In einer ernsten Situation hat der Landtag gestern eine erneute Regierungserklärung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gehört. Der Regierungschef musste dabei einräumen, dass sich trotz des bundesweiten Rückgangs der Corona-Neuinfektionen die Lage in Niedersachsen eher verschärft. Die Bandbreite reiche heute von einer Inzidenz von 20 in Emden bis 239 im Landkreis Wesermarsch. Gleichzeitig ist die britische Mutation des Virus auf dem Vormarsch. „Wir sind den Mutationen nicht schutzlos ausgeliefert, aber wir müssen in den ganzen nächsten Monaten vorsichtig bleiben“, sagte Weil. Er fügte hinzu: „Die Bekämpfung dieser Pandemie ist zäh und sie verlangt allen Beteiligten alles ab. Unsere ganze Gesellschaft steht unter Stress und sehnt sich nach einem Ende dieser Belastungen.“ Allerdings sei das Land mit den Beschränkungen „auf dem richtigen Weg, mag er auch lang und steinig sein“. Die Corona-Politik sei „tatsächlich ein langwieriger und zäher Kampf mit einem sehr unangenehmen Gegner“. Erstmals verwandte der Ministerpräsident in dieser Rede einen Begriff auf dem militärischen Sprachgebrauch.
Die Debatte im Parlament drehte sich vor allem die Perspektive für die kommenden Wochen. Dabei wagte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, die Prognose auf eine bevorstehende öffentliche Debatte über mögliche Sonderrechte für jene Geimpften, die das Virus nicht mehr weitertragen können. Der Druck der geimpften Menschen über 80, die wieder reisen oder Restaurants besuchen wollen, werde enorm zunehmen – im Gegenzug auch der Druck der Gastronomen und Touristik-Veranstalter. Griechenland bereite gegenwärtig ein Abkommen mit Israel über Urlaube vor – da in Israel schon ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei. Er persönlich, sagte Toepffer, habe „ein Problem damit, persönliche Rechte an den Gesundheitszustand zu knüpfen“, aber Solidarität könne andererseits auch bedeuten, dass die Nicht-Geimpften den anderen Vortritt lassen, da klar sei, „dass wir mit einem dauerhaften Lockdown nicht werden leben können“.
Weil hatte zuvor eine grobe Perspektive der bevorstehenden Impfungen vorgetragen: Im zweiten Quartal werde deutlich mehr Impfstoff als bisher bereit stehen, man werde auch die Hausärzte beliefern können. Im dritten Quartal dann werde es überall in Niedersachsen Impfangebote geben, dies könne dann „ein echter Durchbruch sein“. Das Ziel bleibe, bis zum Ende des dritten Quartals allen Menschen in Niedersachsen ein Impfangebot machen zu können. SPD-Fraktionschefin Johanne Modder unterstützte Weils Kurs ausdrücklich: „Das einzige, was im Moment wirklich hilft, ist die Beschränkung der Kontakte, nichts sonst.“ Sie wisse, dass derzeit „Vorsicht auf Ungeduld trifft“ und dies zu „herben Enttäuschungen führt“ – aber anders gehe es nicht.
Die Bekämpfung dieser Pandemie ist zäh und sie verlangt allen Beteiligten alles ab. Unsere ganze Gesellschaft steht unter Stress und sehnt sich nach einem Ende dieser Belastungen.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg forderte ein Konzept der Landesregierung für die weitgehende Öffnung, für mehr Schnelltests und die besonderen Vorkehrungen für Gebiete, in denen die Mutation sich stark ausbreitet. Die Grünen vertreten die Ansicht „draußen ist das neue drinnen“ – und plädieren für die weitgehende Verlagerung von Kultur, Sport und Gastronomie ins Freie. Stefan Birkner (FDP) hielt der Landesregierung „viel zu passives und zu zögerliches Verhalten“ vor und meinte, beim Umgang mit der Unsicherheit sei die Regierung umso stärker gefordert, jede Beschränkung nachvollziehbar zu begründen. Daran aber mangele es. Toepffer entgegnete, Grüne und FDP seien sich nicht einig, die Anhängerschaft der FDP sehe in den Auflagen für die Wirtschaft ein riesiges Übel, die Anhängerschaft der Grünen teile das nicht. Das Anpreisen der Draußen-Aktivitäten, das Hamburg vertrete, sei „fürchterlich naiv“, denn auch das steigere die Ansteckungsgefahr. Wenn die FDP die privaten Kontaktbeschränkungen durch bloße Appelle ersetzen wolle, sei das „Wahnsinn“ und blende die Realität der verbreiteten Verstöße gegen die Auflagen aus. Der AfD-Abgeordnete Stefan Henze hielt Ministerpräsident Weil vor, er habe „sich im Tunnel verrannt und den Mut verloren, umzukehren“.
CDU gibt Reimann Rückendeckung: Weil hatte zu den Pannen in der Verantwortung von Sozialministerin Carola Reimann in der Regierungserklärung gesagt: „Es tut uns allen sehr leid, dass gerade hochbetagte Menschen mit den Tücken einer überlasteten Hotline zu kämpfen hatten.“ Darauf entgegnete Birkner: „Das waren doch die Tücken einer überforderten Landesregierung.“ Toepffer sagte: „Wir vertrauen weiter auf Sozialministerin Carola Reimann und ihren Staatssekretär Heiger Scholz. Allerdings haben wir die ausdrückliche Bitte, dass die Ministerin stärker den Sachverstand und die Erfahrung der Kommunen einbezieht.“