28. Apr. 2020 · 
Bildung

Wie junge Familien durch die Krise kommen

Das Virus mache alle gleich, hieß es zu Anfang. Doch bei genauerer Betrachtung kann davon keine Rede sein. Menschen, die auf Pflege angewiesen sind oder in Heimen wohnen, erleben die Krise ganz anders als jüngere, gesunde Menschen. Und Familien mit kleinen Kindern stehen vor ganz anderen Herausforderungen als Alleinstehende oder kinderlose Paare. Und selbst innerhalb der Gruppe der jungen Familien kann sich die aktuelle Situation ganz unterschiedlich darstellen. Drei Familien haben uns erzählt, wie sie die Corona-Krise erleben.


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„Ich finde das blöd, dass alle Spielplätze zu sind“, sagt der kleine Paul, der die letzten drei Stunden seine Mutter als Klettergerüst genutzt hat. Oliver und Sandra, die wie alle Personen in diesem Artikel eigentlich einen anderen Namen haben, wohnen mit ihrem dreijährigen Sohn auf 60 Quadratmetern, dritter Stock, schlichter Nachkriegsklinkerbau. Es gibt einen kleinen Balkon in Richtung Westen und mindestens drei Spielplätze, die fußläufig zu erreichen sind. Allerdings sind die zurzeit alle geschlossen, mit rot-weißem Flatterband sind die Eingänge, Rutschen und Schaukeln abgesperrt.

Spielplätze sind in Zeiten von Corona abgesperrt - und fehlen den Kindern sehr - Foto: nkw

Wie erklärt man einem Dreijährigen Corona? „Wir haben ihm erzählt, dass die Spielplätze und auch der Kindergarten gerade eine Pause brauchen. Das hat er dann auch verstanden“, sagt Sandra. Aus der Not heraus haben sie sich einen eigenen kleinen Spielplatz angelegt. Auf der Ostseite ihres Mehrfamilienhauses gibt es so etwas wie einen kleinen Garten, eine Rasenfläche mit Wäscheleinen. Im Internet haben sie einen gebrauchten Sandkasten erstanden, an dem gusseisernen Wäscheständer baumelt nun eine Schaukel.

Doch das eigentliche Problem ist nicht das fehlende Klettergerüst, sondern das fehlende Spielen mit anderen Kindern. Dass der Kleine nicht in den Kindergarten konnte, belastete nach Ansicht seiner Eltern die soziale Entwicklung des Kindes enorm. Gezeigt habe sich das auch daran, dass Paul, wann immer sie irgendwo Kindern begegnet sind, sofort mit ihnen zu spielen angefangen hat. Wenn sie dann weitergehen mussten, flossen jedes Mal die Tränen.

Einsamkeit ist in der Corona-Krise ein riesengroßes Problem

Oliver und Sandra sind beide berufstätig, aber zu Beginn der Corona-Krise konnten sie mit ihren Arbeitgebern aushandeln, dass sie sich im Schichtbetrieb um ihren Sohn kümmern konnten. Sandra arbeitete von morgens bis mittags, Oliver von mittags bis 22 Uhr am späten Abend. Doch auf Dauer war diese Konstellation belastend für das Familienleben. Gemeinsame Zeit gab es gar nicht mehr. „Ein Alarmsignal war für uns, dass Paul angefangen hat, den Abendbrottisch für seinen Vater mit zu decken“, erzählt Sandra. Seit Montag vergangener Woche hat Paul jetzt einen Platz in der Notbetreuung – von 8 bis 14 Uhr, während seine Mutter arbeitet.

Dass es anderen Eltern aber noch schlechter gehen kann, weiß Sandra von einer Bekannten aus dem Kindergarten. Die alleinerziehende Mutter ist mit ihrer Tochter zu Beginn der Corona-Krise in ein Dachgeschosszimmer bei ihren Eltern eingezogen. So kann sie im Homeoffice arbeiten, während ihre Eltern nach dem Kind sehen. Eigentlich hatte sie ihre Tochter nun auch für die Notbetreuung angemeldet. Den Antrag hat sie aber zurückgezogen, als ihr klar wurde, dass sie bei einem Verdachtsfall im Kindergarten sofort wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehren müsste und dann die Hilfe der Großeltern – zu deren eigenem Schutz – eingestellt werden müsste. Allein zu sein, das wollte sie nicht. Einsamkeit ist in der Corona-Krise ein riesengroßes Problem. Für die Eltern und für die Kinder.

Für größere Ausflüge bleibt nur der nahegelegene Stadtwald

Noah und Theo haben Glück, denn sie sind in dieser Zeit nicht allein, sie haben zumindest einander. Die beiden sind Zwillinge, knapp ein Jahre alt, und wohnen mit ihren Eltern im zweiten Stock in einer Altbauwohnung, kleine Zimmer, hohe Decken. Ihre Mutter Daniela arbeitet eigentlich in Bremen, bis Juni ist sie allerdings noch in Elternzeit und kann sich komplett um die beiden Kleinen kümmern. Auch ihr Partner Frank ist zurzeit zuhause, im Homeoffice. Normalerweise wäre Frank beruflich viel unterwegs, aufgrund der aktuellen Lage fallen die meisten Reisen aber aus. Seine Dienstgespräche erledigt er in einem separaten Arbeitszimmer, das er schon vor der Krise gelegentlich genutzt hatte. „Manchmal hört man bei Telefonkonferenzen das Geschrei von Kindern im Hintergrund, aber da sind zurzeit alle sehr entspannt“, berichtet Daniela.

Die Eltern empfinden die Corona-bedingte Sondersituation nicht unbedingt als eine schlimme Phase. „Wir sind da eher zwiegespalten“, erzählen sie. Auf der einen Seite genießen sie es, als Familie noch einmal eine Zeit lang so nah beieinander sein zu können. Vor allem, dass der Vater nun so viele Entwicklungsschritte der Kinder direkt miterleben kann, empfinden sie als großes Geschenk. Aber dann fehlen natürlich schon ein paar Dinge, zum Beispiel der Spielplatz. „Das ist ja auch ein Ort, an dem man die Kinder einfach mal laufen lassen kann“, sagt Daniela. Noah und Theo entdecken gerade die Welt. Krabbeln können sie schon, jetzt lernen sie das Laufen. Wenn die Spielplätze geschlossen sind, fehlen in der Großstadt auch geschützte Räume, in denen sich die Kinder frei bewegen können.

Zum Glück gehört zum Altbau, in dem die junge Familie lebt, auch ein kleiner Hinterhof. Zwischen Müllcontainern und Fahrradständern bleiben ungefähr 30 Quadratmeter gepflasterter Boden, auf dem die beiden Kinder spielen und mit ihrem Laufrad herumfahren können. Für größere Ausflüge bleibt der nahegelegene Stadtwald. Zweimal vormittags und zweimal nachmittags geht die junge Familie jetzt vor die Tür. „Am Anfang haben wir gemerkt, dass vor allem Noah nicht ausgelastet ist“, sagt Daniela. Jetzt hat sich der neue Tagesablauf einigermaßen eingependelt.

Nicht im "Wochenend-Ferien-Modus versumpfen"

Wie wichtig eine feste Tagesstruktur ist, war Cornelia und Daniel gleich von Anfang an klar. „Wir frühstücken morgens fertig angezogen und dann wird erstmal etwas für die Schule erledigt“, sagt Cornelia und berichtet von ihrer Sorge, dass ihre Kinder in einem „Ferien-Wochenend-Modus versumpfen“. Cornelia und Daniel wohnen mit ihren drei Kindern in einem Reihenendhaus mit Garten, wo sie die Corona-Krise noch nicht besonders hart trifft. „Bei uns ist es schöner als vor der Krise“, sagt Daniel und fragt sich offenbar gleichzeitig, ob er das überhaupt so sagen darf, wenn es vielen anderen doch gar nicht gut geht. Ihre Jobs sind sicher, aber zurzeit ist weniger zu tun. Beide arbeiten im öffentlichen Dienst, er in leitender Funktion in einem Forschungsinstitut, sie ist Grundschullehrerin.

„Wir kamen gerade aus einer Phase mit viel Stress, sowohl beruflich als auch privat“, erzählt Daniel. „Und mit einem Mal waren wir entschleunigt.“ Ein bisschen anstrengender könnte es allerdings werden, wenn am 4. Mai die Schule wieder losgeht. Die beiden Jungs besuchen das Gymnasium, die Tochter, fünf Jahre alt, geht eigentlich in den Kindergarten. Wenn Cornelia und die Jungs am Montag wieder in die Schule gehen, muss sich Daniel um die Tochter kümmern, die wohl keinen Platz in der Notbetreuung bekommt. Er darf zwar von zuhause arbeiten, doch die ersten Tage im Homeoffice hatten ihm sehr deutlich gezeigt, dass er dabei zu nichts kommt. Jetzt muss der Familienvater einmal schauen, wie er seinen Beruf und die Kinderbetreuung unter einen Hut bekommt.

Die Corona-Krise macht nicht alle gleich. Im Gegenteil, sie verstärkt eher die sozialen Ungleichheiten. Aber die Krise entpuppt sich für manche eben auch als Chance. Zum Beispiel als Möglichkeit für mehr Zeit mit den Liebsten, oder als Versuchslabor, um das Familienleben ganz neu zu entdecken.

Von Niklas Kleinwächter

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #081.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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