5. Sept. 2017 · 
Bildung

Philologenverband empört: „Abordnungen sind intransparent und unprofessionell“

Der Philologenverband Niedersachsen (PHVN), Interessensverband der Gymnasiallehrer, hat seine Kritik an den Abordnungen von Studienräten an Grundschulen erneuert und verstärkt. „Wir haben nach wie vor keine verlässliche Zahl über das Ausmaß dieses Schrittes, außerdem sind die Schulen angewiesen worden, nicht öffentlich über das Thema zu reden. Es muss jetzt Schluss sein mit der Schönrednerei dieses Themas“, sagte der PHVN-Vorsitzende Horst Audritz. Aus dem eigenen Berufsstand kommt allerdings gleichzeitig Kritik. Ein „Arbeitskreis Gymnasien“, der nach eigener Darstellung SPD-nah ist und dem 60 Gymnasialleiter angehören, widersprach dem Auftritt des PHVN, er sprach von „Katastrophenszenarien“ und „Stimmungsmache“.

Nach Ende der Sommerferien hatte es einen Aufschrei von Gymnasiallehrern gegeben, da sie kurzfristig erfahren hatten, im neuen Schuljahr in Grundschulen aushelfen zu müssen. „Solche Abordnungen hat es immer gegeben, aber in diesen Größenordnungen und dieser Planlosigkeit nicht“, betont Helga Olejnik vom PHVN-Vorstand. Dabei sei das Ministerium von diesem Problem nicht überrascht worden, denn es sei mindestens seit einem Jahr absehbar gewesen, dass wegen der verlängerten Ausbildungszeit von Grundschullehrern in diesem Sommer weniger Absolventen für den Unterricht zur Verfügung stehen. Man wolle sich der Solidarität nicht versperren, sagt Audritz, aber er sehe einen grundsätzlich anderen Anspruch an den Lehrerberuf: Pädagogen seien eben keine Generalisten, die in allen Schulformen nach Belieben eingesetzt werden könnten, sondern Spezialisten, die eine qualitativ gute Ausbildung in ihren Fächern sicherstellen sollten. „Die Qualität des Unterrichts muss stimmen.“ Das Problem sei, dass auch wenige Abordnungen aus Gymnasien dort zu großen Problemen führen könnten, denn der „Zusatzbedarf“ an Lehrern, der jeder Schule etwa für Förderungen, Ganztagsunterricht oder die zweite Fremdsprache zugestanden werde, betrage bei Gymnasien nur 7,3 Prozent – gegenüber 25,6 Prozent bei Gesamt- und Hauptschulen.

Das Kultusministerium hatte Anfang September mitgeteilt, man habe zur Deckung von Unterrichtsausfall 8300 Lehrer an andere Schulformen abgeordnet – im Umfang von insgesamt 96.563 Stunden. Darunter seien nur 421 Gymnasiallehrer, die für 2133 Stunden an Grundschulen geschickt werden – dies betreffe also nur zwei Prozent aller Abordnungen. Der PHVN zweifelt diese Zahlen an. Einerseits veränderten sich die Zahlen täglich, weil auch vier Wochen nach Schulbeginn immer noch kurzfristig Abordnungen verfügt oder in ihrem Umfang geändert würden. Andererseits werde ausgeklammert, dass Gymnasiallehrer auch in andere Zweige, etwa Gesamt- oder Realschulen, geschickt würden. Im alten Regierungsbezirk Lüneburg sei beispielsweise ein „Ringtausch“ üblich – Gymnasiallehrer würden an Oberschulen geschickt, Oberschullehrer an Grundschulen. So schätzt er PHVN, dass insgesamt „mehr als 1000“ Gymnasiallehrer derzeit an anderen Schulformen aushilfsweise tätig sind, es gehe um 8000 bis 9000 Stunden. Allerdings, betont Olejnik, seien dies Mutmaßungen. Das Kultusministerium sprach gestern von 1006 Abordnungen aus Gymnasien und 6796 Stunden.

Audritz sagt, aus den Schulen werde dem Interessensverband berichtet, dass Lehrer und Schulleiter nicht über Art und Umfang von Abordnungen öffentlich reden dürften. Wenn sie es doch täten, drohten ihnen disziplinarische Ermittlungen. „Wir haben schon Anfragen von Mitgliedern um Rechtsbeistand, weil sie sich gegenüber der Landesschulbehörde äußern sollen“, meint die PHVN-Vorstandsfrau Olejnik. Sie beklagt, dass das Ministerium viele Alternativen, die man seit mindestens einem Jahr prüfen, abwägen und vereinbaren können, ungenutzt gelassen habe – eine Verlangsamung bei der Rückerstattung des Arbeitszeitkontos, eine begrenzte freiwillige Mehrarbeit für Grundschullehrer, eine einstündige Erweiterung des Unterrichts für Teilzeitkräfte beispielsweise.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #154.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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