Niedersachsens neuer Opferschutz-Beauftragter beklagt eine zunehmende Rücksichtslosigkeit in der Gesellschaft. Bei seiner Vorstellung am Dienstag in Hannover sagte der Leitende Oberstaatsanwalt a.D. Thomas Pfleiderer, es bereite ihm Sorgen, dass der Begriff des „Opfers“ teilweise negativ besetzt sei. So werde der Begriff mittlerweile auf Schulhöfen häufig als Schimpfwort missbraucht. In seinen Augen sei dies ein Zeichen für die „Verrohung unserer Zeit“. „Opfer kann aber jeder werden“, fügte er an.

Terroranschläge wie jener auf dem Berliner Breitscheidplatz im haben gezeigt, dass ein zentraler Ansprechpartner für die Opfer und Hinterbliebenen eine große Hilfe und Entlastung ist.

Pfleiderer wird ab dem kommenden Freitag, dem 1. November, als zentrale Ansprechperson für Betroffene von sogenannten „Großschadensereignissen“ in Niedersachsen tätig sein. Gemeint sind damit etwa Anschläge oder Amokläufe, erläuterte Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU). Aber auch Vorfälle wie beispielsweise das ICE-Unglück von Eschede, die Loveparade-Katastrophe von Duisburg oder der Transrapid-Unfall von Lathen wären in diese Kategorie gefallen. „Terroranschläge wie jener auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 haben gezeigt, dass ein zentraler Ansprechpartner für die Opfer und Hinterbliebenen eine große Hilfe und Entlastung ist“, sagte die Ministerin.

„Der ideale Mann für dieses Amt“: Justizministerin Havliza stellt Thomas Pfleiderer als neuen Opferschutz-Beauftragte des Landes vor. – Foto: nkw

Doch Pfleiderer sei nicht nur für Opfer von Terroranschlägen oder großen Katastrophen da. „Auch die Menschen, bei denen eingebrochen wurde oder denen die Handtasche weggerissen wurde, sind Opfer, die darunter leiden.“ Und auch Bedrohungen, Beleidigungen und Übergriffe im öffentlichen Raum fielen schließlich unter diesen Begriff. Pfleiderer werde all diesen Betroffenen nun eine Stimme geben und sich dafür einsetzen, dass ihnen in Niedersachsen schnell und unbürokratisch geholfen werde. Bereits 2018 hatte die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, dass in allen Bundesländern eigene Opferschutz-Beauftragte ernannt werden sollten. Niedersachsen ist nun das sechste Bundesland, das diesen Beschluss umsetzt.

Landesbeauftragter soll zentrales Gesicht der Opferhilfe werden

Dabei hält Niedersachsen bereits vielfältige Strukturen für den Opferschutz vor. So ist seit 2001 die Stiftung Opferhilfe im Einsatz, die mit elf Regionalbüros in der Fläche Präsenz zeigt. Auch der Landespräventionsrat befasst sich mit dem Schutz von Opfern, zum Beispiel bei häuslicher Gewalt. Ehrenamtliche Beratung bietet zudem der „Weiße Ring e.V.“ an.

Doch in der jüngeren Vergangenheit sei der Wunsch geäußert worden, diesem vielfältigen Angebot ein einheitliches Gesicht zu geben, erklärt die Justizministerin. Diese Aufgabe übernimmt nun Pfleiderer. „Ich werde als zentrales Gesicht der Opferhilfe fungieren“, sagte er über seine neuen Aufgaben, die er als „sinnvoll und sinnstiftend“ beschreibt. Es gebe mittlerweile viele Ansprechstelle, deshalb sei es unübersichtlich geworden. Betroffene sollten sich aber nicht erst noch durch viele Internetseiten klicken müssen, bevor sie an der richtigen Stelle ankommen.

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Er werde deshalb nun als erstes durch das Land reisen und Kontakt zu den verschiedenen schon bestehenden Projekten und Ansprechstellen aufnehmen, erläuterte Pfleiderer – sein Terminkalender sei schon gut gefüllt. Die Opferhelfer sollten zunächst miteinander vernetzt werden. Es gehöre zu seinen konkreten Aufgaben, Strukturen zu schaffen, die im Zweifelsfall bei einem der genannten Großschadensereignissen greifen würden.

Zur Erfüllung dieser Pflichten bekommt der ehrenamtlich tätige Opferschutzbeauftragte ein professionelles Team zur Seite gestellt. Angedockt an das Justizministerium wird seine Geschäftsstelle mit einem Referenten, einer halben Sachbearbeiter- sowie einer halben Geschäftsführungs-Stelle ausgestattet, die allerdings noch nicht besetzt sind.


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Justizministerin Havliza bezeichnet den früheren Leitenden Oberstaatsanwalt, der zuletzt in Hildesheim und davor in Bückeburg aber auch schon beim Generalstaatsanwalt in Celle und beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe tätig war, als den idealen Menschen für dieses Amt. Er habe schon früher „nicht nur einen Blick auf die Tat und den Angeklagten gehabt, sondern auch einen guten und gesunden Blick auf die Opfer“, sagte die Ministerin.

Aus seiner Zeit als junger Staatsanwalt erinnert sich Pfleiderer dabei etwa an einen Fall, bei dem ein Uhrmacher geknebelt und ausgeraubt wurde und schließlich erstickt war. Damals haben ehrenamtliche Helfer sich sofort um die Resozialisierung der Täter kümmern wollen, berichtet Pfleiderer. Er habe dann darauf verwiesen, dass man sich doch erst einmal um die Witwe des Verstorbenen kümmern sollte – um das Opfer statt um die Täter.