Etliche neue Abgeordnete sind in den Landtag eingezogen, sie kommen in eine für sie neue Welt. Was treibt sie an, was wollen sie erreichen – wie stellen sie sich die Arbeit vor? In einer kleinen Serie stellt das Politikjournal Rundblick einige von ihnen vor. Heute hat Niklas Kleinwächter mit Michael Lühmann (Grüne) gesprochen. Podcast anhören: Podigee | Spotify | Apple-Podcast u.v.m.

Michael Lühmann spricht mit Niklas Kleinwächter über seinen Einzug in den niedersächsischen Landtag. | Foto: Audrey-Lynn Struck

Er ist da irgendwie immer tiefer hineingerutscht. Eigentlich wollte Michael Lühmann, Politikwissenschaftler am Institut für Demokratieforschung in Göttingen, gar nicht selbst Berufspolitiker werden. „Ich stand lange auf dem Standpunkt, dass das das Letzte wäre, was ich wollte“, sagt der 42-Jährige. Aber dann kam eines zum anderen. Er forschte über die Grünen und ließ sich von der Sichtweise überzeugen, man könne nicht immer nur politisches Engagement fordern und sich selbst zurückhalten. Also trat er der Partei bei. Dann suchten sie in seinem Heimatdorf Bovenden bei Göttingen, wo er mit Frau und vier Kindern lebt, einen neuen Bürgermeister. Bürgermeister? Das kannte er von zuhause, sein Vater war in der Nähe von Leipzig, wo er aufgewachsen ist, auch Bürgermeister gewesen. Lühmann ließ sich darauf ein, gewann zwar nicht, holte aber ein respektables Ergebnis. Von dort war es dann nicht weit zur Kandidatur für den Landtag, obwohl er das eigentlich auch nicht zielstrebig anvisiert hat.

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Vielleicht ist es der Reiz des Politischen, der ihn schon von frühester Kindheit erfasst hat. Die Montagsdemonstrationen in Leipzig hat er als Kind, neun Jahre alt, intensiv wahrgenommen. „Mir läuft heute noch ein Schauer über den Rücken, wenn ich Bilder von 1989 und 1990 sehe.“ Er studierte Politikwissenschaft und Geschichte, wurde Politologe, beobachtete soziale Bewegungen und Protestformen, untersuchte die Parteien – auch die Gruppen am rechten Rand. „Das Draufgucken ist viel entspannter als das Agieren“, sagt er. Wer selbst Politiker ist, müsse viel stärker die Leute mitnehmen und kommunikativ sein.

Sein Wahlkreis Göttingen-Hann. Münden ist ländlich geprägt, da fährt abends oft kein Bus mehr, man braucht das Auto, wenn man abends wieder nach Hause will. Da sind die Ortsgruppen der Feuerwehr und der Schützenvereine, die ihren Abgeordneten als jemanden haben wollen, der ihre Probleme aufnimmt. „Zuhören ist angesagt, vor allem Zuhören“, meint Lühmann. Und weil eine seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse lautet, dass Seitenwechsler sich von ihrer früheren Profession lösen müssen, heißt das für ihn eben auch: Weniger dozieren, mehr aufnehmen.

Michael Lühmann bei einer Rede im Landtag. | Screenshot: NDR

„Ich bin glücklich mit Rot-Grün, es war auch eine echte Liebesheirat. Da sind zwei, die gern zusammenarbeiten.“

Michael Lühmann, Landtagsabgeordneter (Grüne)

Bei seiner Vorgeschichte dürfte ihm das nicht immer leicht fallen. Wissenschaftlich hat sich Lühmann mit vielen spannenden Fragen beschäftigt. Zum Beispiel der, ob die Grünen eine bürgerliche Partei sind. Ja, meint er, sie seien eine Mischung aus Bildungsbürgertum und Protestkultur. Zum Beleg zitiert er eine Szene aus der Gründungszeit der Partei: „Joschka Fischer war bei Otto Schily eingeladen und stellte sein Bierglas auf das Klavier. Da rastete Schily aus.“ Eben jener Fischer, inzwischen auch ganz bürgerlich, sollte Teil von Lühmanns Doktorarbeit werden, der Titel „Die Grünen nach Fischer“. Das war 2010, aber er kam bisher nicht zum Schreiben. „Heute würde sich der Titel wohl schon deshalb nicht gut verkaufen, weil man vielen jungen Leuten erklären müsste, wer eigentlich dieser Joschka Fischer war.“

Auch mit Schwarz-Grün hat sich Lühmann beschäftigt, sagt aber heute unumwunden: „Ich bin glücklich mit Rot-Grün, es war auch eine echte Liebesheirat. Da sind zwei, die gern zusammenarbeiten.“ Rein theoretisch wäre für ihn auch Schwarz-Grün interessant gewesen – „das wäre wie nach dem Motto: Schlingensief inszeniert Wagner“. Aber ein solches „Zusammenspiel von alter und neuer Bürgerlichkeit“ sei heute schon deshalb schwierig, weil die CDU ihrer Aufgabe, sich klar von der AfD abzugrenzen, bundesweit nicht klar genug gerecht werde. In Niedersachsen, räumt Lühmann ein, seien die CDU-Spitzen gerade sehr konsequent gegen die AfD vorgegangen, das finde er gut und richtig.

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Mit Blick auf die AfD hat Lühmann in der Vergangenheit schon manchmal äußerst umstrittene Positionen eingenommen. So forderte er eine „maximale Ausgrenzung“, die schon bei der Sprache ansetzen müsse. Denn der mit der AfD in den Parlamenten bewirkte „Rechtsruck“ begünstige auch den Rechtsterrorismus. Ihm sei es lieber, die Menschen bleiben zuhause – als dass sie AfD wählen. Was die radikalen Klima-Demonstranten der „Letzten Generation“ angeht, die sich auf Straßen festkleben und Menschenleben gefährden, bringt Lühmann Verständnis auf. Ob der Weg dieser Leute richtig sei, müsse man „diskutieren“, ihr Anliegen und ihr Wunsch nach Aufmerksamkeit findet seine Zustimmung. Die Umweltbewegung, sagt der Grünen-Politiker, sei seit jeher von einem radikalen Protest begleitet worden, der bis an die Grenzen der Legitimität gegangen sei.