
Ein generelles Nutzungsverbot für Smartphones wird es an öffentlichen Schulen in Niedersachsen nicht geben. Anstatt aus der Landeshauptstadt heraus zu verordnen, wie die Nutzung von Smartphones, Tablets oder Smartwatches zu reglementieren ist, sollen das die Akteure vor Ort selbst mitentscheiden. Das erklärte Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) am Donnerstag in der Landespressekonferenz. Gemeinsam mit Hamburgs Bildungssenatorin Ksenija Bekeris (SPD) stellte sie eine entsprechende Handreichung sowie eine Broschüre mit Materialien und Praxishinweisen vor, die von den Behörden in den vergangenen Wochen entwickelt worden sind und nun an die Schulen übersandt werden. „Wir weisen die Schulen an, dass sie eine Regelung haben müssen“, sagte Hamburg und betonte damit den verbindlichen Charakter einer solchen Empfehlung durch die Landesbehörde. Während die Schulen in der Freien und Hansestadt bis zu den nächsten Herbstferien Zeit haben, sich eigene Regeln zu geben, setzt Niedersachsens Kultusministerin ihren Schulleitungen keine starre Frist. Vielmehr soll von der öffentlichen Vorstellung der Papiere nun ein Impuls ausgehen, dass die Schulen sich mit ihren Schulordnungen befassen müssen. In einem Dreivierteljahr wolle man nachfassen, wie weit die Prozesse gediehen sind. Tatsächlich geht die Kultusverwaltung davon aus, dass ein Großteil der Schulen bereits entsprechende Bestimmungen in ihren Schulordnungen verankert hat. Hamburg betonte, diese tragfähigen Lösungen nicht kaputtmachen, sondern Rechtssicherheit und ergänzende Anregungen geben zu wollen.
Im Zentrum der neuen Smartphone-Politik der Kultusministerin stehen die bewussten Aushandlungen in den Schulen. Dadurch könne auf örtliche Gegebenheiten besser eingegangen werden, zudem erhöhe das Verfahren die Akzeptanz bei Lehrern, Schülern und Eltern. Die letztgenannte Gruppe nehmen Hamburg und Bekeris in besonderer Weise in die Pflicht. Sie hoffen, dass die Eltern ihre eigenen Konsumgewohnheiten ebenfalls reflektieren, wenn sie an der Erarbeitung von Regeln für die Schule beteiligt werden. Der partizipative Ansatz kommt bei Eltern- und Schülervertretern gut an. In der Elternschaft gebe es eine ganze Bandbreite an Haltungen zum Umgang mit Smartphones, erklärte Miriam Kaschel, Vorsitzende des Landeselternrates. Es sei wichtig, dort das Verständnis für die Regeln zu fördern. Denn nicht jeder verstehe einen Erlass, der von oben kommt. Es sei entscheidend, miteinander wieder ins Gespräch zu kommen, sagte Kaschel und bezog das sowohl auf die Regelsetzung als auch auf den schulischen und familiären Alltag. „Wir müssen auch die analoge Welt wieder attraktiver machen.“ Alle an einen Tisch zu holen, sei ein Schritt in die richtige Richtung, erklärte auch Marie Sievers für den Landesschülerrat. Für sie ist das Medienproblem ein gesellschaftliches Problem, das auch die Erwachsenen miteinbezieht. Sie wünscht sich, dass Nutzungsverbote auch für Lehrer gelten sollen. Die Kultusministerin erklärte daraufhin, sie erwarte von den Lehrkräften, Vorbild zu sein.
Die Basis für die Empfehlungen der Kultusbehörden bilden die Ergebnisse eines Expertengesprächs, das im Sommer vom niedersächsischen Kultusministerium veranstaltet worden ist. Stellvertretend für diese Expertenrunde bestehend aus Kinderärzten, Didaktikern und Medienpädagogen äußerte sich die Göttinger Kinder- und Jugendärztin Tanja Brunnert. Sie erklärte, dass immer mehr Entwicklungsstörungen in den Bereichen Sprache und Sprechen sowie der Feinmotorik festgestellt werden. Grund dafür sei der Medienkonsum. „Jedes vierte Kind hat ein problematisches Nutzungsverhalten“, sagte sie und vertrat die Position, dass Kinder auch ohne Handys medienkompetent werden können. Die Kultusministerin leitet daraus ab, dass die private Nutzung von Smartphones an Grundschulen generell verboten werden sollte. In den höheren Klassenstufen empfiehlt sie, spezielle Zeiten oder Räume für die Nutzung der Geräte anzubieten. Flankiert werden sollen die Verbote von weiteren Maßnahmen wie einem Social-Media-Pass oder einer entsprechenden Sprechstunde.
Eigentlich hatte Niedersachsens Kultusministerin eine bundesweit einheitliche Regelung angestrebt. Weil sich aber keine Einigung in der Kultusministerkonferenz abzeichnete, entschied sie sich im Sommer, eigene Wege zu gehen. Hamburgs Bildungssenatorin schloss sich kurzerhand an und entwickelte teilweise gemeinsam, teilweise parallel zum niedersächsischen Vorgehen eine eigene Handreichung. Ob sich weitere Länder dem niedersächsischen Modell anschließen werden, bleibt offen. Die Opposition im niedersächsischen Landtag kritisiert das Vorgehen der Kultusministerin. „Unsere Schulen brauchen klare Leitplanken, keine vagen Handreichungen“, erklärte CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner und forderte ein eindeutiges Handyverbot an Schulen bis zur 10. Klasse.


