21. Juni 2020 · 
Bildung

Pattensens Bürgermeisterin fordert Kurswende in der Bildungspolitik

Auf den Kanälen von Social Media war sie vorher schon unterwegs, und ein Faible für das Ausprobieren neuer Arbeitsformen hatte sie auch. Nun blickt Ramona Schumann (SPD), Bürgermeisterin in Pattensen (Region Hannover), auf drei Monate Ausnahmezustand in der öffentlichen Verwaltung zurück. Ihre Forderung lautet: Wir müssen unsere Arbeit an mehreren Stellen gründlich verändern. Die 40-Jährige äußert sich im Gespräch mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick. [caption id="attachment_51522" align="alignnone" width="780"] Ramona Schumann ist Bürgermeisterin von Pattensen - Foto: kw[/caption] Rundblick: Frau Schumann, wie haben Sie in Ihrer Stadtverwaltung auf die Corona-Krise reagiert? Schumann: Ein paar Tage, bevor das losging, war ich mit meiner Tochter bei unserem Hausarzt, der gut vernetzt ist mit Tropenmedizinern und Virus-Experten. Er riet damals schon: Wenn Corona nach Deutschland kommt, müssen wir das öffentliche Leben sofort herunterfahren und die Distanz zwischen den Menschen vergrößern. Ich war also vorgewarnt und konnte verschiedene Varianten vorbereiten. Als dann die Schulen und Kindergärten geschlossen wurden, haben wir die Hälfte unserer Mitarbeiter nach Hause geschickt, um im Ernstfall Mitarbeitende von Zuhause aus arbeiten lassen zu können oder zurück ins Rathaus zu holen. In meinem Rathaus arbeiten hervorragende Techniker, sie machten und machen es möglich, dass die Beschäftigten, die zuhause ihre Kinder betreuen mussten, unter den bestehenden Bedingungen von dort arbeiten konnten. Das hat sich bewährt und vieles kann als mögliche Variante die Nach-Corona-Zeit überdauern.
Mir ging es darum, bei solch einschneidenden Maßnahmen wie denen, die dann verordnet wurden, einen größtmöglichen Teil meiner Stadtbevölkerung zu erreichen.
Rundblick: Sie haben gleich zu Beginn auch eine intensive Medienarbeit betrieben. Warum? Schumann: Mir ging es darum, bei solch einschneidenden Maßnahmen wie denen, die dann verordnet wurden, einen größtmöglichen Teil meiner Stadtbevölkerung zu erreichen. Das geschieht zum einen über die hiesige Zeitung, zum anderen aber auch über Social-Media-Kanäle. Mittlerweile habe ich das 13. Video in dieser Sache online gestellt. In diesen Botschaften geht es mir immer darum, möglichst konkret zu beschreiben, was sich für die Menschen nun ändert. Und wenn das nicht geht, räume ich gern auch ein, im Moment an bestimmten Stellen nicht zu wissen, wie sich ein bestimmter Sachverhalt entwickeln wird. Klar ist nämlich auch: Wenn es Probleme zum Beispiel in Schulen oder Kindergärten gibt, rufen die Leute anschließend im Rathaus an und nicht zuerst beispielsweise im Kultusministerium.
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Rundblick: Wie waren denn aus Ihrer Wahrnehmung die Vorgaben des Landes, was die Schulen und die Kindergärten anbelangt? Schumann: Als es um die Organisation der Notbetreuung ging, wurde seitens des Kultusministeriums vorschnell kommuniziert, vielfach ohne den gebotenen Blick auf die Wirkungen vor Ort, also ohne sich vorher mit den Kommunen oder den Trägern ausreichend abzustimmen. Weiterhin wurden durch auslegungsfähige Botschaften Erwartungen geweckt, die wir vor Ort nicht immer in dem geforderten Maße erfüllen konnten. Ich weiß, dass in den Ministerien an der Belastungsgrenze gearbeitet wird, ich finde aber, dass es trotzdem erlaubt ist, Kritik zu üben. Nach der Kritik der Spitzenverbände werden mittlerweile, soweit ich informiert bin, die Gespräche im Voraus geführt. Aber die Phase davor hat viel Energie gekostet. Der Begriff „Regelbetrieb“ ist für mich zudem nicht positiv besetzt.
Ich erwarte vom Kultusministerium, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden um „Bildung der Zukunft“ zu ermöglichen.
Rundblick: Das klingt ganz so, als sähen Sie größeren Veränderungsbedarf in der Arbeit gerade des Kultusministeriums… Schumann: Durchaus. Ich blicke da aus mehreren Perspektiven drauf: als Mutter, als Politikerin, als künftige Arbeitgeberin und als Vertreterin einer Schulträgerin, der Stadt Pattensen. Ich erwarte vom Kultusministerium, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden um „Bildung der Zukunft“ zu ermöglichen. Die Corona-Krise hat uns Grenzen, aber auch Möglichkeiten aufgezeigt – nun sollten wir die Schlussfolgerungen daraus ziehen. Dazu gehören: vernetztes Denken, interdisziplinäres Arbeiten und lernen, auch gebäudeunabhängig zu denken. Unterricht etwa darf nicht nur darin bestehen, von 8 bis 10 Mathe zu haben und von 11 bis 12 danach Deutsch, sondern es muss stärker darum gehen, Lerntechniken zu vermitteln. Nach meinen Erfahrungen versteifen wir uns zu sehr darauf, in den Abschlussprüfungen bestimmtes Wissen abzufragen. Ich vermisse Konzepte, die sich mit Kompetenzvermittlung und Stärken der Kinder beschäftigen und damit sich auszuprobieren und Selbstwirksamkeit zu erfahren: Wie kann ich selbstständig arbeiten und mir eine komplizierte Materie aneignen? Wie kann ich Empathie für jemand entwickeln und die Fähigkeit ausbauen, mich in andere hineinzuversetzen? Wie erreiche ich etwas Gutes für mich und meine Umwelt? Wie schaffe ich Partnerschaften für mein Projekt? Rundblick: Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Schulen in Pattensen? Schumann: Mir fällt auf, dass wir von vielen Jugendlichen – etwa hier in der Ernst-Reuter-Schule in Pattensen – viel lernen können. Ich erlebe beispielsweise ihre Diskussionskultur oft als viel weiter als die vieler Erwachsener. Noch eines ist mir wichtig zum Thema schulgebäudeunabhängiges Lernen: Schule ist für mich kein fester Ort, an dem Unterricht stattfindet – der Platz dafür kann die ganze Stadt sein. Es gibt viele Möglichkeiten der Bildungsvermittlung und Vertiefung, auch dadurch, dass wir Initiativen der Zivilgesellschaft in die Arbeit mit einbeziehen. Wir brauchen mehr Experimentierräume, mehr Kreativität in der Bildungspolitik und Bildungspartnerschaften – und hierzu fehlt, nach allem was ich mitbekomme, schlicht Freiraum im Schulalltag, da muss das Kultusministerium liefern. Rundblick: Ziehen Sie noch weitere Lehren aus der Corona-Krise? Schumann: Ich habe festgestellt, dass sich – abstrakt gesprochen – analog und digital keineswegs ausschließen. Es hätte in den vergangenen Wochen einige Digital-Kongresse gegeben, an denen ich gern teilgenommen hätte. Manche davon wurden vollständig ins Netz verlegt, manchmal auch die Tagungen der Untergruppen. Das hat hervorragend geklappt. Der Vorteil ist: Ich konnte das besuchen, ohne gleich für mehrere Tage nicht im Büro sein zu müssen. So wichtig es in der Zukunft sein wird, dass man zu solchen Tagungen wieder zusammentrifft, so gut wäre es doch, ständig das Angebot einer digitalen Beteiligung zu haben – beispielsweise, wenn mich an einem Kongress nur ein Teil interessiert, eine bestimmte Arbeitsgruppe oder ein Thema. Rundblick: Rechnen Sie auch mit einer zügigen Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen? Schumann: An dieser Stelle wünsche ich mir viel mehr Mut auf der Bundesebene. Ein Beispiel: Das Elterngeld ist eine Leistung des Bundes, aber berechnet werden muss es nach wie vor hier in jeder Stadtverwaltung, das kostet Arbeitskräfte und Arbeitszeit. Mit einer pfiffigen Lösung, unterstützt durch Künstliche Intelligenz, ließen sich viele standardisierte Fälle zügig erledigen – außerdem sind in den verschiedenen Behörden Grunddaten verfügbar. Manchmal glaube ich, die Bürgerfreundlichkeit wird falsch definiert. Bürgerfreundlich ist es nicht, wenn jeder Bürger für die Dienstleistung in die nächstgelegene Behörde wie das Rathaus muss. Bürgerfreundlich wäre, wenn man gerade solche Verwaltungsdienstleistungen von zuhause auf dem Sofa aus am Tablet regeln kann und man dann im Bedarfsfall Unterstützung zum Beispiel im Rathaus erhält. Aber hier sehe ich leider keine nennenswerten Fortschritte, auch nicht in der Landesverwaltung. Beim Modell eines einheitlichen Online-Portals für alle Behörden wirkt Niedersachsen bisher leider nicht mit. Meine Erfahrung ist: Wenn wir von den Menschen erwarten, dass sie künftig verstärkt Online-Portale nutzen, dann muss das intuitiv klappen und wenig Aufwand erfordern. Gibt es irgendwelche Hürden oder Probleme – das können bereits unterschiedlich aufgebaute Seiten sein -, steigen die Leute wieder aus und wenden sich ab. Das gilt für alle Ebenen und davon nehme ich auch uns Kommunen nicht aus. Das muss also vermieden werden.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #116.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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