Helma, HIT-Gruppe, Futura-Bau, Ecovillage und A&A-Bau: Die Liste der namhaften Bauunternehmen aus Niedersachsen, die in diesem Jahr Insolvenz anmelden mussten, wird immer länger. In Branchenkreisen spricht man bereits von einer „Pleitewelle“ und geht davon aus, dass diese noch größere Kreise ziehen wird. Überraschend kommt diese Entwicklung nicht. „Durch hohe Zinsen, steigende Baukosten und dem Einbruch der Nachfrage steht die Bauwirtschaft in Deutschland vor schwierigen Zeiten“, analysierte Patrik-Ludwig Hantzsch von der Wirtschaftsauskunftskartei Creditreform bereits im Dezember 2023 und warnte: „Der Druck auf die Liquiditätslage der Bauunternehmen steigt unter den aktuellen Bedingungen immer mehr.“ Bereits der Fall der Signa-Holding habe deutlich gemacht, wie schwierig die Lage für Projektentwickler und Bauträger geworden sei. Die Zahlungsmoral sei schlecht – sowohl die Baufirmen als auch die Endkunden würden ihre Rechnungen zunehmend mit Verzug bezahlen. Wie richtig diese Analyse war, bestätigen die jüngsten Beispiele aus Niedersachsen. Hier eine Übersicht:

Kaufzurückhaltung versenkt HIT: Geradezu sinnbildlich für die angespannte Situation auf dem Immobilienmarkt ist die Pleite der „Hanseatische Immobilien Treuhand“ (HIT) aus Stade. 2018 schien der Bauträger auf dem Höhepunkt des Erfolges angekommen, der Jahresumsatz erreichte mit 90 Millionen Euro einen neuen Rekordwert und auch die Zahl der an Kunden übergebenen Wohneinheiten war mit 308 Stück so hoch wie nie. Dann aber führten zunächst die Corona-Pandemie und anschließend die russische Invasion in der Ukraine zu erheblichen Verzögerungen und Verteuerungen. Obwohl nicht nur in Stade, sondern auch in anderen Städten Bauprojekte mit mehr als hundert Wohneinheiten geplant waren, folgte der Absturz in die Insolvenz. „Die Krise des Bauträgers und Projektentwicklers wurde durch die massive Kaufzurückhaltung der Kundschaft ausgelöst. Diese beruht auf den enorm gestiegenen Baukosten, erheblichen Zinssteigerungen, zeitweise leeren Fördertöpfen und der insgesamt angespannten Konjunkturlage“, teilte das Unternehmen Anfang März mit. Der Geschäftsbetrieb bei HIT geht zwar weiter, inwiefern die geplanten Wohnquartiere in Stade, Münster oder Potsdam realisiert werden können, steht nun allerdings in den Sternen.
Vertrauenskrise führt zu Helma-Pleite: Nur wenige Tage vor der HIT-Gruppe hatte bereits die Helma-Eigenheimbau AG aus Lehrte (Region Hannover) ihre Zahlungsunfähigkeit bekanntgegeben. Wenig später zogen nach der Mutterfirma auch die Tochtergesellschaften Helma-Ferienimmobilien und Helma-Wohnungsbau nach. „Aktuelle Projekte gibt es in Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt“, teilte der Insolvenzverwalter mit, womit die Helma-Insolvenz die aktuell folgenreichste Pleite eines niedersächsischen Bauträgers darstellt. Die Insolvenzanmeldung des Massivhaus-Anbieters, der 2021 noch ein bereinigtes Konzern-Ebit von 20 Millionen Euro vorweisen konnte, ist allerdings nicht nur das Resultat der jüngsten Krisen. Helma hatte sich zuletzt mit schwerwiegenden Vorwürfen zu systematischen Baumängeln und Betrugs auseinandersetzen müssen, die das Vertrauen der Anleger und Kunden zusätzlich erschütterten. Die Helma-Aktie stürzte innerhalb von nur zwei Jahren von 60 Euro auf aktuell 26 Cent ab. Die erst im November 2022 bestellte Vorstandsvorsitzende Andrea Sander flog direkt nach der Insolvenzeröffnung in hohem Bogen raus. Der neue Helma-Chef heißt Felix J. Krekel und war bis zu seinem Wechsel nach Lehrte der CFO der Hamburger Krypto-Beteiligungsgesellschaft „Coinix Capital“.
Kunden lassen Futura-Bau straucheln: Welche Gefahr unzufriedene Kunden für Bauträger darstellen können, wird besonders durch die Insolvenz von „Futura Bau“ und „Futura Invest“ aus Bohmte (Landkreis Osnabrück) deutlich. Nach der Zahlungsunfähigkeit beider Unternehmen hatte Geschäftsführer Erhard Willmann gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ kritisiert, dass Kunden „durch Fehlersuche und entsprechende Gutachten von Sachverständigen“ die letzten Raten nicht bezahlt und dadurch Liquiditätsengpässe erzeugt hätten. Die Käufer wiederum klagten gegenüber der Zeitung über Pfusch am Bau. Nach der Insolvenz ist der jahrelange Streit nun wohl beendet, allerdings stehen beide Seiten als Verlierer da.
„Albtraum-Investor“ ruiniert A&A-Bau: Im November 2023 hatte die Investmentgesellschaft Whitefield die A&A Bau GmbH mit Sitz in Bremerhaven übernommen. Das Unternehmen galt bis dahin als ein am Markt gut etabliertes Unternehmen, das auf Hochbau und den erweiterten Rohbau im Bereich Wohnimmobilien spezialisiert war. Zum Zeitpunkt der Übernahme war A&A-Bau auf 20 Baustellen in Norddeutschland aktiv und beschäftigte 120 Mitarbeiter. Im Februar 2024, keine drei Monate später, meldete das Bremerhavener Unternehmen plötzlich Insolvenz an. Offenbar gehört das zum Geschäftsmodell von Whitefield, die auch schon andere Bauunternehmen an die Wand gefahren haben. Das „Handelsblatt“ bezeichnete Whitefield deswegen jüngst als „Albtraum-Investor“ – eine aus Sicht der A&A-Beschäftigten sicherlich zutreffende Einschätzung.

Land rettet Ecovillage nicht: Mit dem Bau des „Ecovillage“ am Stadtrand von Hannover wollte eine Wohnungsbaugenossenschaft eine Öko-Siedlung der Zukunft an den Start bringen. 70 Tiny Houses und 500 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern waren geplant, von Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe war die Rede. Doch ein geplatzter KfW-Kredit ließ die Finanzierung für das Projekt, die ohnehin auf tönernen Füßen stand, wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen: Die Öko-Genossenschaft mit 800 Mitgliedern meldete im Herbst 2023 die Insolvenz in Eigenverantwortung an. Als letzten Rettungsanker hofften Vorstandschef Gerd Nord und der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Mönninghoff auf einen Einstieg der Landeswohnungsgesellschaft, was jedoch nach einem Gespräch im Wirtschaftsministerium Ende Februar verworfen wurde. „Fazit am Ende des Gespräches: Die Landesregierung sieht keine Möglichkeit, Ecovillage in der notwendigen Weise zu helfen“, teilten die Genossenschaftschefs auf der Homepage des Projektes mit. Die Öko-Siedlung ist damit wohl endgültig gescheitert.
Weitere Insolvenzen befürchtet: Kurz vor Ostern sorgte die Insolvenz der „Deutsche Invest Immobilien AG“ mit Sitz in Wiesbaden für das nächste Beben in der Bauwirtschaft. Die Immobiliengruppe verwaltet nach eigenen Angaben ein Immobilienportfolio im Wert von vier Milliarden Euro an 50 verschiedenen Standorten. Nach dem Signa-Aus ist das bereits die zweite Megapleite innerhalb kürzester Zeit. Die aktuelle „Allianz Trade Studie“ bestätigt die Befürchtung, dass der Anstieg der Firmenpleiten ungebremst weitergeht. „In Deutschland werden die Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2024 weiter ansteigen“, sagen die Experten von Deutschlands größtem Versicherer gegen Zahlungsausfälle von Lieferanten oder Auftraggebern.

„Wir gehen davon aus, dass sich die Insolvenzzahlen im Jahr 2024 weiterhin dynamisch entwickeln werden. Dabei spielen vor allem Branchen und Krisenursachen eine Rolle, die langfristig angelegt sind. Die Stichworte heißen Arbeitskräftemangel, Transformation und Digitalisierung“, sagt auch Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Eine allgemeine Pleitewelle ist laut Niering allerdings nicht in Sicht. „Die gestiegenen Zahlen im Jahr 2023 zeigen vor allem eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens“, erläutert Niering zur bisherigen Entwicklung. Die Unternehmensinsolvenzen waren im vergangenen Jahr bundesweit um 22,1 Prozent gestiegen (im Vergleich zu 2022), in Niedersachsen um 17,4 Prozent. Laut dem Landesamt für Statistik hatten 1366 Unternehmen (plus 202 Unternehmen) vor niedersächsischen Amtsgerichten die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt. Besonders betroffen waren nach VID-Angaben die Immobilienbranche, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen sowie produzierende Unternehmen, die mit der Transformation und ihren Kosten überfordert waren.