Die hannoversche Regionalbischöfin Petra Bahr nimmt in der nächsten Zeit nicht mehr an den Twitter-Debatten teil – aus Eigenschutz, wie sie im Podcast mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erläuterte. Bahr erklärte, dass sie eigentlich das Medium Twitter positiv sieht. Dort gebe es Möglichkeiten, mit anderen Menschen an fernen Orten Kontakt aufzunehmen.


Podcast anhören: Soundcloud | Spotify | Apple-Podcast


Auch sei – anders als bei Facebook – die Chance gegeben, mit Andersdenkenden zu diskutieren und damit die eigene Meinung auf den Prüfstand zu stellen. Doch ein Ereignis von vor wenigen Tagen hat Bahr nun dazu bewogen, sich zunächst zurückzuziehen von Twitter. „Ob und wenn ja wann ich wieder teilnehmen werde, weiß ich noch nicht“, erklärte sie.

Petra Bahr im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter | Foto: Link

Das Ereignis rankte um die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die ihre Politik der Öffnungen des Schulunterrichts verteidigt hatte. Sie war damit bei Gruppen auf vehementen Protest gestoßen, die sich für eine stringente Corona-Schutzpolitik einsetzen und dafür werben, die Schulen im Zweifel lieber zu schließen und die Schüler damit vor der Gefahr einer Ansteckung zu bewahren. Prien hatte in diesem Zusammenhang dafür geworben, „die Angstkultur in den Schulen zu beenden“ – was wiederum derart heftige Reaktionen ihrer Kritiker auslöste, dass Prien ihren Twitter-Kanal derzeit deaktiviert hat.

„Der Affekt hatte mich überwältigt, und deshalb habe ich mich zum eigenen Schutz zurückgezogen.“

Bahr war nur mittelbar von dieser Debatte betroffen, berichtet sie. Sie sei auch nicht der Meinung, dass Prien mit ihrer Einschätzung Recht gehabt habe. Als Prien dann ein Hang zur „Eugenik“ nachgesagt wurde, also einer Politik, die in lebenswertes und nicht-lebenswertes Leben unterscheidet, sah sich Bahr zum Protest gefordert. Sie erklärte auf Twitter, dass derlei Beschimpfungen nicht verwendet werden sollten. Daraufhin wurde dann Bahr selbst angefeindet, in einem Tweet wurde ihr gewünscht, dass ihr eigener Sohn „an Corona erkranken und einen schweren Verlauf erleiden“ solle.

https://twitter.com/bellabahr/status/1492628214065381380

Diese Eskalation veranlasste die Regionalbischöfin dann, ihre vorübergehende Abstinenz auf Twitter zu erklären und den Teilnehmern des Mediums „einen barmherzigen Umgang“ zu wünschen. „Der Affekt hatte mich überwältigt, und deshalb habe ich mich zum eigenen Schutz zurückgezogen. Ich merkten, dass dieses Niveau keines ist, an dem ich mich beteiligen möchte.“ Die generelle Kritik an den „sozialen Medien“, sie würden Konflikte verschärfen und überspitzen, teilt Bahr nur bedingt, wie sie erklärt.

Zunehmende Gereiztheit in öffentlichen Debatten

Die großen Vorzüge müssten auch erkannt werden, nämlich die Chancen zu einer Kontaktaufnahme. Aber das Beispiel zeige, dass eine Kultur des Umgangs mit diesen neuen Formen der Kommunikation nicht bestehe, dass hier noch viel geschehen müsse. Die Regionalbischöfin meint, dass polarisierende Debatten „auch Orte brauchen, in denen es Zeit gibt, auch mal zu zögern, sich zu korrigieren oder auf die Position des anderen einzugehen“. Eine solche Gelegenheit biete das Medium, in dem es in zugespitzten Debatten auf Schnelligkeit ankomme, leider nicht.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.

Inhalt laden

Der Vorgang stehe im Zusammenhang mit einer zunehmenden Gereiztheit und Aggressivität in öffentlichen Debatten, stellt Bahr fest. Jeder Mensch in der Öffentlichkeit, ob Kommunalpolitiker, Pastor oder Abgeordneter, könne davon berichten. Die Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen hätten diese Effekte noch verstärkt. So wären öffentliche Orte nötig, damit sich Menschen auch mal zufällig zum Meinungsaustausch treffen und Gelegenheit bekommen, sich mit anderen auszutauschen.

Spielplätze sind im ersten Lockdown abgesperrt worden – Petra Bahr meint, darüber müssten wir noch mal reden | Archivfoto: Kleinwächter

Da diese öffentlichen Ort „mit rot-weißen Absperrbändern abgegrenzt“ worden seien, habe die Misstrauenskultur noch zugenommen. Vor allem mit Blick auf junge Menschen, die in der Corona-Zeit besonders hätten leiden müssen, sei die Antwort auf diese Frage wichtig. Sie sehe mit Sorge, dass die Gesellschaft sich nach Corona aufteilen könnte – in jene, „die sich noch weiter zurückziehen“ und die anderen, „die es jetzt richtig wissen wollen und ein sehr hohes Risiko eingehen“. Wichtig seien ein Mittelmaß und ein Ausgleich, auch das Achten aufeinander.