5. Mai 2021 · 
Wirtschaft

Öffnung für Tourismus: Inzidenzen führen zu Wettbewerbsverzerrung

Mit langsamen Schritten nun nähert sich Niedersachsen dem Gedanken, dass künftig wieder mehr Freiheiten möglich sein sollen – und der harte Lockdown, der nach Ostern verhängt wurde, sich etwas wieder lockert. Wie Ministerpräsident Stephan Weil und seine Minister Bernd Althusmann (Wirtschaft), Grant Hendrik Tonne (Kultus) und Daniela Behrens (Soziales) erläutert haben, nutzt das Land – bei aller Vorsicht – künftig die Möglichkeiten der Landesverordnung: Überall dort, wo die Sieben-Tage-Inzidenz stabil unter 100 liegt, sollen Öffnungen wieder möglich werden – allerdings nur unter strengen Bedingungen regelmäßiger Testungen, strikter Abstandsregeln und bei Beachtung der Hygienevorschriften. Wo die Inzidenz aber oberhalb von 100 bleibt, und das betrifft etwa ein Drittel der niedersächsischen Kreise, lässt die Bundes-Verordnung nach der jüngsten Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes keinen Spielraum: Dort bleibt es beim Lockdown. Die Inzidenz beschreibt die Zahl der Neuansteckungen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche.

Wenn die Inzidenz in Leer über 100 liegt, darf man auf Borkum keinen Urlaub mehr machen. - Foto: nkw

Wie ungerecht sich diese Vorgabe in der Praxis auswirken kann, zeigt sich nun gerade mit Blick auf die geplanten Lockerungen. Denn es geht um einen Wirtschaftszweig, der lange zurückstecken musste und nun in einigen Regionen auf seine Chance wartet. Verbunden mit dem – hoffentlich bald angenehmeren – Frühlingswetter soll der Tourismus seine Chance erhalten. Das betrifft die Außengastronomie und das Übernachtungsgewerbe. Hotels durften bisher schon Geschäftsreisende beherbergen oder Gäste, die aus zwingenden beruflichen Gründen eine Übernachtung benötigten.

Was den Tourismus anbelangt, war bisher im Lockdown die Ausnahme nicht erlaubt. Das soll nun schrittweise geschehen. Die Übernachtung für Feriengäste soll möglich werden, auch das Angebot einer Bewirtung im Freien, also etwa in Biergärten oder im Außenbereich von Restaurants. Voraussetzung sind das strenge Test- und ein ebenso rigoroses Hygiene-Konzept, Voraussetzung ist aber auch die Inzidenz-Grenze unterhalb von 100. Was die Übernachtungen angeht, sind zunächst die „Landeskinder“ bevorzugt – die Beherbergung aus touristischen Gründen ist daher also nur für solche Gäste erlaubt, die ihren Erstwohnsitz in Niedersachsen haben. Später dann, etwa im Juli, könnten auch Gäste aus anderen Ländern und aus dem Ausland ebenfalls zum Zuge kommen.

Im Detail birgt das aber erhebliches Konfliktpotenzial – und das liegt an der Bezugsgröße für die Inzidenz. Maßstab ist nämlich die Inzidenz in dem jeweiligen Landkreis oder der kreisfreien Stadt. Wird die Grenze von 100 überschritten, so greift das Rechtsregime des Bundes, die Lockerungspläne und -bedingungen der Landesverordnung kommen dann nicht mehr in Betracht. Das kann an der Grenze zweier Kreise erhebliche Konsequenzen haben. Der Naturpark rund um Deister und Süntel, der sich über die Kreise Schaumburg, Hameln, Holzminden und die Region Hannover erstreckt, könnte sich als buntscheckiges Bild erweisen – während Ausflugslokale in der Region Hannover geschlossen bleiben müssen, könnten sie womöglich wenige hundert Meter weiter im Nachbarkreis öffnen dürfen. Bisher ist die Inzidenz nämlich in der Region Hannover höher als in den anderen Kommunen.

Noch drastischer könnte es auf den ostfriesischen Inseln kommen – die unterschiedlichen Landkreisen zugeordnet sind (Leer, Wittmund und Friesland). Während auf allen Inseln selbst die Inzidenz sehr niedrig ist, hängt es am Ende von den Werten in denen jeweils zugeordneten Landkreis ab, ob die Herbergen Gäste bewirten dürfen oder nicht. Das Argument, dass eine Insel mit ihrer fehlenden Landgrenze zum Festland kaum eine Übertragung der Ansteckung ermöglicht, wäre wirkungslos – denn weitere Sonder-Bestimmungen bei der Ermittlung der Inzidenzen gibt es nicht. Auch die mögliche Ursache einer hohen Inzidenz in einem Landkreis, die in einem Hotspot liegen und nicht flächendeckend sein müsste, würde keinen besonderen Ausschlag geben. Damit ist der Zuschnitt der Kreisgrenzen, der in Niedersachsen in einem Nebeneinander von großen und kleinen Einheiten besteht, maßgeblich für die Chance, an den jetzt geplanten Öffnungen teilhaben zu können oder nicht.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #085.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Foto: Wallbaum
Landeskabinett macht den Weg frei für den Klima-Bürgerrat und legt Sektorziele fest
6. Mai 2025 · Niklas Kleinwächter4min
Bibelarbeit: Stephan Weil im Gespräch mit Julius Geiler. | Foto: Kleinwächter
Stephan Weil versteht die Verzagtheit nicht und warnt vor falschen Propheten im Netz
3. Mai 2025 · Niklas Kleinwächter4min
Applaus für den Kanzler: Um 16.15 Uhr hat es Friedrich Merz endlich geschafft. | Foto: Bundestag/Screenshot: 
 Link
Entsetzen auch in Hannover: Holprige Wahl des Kanzlers löst helle Aufregung im Landtag aus
6. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min