Es ist nur eine Regierungserklärung, die gestern im Landtag abgegeben wird, aber aus ihr ergeben sich im Plenum gleich zwei unterschiedliche Debatten. Wirtschaftsminister Olaf Lies hält in seiner Rede ein Plädoyer für die wirtschaftliche Zukunft des Nordens, und der Opposition bietet sich die Gelegenheit für eine Generalabrechnung mit Lies. Welchen Weg die Regierungsfraktionen dazwischen beschreiten, bleibt unklar. Olaf Lies muss alleine kämpfen.

So könnte das Filmplakat aussehen – Foto: MB. / Wirtschaftsministerium

„Der Norden könnte den Anschluss verpassen.“ So ähnlich steht es in den Überschriften zu einer aktuellen Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Eine These lautet, dass gerade Handel und Logistik, wirtschaftliche Zugpferde im Norden, im Zuge der Digitalisierung ihre Rolle als Wachstumstreiber zu verlieren drohen. Für die Redenschreiber im Wirtschaftsministerium muss die Studie eine gute Gelegenheit gewesen sein, um mit der Regierungserklärung an genau diesem Punkt anzuknüpfen. Am Vorabend der Rede brennt um kurz nach halb elf noch Licht im Minister-Büro hinter dem goldenen Balkon. Auch Lies ist im Büro zu sehen. Letzte Arbeiten an der Regierungserklärung?

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Vielleicht ahnt Lies am Folgetagvb bei seinem Gang ans Rednerpult, dass die Idee einer Regierungserklärung in Zeiten der Vergabeaffäre keine besonders gute Idee gewesen ist. Er spricht an diesem Dienstag teilweise ungewöhnlich schnell, wirkt sogar leicht aufgeregt. „Ich bin überzeugt, dem Norden gehört die Zukunft“, lautet seine Antwort auf die HWWI-Studie. Vorher rattert er die aktuellen Arbeitsmarktzahlen herunter. Vier Millionen Erwerbstätige – Rekordniveau. 460.000 neue Jobs in den vergangenen zehn Jahren. Arbeitslosenquote bei 5,6 Prozent – so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Es folgen Wünsche und Ziele der Landespolitik – vom landesweiten Glasfaserausbau bis zu der Chance, dass Batteriezellen für Elektroautos eines Tages vielleicht doch in Salzgitter oder Emden gefertigt werden könnten. Neuigkeiten hat man dem Minister nicht mit ans Rednerpult gegeben. Während die SPD-Fraktion nach der Rede noch klatscht, fallen den Grünen schon nach kurzer Zeit die Hände wieder in den Schoß. Olaf Lies wirkt einsam auf der Regierungsbank.

Wollte Lies gestern mit seiner Regierungserklärung wirklich von der aktuellen Vergabeaffäre ablenken, wie CDU-Fraktionsvize Dirk Toepffer zu Beginn seiner Rede mutmaßt? Wenn es wirklich das Motiv gewesen sein sollte, dann ist die Strategie gründlich schiefgegangen. Über eine halbe Stunde lang arbeiten sich CDU und FDP im Landtag am Wirtschaftsminister ab. „Sie haben mit dieser Regierungserklärung zu diesem Zeitpunkt die Generaldebatte über ihre Person eröffnet“, sagt Toepffer und zählt im Anschluss die Misserfolge aus CDU-Sicht auf. Beispiel Nordseewerke: „Bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte gab es dort noch 750 Beschäftigte, zwei Jahre später noch 188, im Herbst 2015 wurden noch ganze 51 Mitarbeiter beim Nachfolgeunternehmen beschäftigt. 51 Gerettete von 750 – das ist Ihre Bilanz“, attackiert der CDU-Abgeordnete. Unschlagbar sei Lies nur im Selbst-Marketing. „Auf der Internetseite gibt es eine Welt von bunten Bildern mit einem mal fröhlichen, mal ernsten, aber stets mit einem forschen Minister, der anpackt. Das ist eine Scheinwelt, die so gar nichts mit der Realität zu tun hat.“

Auch FDP-Chef Stefan Birkner geht auf die seiner Meinung nach großen Unterschiede zwischen der Realität und der Rede des Ministers ein. Lies hebe die Bedeutung der Berufsausbildung hervor, die Unterrichtsversorgung in den Berufsschulen sei dagegen dramatisch schlecht. Von einem „kompletten Versagen“ spricht Birkner. Lies spreche auch davon, die Bedeutung der Universitäten der beruflichen Ausbildung gleichzusetzen. Die Politik der Regierung treibe dagegen alle ins Abitur. Dadurch sinke die Attraktivität der Berufsausbildung stetig.

Scharfe Kritik kommt von CDU und FDP an der Tatsache, dass rund 1900 Spielhallen in Niedersachsen wegen des neuen Glücksspiel-Staatsvertrages vor dem Aus stehen. Zwei Spielhallen müssen dann mindestens 100 Meter voneinander entfernt sein – teilweise entscheidet das Los, welche Spielhalle bleiben darf. „Die Landesregierung schickt bis zu 4.000 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit“, schimpft Birkner. Und Toepffer meint: „Es ist zynisch und zutiefst unmoralisch, dass einem das Losglück hold sein muss, um den eigenen Arbeitsplatz zu behalten.“

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„Sie reden unser Bundesland kaputt.“ Mit diesem Angriff auf die Opposition beginnt Lies‘ Verteidigung durch den SPD-Wirtschaftspolitiker Gerd Will, der am Ende der Rede noch sagt, dass dieser Minister einen tollen Job mache und dass das auch so bleibe. Dazwischen fallen Sätze wie: „Wir brauchen eine Lernkultur, in der Unternehmer und Arbeitnehmer die Chancen der Digitalisierung erkennen“ oder: „Wirtschaft 4.0 bedeutet nicht nur eine grundlegende technologische Veränderung, sondern auch eine tiefgreifende soziale Innovation.“ 28 Minuten Redezeit hätte Will, nach nicht einmal zehn Minuten ist er fertig. Er fasst sich kurz mit der Verteidigung seines Genossen.

Sogar die Grünen sprechen ein wenig länger. „Wir tragen Verantwortung, Politik für die Menschen da draußen zu machen.“ Solche Sätze sind von der Grünen-Abgeordneten Maaret Westphely zu hören. Westphely fordert mehr Mitspracherechte bei den Arbeitszeiten für Mitarbeiter in Zeiten der Digitalisierung. Zudem habe der Minister wichtige Impulse für die Startup-Förderung gesetzt. Es bleibt in dieser Debatte einer der wenigen anerkennenden Sätze von SPD und Grünen im Landtag für den Wirtschaftsminister. Olaf Lies steht alleine da. (MB.)