Bedeutung) aus.

Andererseits ist es wichtig, einen solchen Tag an ein konkretes Ereignis zu koppeln, wie man an unserem Nationalfeiertag sehen kann. Als der 17. Juni noch Tag der deutschen Einheit war, konnte man erinnern an den demokratischen Aufstand in der DDR. Der 3. Oktober jedoch, ein Tag mit weit schwächerem historischen Bezug, wirkt inhaltsleer – weil die mit ihm verbundene Geschichte eher technisch ausgerichtet ist, es geht um die frühestmögliche Terminwahl, die der DDR-Volkskammer für den Beitritt zur Bundesrepublik möglich war.

Deshalb wäre der Reformationstag als dauerhafter Feiertag vielleicht doch gar nicht so schlecht.

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CONTRA: Im Schönwetter-Deutschland mag man es gerne gemütlich und geruhsam und zieht die Gardine zu. Arbeiten sollen die anderen. Notfalls entdeckt man sogar einmal wieder die christlichen Werte, wundert sich Martin Brüning.

Einige fordern den 31. Oktober (Reformationstag), andere wiederum plädieren für den 9. Mai (Europatag). Ebenfalls in der Diskussion sind der 1. November (Tag der Gründung Niedersachsens), der 1. September (Weltfriedenstag) und der Buß- und Bettag Ende November. Die Zahl der potenziellen Feiertage ist dabei so verwirrend wie die plötzlich aufkeimende Debatte selbst. Eine große Koalition aus CDU, SPD und Grünen überschlägt sich regelrecht mit der Forderung nach neuen Feiertagen. Kein Wunder: Zehn Monate vor der Wahl macht sich die Aussicht auf einen weiteren freien Tag im Jahr bei den meisten Arbeitnehmern gut. Wer ist schon gegen ein bisschen mehr Freizeit? Und wer fragt da schon, ob die Forderung sinn- oder gar verantwortungsvoll ist?

Wenn es um Feiertage geht, entdecken Politik und Gesellschaft auf einmal wieder die christlichen Werte. In einem Staat, in dem die Zahl der Kirchenaustritte seit 1990 jedes Jahr im sechsstelligen Bereich gelegen hat und in dem man sonntags in so manchem Gottesdienst die Zahl der Besucher an seinen beiden Händen abzählen kann, werden christliche Feiertage wieder en vogue – wenn es gerade passt. Die Kirchensteuer möchte man lieber nicht mehr zahlen, aber ein bisschen Freizeit am Buß- und Bettag hätte man schon gerne. Weshalb führen wir die Debatte nicht ehrlich? In Wirklichkeit geht es uns doch gar nicht um einen Feiertag. Es geht um mehr Freizeit.

Nicht einmal die durch Mitgliederaustritte gebeutelten Kirchen argumentieren mit einem christlichen Hintergrund. Sowohl der Reformations- als auch der Buß- und Bettag sollten bundesweit gesetzliche Feiertage werden, damit das Land „zur Besinnung“ kommen könne, argumentiert der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Die Debatte über gesetzliche Feiertage hat sich damit seit Jahrzehnten kaum verändert. Die Feste seien „Wegstationen des Atemholens der Seele“: so nannte es der Prälat Anton Maier in einer Landtagsanhörung zum Thema Feiertage im Bayerischen Landtag. Das war allerdings im März 1980, also vor fast 40 Jahren. Ein Bauunternehmer schimpfte dagegen, der von der Kirche vertretenen Bevölkerung ginge es doch nur um „einen Wirtshaustag mehr“(nachzulesen im „Spiegel“ 13/1980).

Bis heute haben die Arbeitgeber in der Debatte einen schweren Stand. Der Begriff der Freizeit ist populär, das Gegenargument der Produktivität ist es nicht. Da kann man noch so viele Zahlen oder Fakten aufbieten. Aber auch wenn die Argumente unpopulär sind, bleiben sie richtig. Ein Feiertag kostet schnell einmal 0,1 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung und damit Milliarden. Und während andere Länder den weltweiten Wettbewerb sportlich angehen, diskutieren wir darüber, wie viele Feiertage es denn bitteschön noch zusätzlich sein dürfen. Im Schönwetter-Deutschland mag man es gerne gemütlich und geruhsam und zieht die Gardine zu. Arbeiten sollen mal schön die anderen. Work-Life-Balance ist in, protestantische Arbeitsethik out.

Die angeblich gestiegene Arbeitsbelastung ist dabei als Argument so alt wie die Debatte selbst. Während wir in Zeiten der Digitalisierung an weiteren Feiertagen „zur Besinnung“ kommen müssen, klangen die Argumente 1980 ganz ohne Digitalisierung dennoch ähnlich. Da sprach die Kirche in Bayern von „Schnaufpausen in dem oft monotonen Arbeitsablauf der modernen Industriegesellschaft“. Die Statistik zeigt, dass wir in Deutschland allein im europäischen Vergleich deutlich mehr Schnaufpausen haben als andere. Anstatt also über noch mehr Feiertage zu fantasieren, sollten die Diskutanten mal lieber die Ärmel hochkrempeln.

 

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