Darum geht es: Die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen ist erneut leicht gesunken, zugleich gibt es deutlich mehr Abordnungen von Lehrern an andere Schulformen. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Der Verkehrsminister hat es gut. Wenn es auf den Autobahnen viele Baustellen gibt, ist der Unmut bei den Autofahrern zwar groß. Aber es besteht zumindest die Hoffnung, dass es danach schneller und besser vorangeht, weil überhaupt einmal gebaut wurde. Von solchen Hoffnungen kann der Kultusminister in Niedersachsen nur träumen. Grant Hendrik Tonne hat eine Vielzahl von Baustellen übernommen, die alle seit Jahren einen Bildungsstau zur Folge haben und auf politischen Stop and Go zurückzuführen sind. Die Mängel, die im Kultusbereich seit vielen Jahren offen zu Tage liegen, hat Tonne jetzt auf dem Schreibtisch. Es ist eine Mammutaufgabe.

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Nach wie vor fällt an den Schulen in Niedersachsen zum Unmut der Eltern Unterricht in einer Größenordnung aus, die schlichtweg inakzeptabel ist. Gleichzeit ärgern sich immer mehr Lehrer über Abordnungen an andere Schulformen, an denen sie eigentlich nicht unterrichten wollten. Und als wenn das noch nicht genug wäre, muss Tonne noch die Inklusion weiter voranbringen, den Ausbau des Ganztags im Auge behalten und mit den Lehrern zu einer Einigung im ewig schwelenden Streit um die Arbeitszeit kommen. Ist das alles zu schaffen? Kaum.

Nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag, aber so könnte das neue Zertifikat für das Kultusministerium aussehen…

Dem Kultusminister steht dabei die eigene behördliche Bürokratie im Weg, die in Sachen Personalplanung seit Jahren mit denselben Schwächen zu kämpfen hat. So weiß man im Kultusministerium Tonne zufolge nicht genau, wie viele Kinder in Niedersachsen im Jahr 2016 geboren wurden. Und während die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie bis zum Jahr 2025 auf bundesweit 35.000 fehlende Grundschullehrer kommt, kann man auch das im Kultusministerium nicht richtig abschätzen. Es lägen zu viele Daten nebeneinander, die nicht miteinander in Verbindung gebracht werden könnten, meint Tonne. Während „Big Data“ die Welt außerhalb der Schulen bestimmt, passt die Wirklichkeit im Kultusministerium nach wie vor gerade einmal zwischen zwei Aktendeckel. Dass dabei in einem System mit fast 800.000 Schüler kaum eine mittelfristige solide Planung möglich ist, kann nicht verwundern. Für die Personalplanung in deutschen Kultusministerien kann es nur eine Bezeichnung geben: Management by Chaos.

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Angesichts der fast schon traurigen mangelnden Professionalität ist es nicht verwunderlich, dass die Unterrichtsversorgung nach wie vor mit einer Zahl bestimmt wird, die bereits am Tag nach ihrer Erhebung veraltet ist (der gestern verkündete Wert stammt vom 17. August vergangenen Jahres). Eine Änderung bei der Berechnung der Unterrichtsversorgung soll geprüft werden, haben SPD und CDU im Koalitionsvertrag vereinbart. Es zeigt Tonnes Realitätssinn, dass er diesen Vorschlag erst einmal in die Schublade legen will. Man dürfe die Zahl nicht überbewerten, es gebe im Moment auch größere Probleme, sagt er gestern. Und von diesen größeren Problemen gibt es viele.

So ist noch nicht ganz klar, ob die prognostizierte Entspannung in den kommenden Jahren wirklich Realität wird. Zwar scheiden immer weniger Lehrer in den nächsten drei Jahren aus dem Schuldienst aus – deren Zahl sinkt von 2300 im kommenden Jahr auf 1900 im Jahr 2021 – aber ob sich genügend Vertreter der Freiraum-verliebten Generation Y in das Schema des Lehrerberufs pressen lassen wollen, lässt sich nur schwer abschätzen. Eines dürfte jedenfalls klar sein: Schlagwortsätze wie „A13 für alle“ dürften für kommende Generationen nur eine untergeordnete Entscheidung bei der langfristigen Berufswahl spielen.

So geht es Tonne wie jedem neuen Kultusminister. Der Job hat das Zeug, einen Politiker zum Helden oder zum Verlierer zu machen. Held werden ist schwieriger.

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