


Was macht man, wenn man die Transparenz der eigenen Politik mal so richtig deutlich machen will? Man montiert einfach im gesamten Plenarsaal Glasscheiben. Die Abgeordneten fühlen sich dadurch vermutlich wie Bankschalter-Mitarbeiter oder Simultan-Dolmetscher.
Andererseits erinnern die Spiegelungen der zahlreichen Scheiben gerade an den Paul Auster-Roman „Stadt aus Glas“, in dem man sich auch ständig fragt, ob das alles wirklich gerade die Realität ist. Damit ist das „Parlament aus Glas“ nicht nur ein Symbol des postmodernen Parlamentarismus, sondern auch noch charakteristisch für die Zeit der Corona-Krise.
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Ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen nach der Coronadebatte im Landtag nur den Audio-Zusammenschnitt einer einzigen Rede hier präsentieren kann. Allerdings erlebt man nur selten eine Rede, die in einer beachtlichen intellektuellen Schärfe so hart mit dem Ministerpräsidenten ins Gericht geht, wie das FDP-Fraktionschef Stefan Birkner gestern gemacht hat.
- Die Nicht-Digitalisierung an Schulen: Verheerend
- Die Zurückhaltung bei Corona-Tests: Verantwortungslos.
- Der Umgang mit dem Landtag: Missachtend.
Man wäre gerne Mäuschen, wenn sich nach einer Wahl Stephan Weil und Stefan Birkner nach dieser Rede an einem Tisch zusammenraufen müssten, um eine Koalition zu bilden. Aber bis dahin dauert es ja noch ein bisschen – und Sie haben genügend Zeit, hier das 3-Minuten-Best-of der Birkner-Rede anzuhören:
https://www.youtube.com/watch?v=kOvv6pQN_Ew„Nichts ist wirklich außer dem Zufall“, sagt Stadt aus Glas-Protagonist Daniel Quinn in dem Buch, und das scheint auch das Prinzip des Sozialministeriums in Sachen Pflegekammer zu sein. Gäbe es im Ministerium einen klaren Plan, würde Sozialministerin Carola Reimann heute in der Aktuellen Stunde einfach die wichtigsten Fakten auf den Tisch beziehungsweise das Rednerpult knallen – also:
- Den Termin für den Neustart der Online-Umfrage
- Die Formulierung der umstritten Frage zur Zukunft der Pflegekammer
- Die Erklärung, wie der Kammer nun das Geld für die Beitragsfreiheit beziehungsweise -rückzahlung überwiesen werden soll.
Glauben Sie, dass es so kommt? Ich ehrlich gesagt auch nicht. Wobei Paul Auster an dieser Stelle sagen würde: „Wann immer man die Antwort auf eine Frage zu wissen glaubt, erweist sich die Frage selbst als sinnlos.“
Weil man vom Ministerium meistens gar nichts hört, hört man außerhalb des Ministeriums, dass es im Ministerium bereits einen Termin für den Neustart der Mitgliederumfrage geben soll. Den lesen Sie heute im Rundblick – ich kann Ihnen hier ja nun nicht alles verraten.
Wen wundert’s an dieser Stelle, dass sich nun auch die neue Corona-Verordnung im Land verzögert? Der aktuelle Entwurf ist immer noch zu kompliziert und mit 34 Seiten immer noch zu lang. Jetzt geht die Landesregierung noch mal mit dem Rotstift an die Verordnung.
Vielleicht sollte man einfach bis auf Abstandsgebot und Schutzmasken alles aus der Verordnung konsequent herausstreichen. Carl von Clausewitz, dessen Geburtstag sich heute zum 240. Mal jährt, hätte der Landesregierung vermutlich empfohlen, gegen das ganzen Juristen-Palaver in der Verordnung mit folgendem Motto in den Krieg zu ziehen: „Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist."
Stoßen Sie sich heute nicht an den unsichtbaren Glasscheiben des Lebens!
Ich wünsche Ihnen einen klarsichtigen Mittwoch
Martin Brüning