Darum geht es: Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bescheinigt Niedersachsen so wenig Straftaten wie schon lange nicht mehr. Dennoch wächst bei den Bürgern die Angst, Opfer zu werden. Ein Kommentar von Isabel Christian.

Die Wahrheit liegt – wie so oft – irgendwo dazwischen. Da sind auf der einen Seite die Zahlen, die Innenminister Boris Pistorius zu Recht stolz präsentiert. Niedersachsen ist so sicher wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Ob Mord, Körperverletzung, Vergewaltigung oder Diebstahl – in nahezu allen Bereichen ist die Zahl der Straftaten gesunken. Sogar bei den Wohnungseinbrüchen. Auf der anderen Seite stehen die Bürger und ihr eigenes, persönliches Sicherheitsempfinden. Und das ist in den vergangenen Jahren gesunken. Wie passt das zusammen? Einen Hinweis darauf gibt die Antwort auf eine Frage aus der „Dunkelfeldstudie“. 29,4 Prozent – also fast ein Drittel der Befragten, die Kontakt zur Polizei hatten – gaben an, dass die Polizei einen überlasteten Eindruck auf sie gemacht habe. Diese Antwort sollte auch in Bezug auf die Zahlen der PKS nachdenklich machen. Denn wer weiß, dass jemand überlastet ist, will ihn in der Regel nicht weiter nerven. In den vergangenen Monaten ist viel über die starke Arbeitsbelastung der Polizei geredet und geschrieben worden. Mit Recht. Doch so manchem Bürger dürfte das zu denken gegeben haben. Und es hat möglicherweise auch dazu geführt, dass Straftaten wie versuchte Wohnungseinbrüche, ungewollte, sexuelle Annäherung oder verbale Attacken häufiger als „Kleinkram“ eingestuft und deswegen gar nicht angezeigt worden sind. Ist ja eigentlich nichts passiert. Doch, ein Unsicherheitsgefühl ist entstanden.

Neue Gesetze helfen dagegen nur wenig. Hier kommt es darauf an, dem Bürger dort zu begegnen, wo sich das Problem befindet: auf der emotionalen Ebene. Die Polizei etwa muss dem Bürger wieder das Gefühl geben, er könne sich auf ihren Schutz verlassen. Er muss wieder das Gefühl haben, dass er und seine Anliegen wichtig sind. Auch wenn es sich dabei um vermeintliche Bagatelldelikte handelt. Das umschließt auch, dass die Polizeibeamten sich die Zeit nehmen und den Betroffenen über die Ermittlungen auf dem Laufenden halten müssen. Denn das Informationsbedürfnis ist da, wie die „Dunkelfeldstudie“ zeigt, und es wird aus Sicht von nahezu der Hälfte der Befragten nicht ausreichend befriedigt.

Nun ist es Tatsache, dass Niedersachsens Polizei überlastet ist. Die Verwaltungsarbeit nimmt Überhand, Beamte sind mehr mit dem Ausfüllen von Tabellen beschäftigt als mit der Spurenauswertung, und dazu kommen immer mehr Deliktsfelder wie Cybercrime, die Ermittler binden. Für Patrouillengänge bleibt da kaum Zeit, für ausführliche Gespräche mit Opfern schon gar nicht. Deshalb ist es zwingend nötig, dass die Polizei mehr Personal bekommt. Auf die zusätzlichen Polizisten muss man zwecks der fundierten Ausbildung noch drei Jahre warten. Aber die von der Regierung angekündigte und im Haushalt beschlossene Einstellung von neuem Personal wie Verwaltungsfachangestellten und IT-Spezialisten kann schon kurzfristig zur Folge haben, dass wieder mehr Polizisten auf die Straße gehen können. Denn dort gehören sie hin, ansprechbar für jeden und für nahezu alle Belange. Nur durch Präsenz lässt es sich erreichen, dass die Bürger wieder das Gefühl haben, die Polizei ist da –  und sie passt auf uns auf.

Doch es wäre zu einfach, das mangelnde Sicherheitsgefühl der Bürger nur bei der Polizei abzuladen, nach dem Motto: Ihr seid für Sicherheit zuständig, wenn die Bürger sich nicht sicher fühlen, ist das euer Problem. Denn die Unsicherheit setzt sich zusammen aus vielen kleinen Puzzleteilen der Angst. Angst vor einem Einbruch etwa, Angst vor einem Gang durch den Park bei Dunkelheit, Angst vor einer nächtlichen Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Hier kann und wird nicht immer ein Polizist zur Stelle sein. Das bedeutet, dass die Unsicherheit der Bürger auf verschiedenen Ebenen bekämpft werden muss. Zum Beispiel im Städtebau. In Wohnvierteln darf es keine dunklen Ecken mehr geben und keine Gelegenheiten zur Verwahrlosung. Die Nachbarschaft muss sich so entwickeln können, dass nicht jeder abgeschottet in seiner Wohnung haust, sondern ein Interesse für einander entsteht. Gerade bei Nacht einsame Wege dürfen nicht mehr durch die Dunkelheit führen, sondern müssen ausgeleuchtet sein. Immer wieder belegen Studien, dass Licht es vermag, einen großen Teil der Angst zu nehmen. Darüber hinaus müssen auch öffentliche Verkehrsmittelbetreiber darüber nachdenken, wie sie den Fahrgästen ein Gefühl der Sicherheit geben können. Denn es ist undenkbar, dass junge Frauen oder ältere Menschen abends und nachts quasi zu Hause bleiben müssen, weil sie Angst haben, dass ihnen vor, bei oder nach einer Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel etwas angetan werden könnte.

Bei aller Freude über die Zahlen der PKS darf die Regierung das Ergebnis zum Sicherheitsgefühl der Bürger nicht vergessen. Und es auch nicht als Randerscheinung abtun. Denn dieses Sicherheitsgefühl beeinflusst auch, wie ernst man die Zahlen auf dem Papier überhaupt nehmen kann. Ohne ein Gefühl der Sicherheit gibt es auch keine echte Sicherheit.

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