Niedersachsens Opferschutzbeauftragter Thomas Pfleiderer weist auf einige Defizite beim Umgang mit den Geschädigten bei schweren Straftaten hin. Öfter komme es vor, dass die Antworten auf Anträge für Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz sehr formal und bürokratisch formuliert sind. „Das kann dann für die Empfänger solcher Nachrichten verletzend sein und zeugt von wenig Empathie“, sagte Pfleiderer im Sozialausschuss des Landtags.

Ein anderes Problem seien die Trauma-Ambulanzen, die die Aufgabe haben, Opfern schwerer Straftaten ziemlich bald nach der Tat einen Beitrag zur Stabilisierung zu geben. „Es kommt leider oft vor, dass Überweisungen zu einer Klinik nicht vorgenommen werden, da das psychologische Personal an allen Ecken und Enden fehlt“. Obwohl die Opfer vorrangig bedient werden sollen, sei ein angemessenes Angebot oft nicht möglich. „Ich stelle keine Forderungen auf oder verteile Schuldzuweisungen, ich weise nur auf einige Probleme hin“, betonte Pfleiderer.
Der 1950 geborene Pfleiderer hat 40 Jahre lang bei der Staatsanwaltschaft gearbeitet, war zuletzt Leiter der Behörde in Hildesheim. „Da habe ich erlebt, wie brutal die Verbrechen sind – und einige Bilder in den Akten vergisst man nie.“ Als er 1977 seinen Dienst begonnen habe, habe der Täter und seine Resozialisierung im Vordergrund gestanden. „Das war auch richtig“, sagt Pfleiderer, aus seiner Sicht ist die Resozialisierung sehr bedeutsam. Daneben jedoch müsse auch die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen in den Blick kommen.
Für viele dumme Menschen sei das Wort „Opfer“, häufig sprachlich verulkt, ein Schimpfwort. In der Realität aber seien viele Opfer lebenslang in ihrer Rolle gefangen, da sie das Geschehene kaum verarbeiten oder vergessen könnten. Häufig seien es die schlimmsten Erlebnisse in ihrem Leben. Für viele Opfer gelte, dass sie sich schämen und oft erst viele Jahre nach der Tat in der Lage sind, darüber zu sprechen oder sich bei den Behörden zu melden. „Dabei müssen nicht sie sich schämen, sondern die Täter.“ Dieses Verhalten zeigten beispielsweise viele Geschädigte bei sexuellem Missbrauch.
Die damalige Justizministerin Barbara Havliza hatte Pfleiderer im November 2019 ins Amt berufen, er arbeitet ehrenamtlich und ist nicht an Weisungen der Regierung gebunden. Ihm zur Seite steht ein kleines Team von Mitarbeitern, geleitet von Oberregierungsrätin Katharina Blauert. Inzwischen, sagt Pfleiderer, gibt es in allen Bundesländern solche Beauftragte. Auslöser sei gewesen, dass nach dem islamistischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 sowohl in der polizeilichen Ermittlung als auch im Umgang mit den Opfern viele Fehler passiert seien. Bund und Länder seien überein gekommen, neue Beauftragte zu schaffen, die dann eine koordinierende, beratende und lenkende Aufgabe haben sollen. Die Länder organisieren das unterschiedlich, in Rheinland-Pfalz und Hamburg etwa sind Ministerialbeamte dafür eingesetzt. Niedersachsen entschied sich für einen ehrenamtlichen Beauftragten.

„Als ich anfing, dachte ich, unglaublich viel aufbauen zu müssen. Doch das war gar nicht so“, berichtet Pfleiderer. Die Arbeit des „Weißen Rings“ und der „Stiftung Opferhilfe“, die stark an das Justizministerium angelehnt ist, sei vorbildlich organisiert, Niedersachsen sei insofern „bundesweit führend“. Seine Aufgabe bestehe dann stärker in der Koordinierung und Vernetzung. Die Stiftung Opferhilfe habe elf Büros, eines in jedem der elf Landgerichtsbezirke. Vorbildlich sei in Niedersachsen auch die „psychosoziale Prozessbegleitung“, nämlich eine sozialpädagogisch geschulte Unterstützerin für Zeugen, denen es schwer fällt, vor Gericht zu erscheinen und dem Täter gegenüber zu sitzen.
In Pfleiderers Büro hatten sich in seinem ersten Amtsjahr rund 60 Opfer gemeldet und um Hilfe gebeten. 2022 lag die Zahl schon doppelt so hoch. „Wenn es um die Bearbeitung von Anträgen auf Opfer-Entschädigung beim Landessozialamt geht, muss man sich auch auf mehr Arbeit dort einstellen“, sagt Pfleiderer. Eines seiner beschriebenen Probleme lautet, dass dort trotz der „hervorragenden Arbeit der Kollegen“ manchmal die Antworten nicht einfühlsam genug formuliert sind – vor allem dann, wenn ein Antrag nach bis zu vier Jahren Bearbeitungszeit abgelehnt werden sollte.
Das Problem der Trauma-Ambulanzen sei, dass oft eine rasche Vermittlung von Opfern an eine Klinik wegen des Mangels an Fachkräften nicht möglich sei. Dabei komme es bei der Stabilisierung darauf an, die Opfer schon zwei Wochen nach der Tat zu begleiten und ihnen dann in bis zu acht Sitzungen die nötigen Hilfen dafür zu geben, dass sie ihren Alltag trotz der schlimmen Erfahrungen wieder meistern können. Ein schneller Beginn der Hilfe sei also entscheidend. Das Bild in Niedersachsen zu der Frage, wie schnell die Trauma-Ambulanzen Opfer aufnehmen können, sei „sehr heterogen“.
