Ulrike Talkner (r.) präsentiert mit Agrarministerin Miriam Staudte den Waldzustandsbericht. | Foto: Kleinwächter

Der Regen tat den Wäldern gut: Zumindest der Boden hat sich aufgrund der Niederschläge der zurückliegenden Monate erholen können. In den Baumkronen ist der positive Trend allerdings noch nicht angekommen, wie der aktuelle Waldzustandsbericht für Niedersachsen aufzeigt. Landesforstministerin Miriam Staudte (Grüne) spricht deshalb von „Luft holen“, nicht aber von „Entwarnung“. „Der Wald leidet verzögert an den Folgen des Extremwetters der Jahre 2018 bis 2023. Unser Wald kann etwas aufatmen, je nach Baumart sind die Reaktionen allerdings sehr unterschiedlich. Die Klimakrise setzt den Wäldern weiterhin zu“, erklärte die Ministerin am Montag bei einem Ortstermin im Misburger Wald in Hannover. Am politischen Kurs ändert sich deshalb auch nichts: Artenreiche, klimastabile Laub- und Mischwälder bleiben das Ziel. Der angeschlagene Wald soll nicht nur aufgeforstet, sondern dabei auch umgebaut werden – und zwar so, dass er möglichst auch noch den veränderten klimatischen Bedingungen in hundert Jahren standhält. Staudte warnte vor den nächsten Extremjahren und betonte die Bedeutung einer Risikostreuung. Außerdem mahnte sie den Bund, auch im kommenden Jahr seinen Anteil an der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) beizusteuern, damit es beim Waldumbau keine Verzögerungen gibt. Philip von Oldershausen, Präsident des Waldbesitzerverband Niedersachsen, fordert in diesem Zusammenhang Handlungsfreiheit für die Förster vor Ort. Er fürchtet, dass nach der Novelle des Bundeswaldgesetzes künftig zu wenig auf regionale Unterschiede Rücksicht genommen werden könnte.

In der jährlich stattfindenden Begutachtung des Waldes betrachten die Experten der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt mit Sitz in Göttingen den Zustand der Bäume – die Dichte der Kronen, die Absterbe- und Ausfallrate – sowie den Befall durch forstschädliche Pilze und Insekten und den Zustand des Bodens. Bei etwas mehr als einem Fünftel der betrachteten Bäume haben die Forscher in diesem Jahr eine Kronenverlichtung festgestellt. Kurzfristige Wetterveränderungen zeigen hier wenig Wirkung: Ist eine Baumkrone erst einmal abgestorben, wird es dort lange nicht mehr grün. Eine leichte Verbesserung stellen die Forstexperten hingegen beim Anteil der stark geschädigten Bäume fest. Dieser ist um 0,7 Prozentpunkte rückläufig gewesen, liegt mit 3,4 Prozent aber immer noch doppelt so hoch wie im langjährigen Mittel, auf das sich der Waldzustandsbericht bezieht. Die starken Schäden der vergangenen Jahre drücken sich nun auch in der Absterberate aus, die in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen ist. Der Anteil der Bäume, die ohne aktives Zutun abgestorben sind, liegt demnach mit 0,4 Prozent über dem langjährigen Mittelwert – aber noch weit unterhalb der Rekordwerte aus den Dürrejahren.

Ulrike Talkner, bei der Versuchsanstalt für Umweltkontrollen zuständig, ging detailliert auf die verschiedenen Baumarten ein. Die Kiefern, von denen es in Niedersachsen besonders viele gibt, seien aufgrund der Beschaffenheit ihres Wurzelsystems und ihrer Nadeln von der Dürre eher weniger betroffen gewesen. Ein wärmeliebender Pilz sowie der Kiefernspinner plagen nun allerdings die Kiefernbestände, die vom Wechsel zwischen längeren Kalt- und Warmperioden geschwächt seien. Der Buche sei es in diesem Jahr etwas schlechter ergangen als im langjährigen Durchschnitt. Die ausreichende Wasserversorgung habe noch nicht für eine vollständige Regenerierung ausgereicht. Als ein mögliches Stresssymptom beschrieb Talkner die Zunahme sogenannter Mastjahre: Buchen würden ihre Energie auf die Bildung von Früchten konzentrieren, wodurch das Wachstum gehemmt wird. Die Fichte befinde sich in einem desaströsen Zustand, führte Talkner aus. In Folge der Trockenheit und des darauf folgenden Borkenkäfer-Befalls seien die Bestände massiv abgestorben. Der Eiche attestiert Talkner ein genetisches Anpassungspotenzial. Der Anteil starker Schäden sei bei dieser Baumart geringer ausgefallen als in der Gesamtheit des Waldes. In diesem Jahr seien aber viele Eichen von Mehltau befallen gewesen. Der Eichenprachtkäfer trete in Niedersachsen zwar vereinzelt auf, habe den hiesigen Bestand aber nicht so stark befallen wie anderswo.

„Wir müssen den Wald vorm Klimawandel retten.“

Die Veränderungen an der Oberfläche wirken sich nun auch auf das Erdreich aus. Das Mikroklima verändere sich, erklärte Talkner, es werde wärmer und feuchter. Dadurch würden andere Mikroorganismen im Waldboden aktiv, wodurch wiederum Blätter, Nadeln und Äste schneller zersetzt werden. Kohlenstoff werde deshalb schlechter gespeichert, Stickstoff schlechter herausgefiltert. Alle Leistungen, für die der Waldboden gemeinhin gefeiert wird, verschlechtern sich also, schlussfolgert die Forscherin. Neben der Wiederaufforstung und dem klimagerechten Umbau der Wälder müsse es deshalb auch darum gehen, den CO2-Ausstoß zu verringern. „Wir wünschen uns, dass der Wald uns beim Klimaschutz hilft“, sagte Talkner. „Aber wir müssen den Wald vorm Klimawandel retten.“