31. Mai 2023 · Inneres

Nach Anschlag auf Imbiss in Hannover wächst die Sorge vor einer neuen Gewaltwelle

Das Feuer im Gebäude einer türkischen Moschee in der hannoverschen Nordstadt hat die Landespolitik aufgerüttelt. Eine Sprecherin von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, die Landesregierung verurteile die Tat und hoffe auf eine schnelle Aufklärung der Hintergründe. Der Sprecher des Innenministeriums, Oliver Grimm, berichtete von einem Molotov-Cocktail als Ursache des Feuers. Das heißt, jemand hat einen Brandsatz in den Imbiss, der sich im Erdgeschoss des Hauses befindet, geworfen. Die Polizei geht nach Grimms Worten allerdings von einer Brandstiftung aus und benutzt das Wort „Anschlag“ nicht. Die Ermittlungen seien noch im Gange, erklärte Grimm.

Foto: Heiko Küverling

Die hannoversche Polizeipräsidentin Gwendolin von der Osten hatte nach der Tat am Dienstagabend den Ort besucht und gesagt, man könne beim derzeitigen Ermittlungsstand eine politisch motivierte Tat nicht ausschließen. Oberhalb des Gebäudes, in dem der Imbiss sich befindet, ist die Moschee angesiedelt. Grimm berichtete, bisher könne man nicht von einer Steigerung der Gefährdung von Moscheen insgesamt sprechen. Gleichwohl nehme die Sorge der Betroffenen zu, und das nehme die Polizei „sehr, sehr ernst“. Bei der Analyse der möglichen Urheber der Aktion kommen nun mehrere Varianten in Betracht.

Da die Polizei zum Ermittlungsstand noch keine weiteren Auskünfte erteilt, sind die möglichen Erklärungen nun immer noch spekulativ. Zum einen könne es sein, dass rechtsextreme Kräfte einen Anschlag verübt haben – und die Moschee oder der türkische Imbiss das Angriffsziel von ausländerfeindlichen Gruppen oder eines Einzeltäters waren. Die Nähe zum 30. Jahrestag des Mordanschlags von Solingen am 29. Mai 1993, bei dem fünf Menschen getötet wurden, könnte hier eine Rolle spielen. Die nächste Variante könnte mit dem Ausgang der türkischen Präsidentenwahl zu tun haben, bei denen Präsident Erdogan eine Wiederwahl erreichte. Die Annahme möglicher Täterkreise reicht hier von Rechtsextremisten über türkische Gruppen bis hin zu militanten Erdogan-Gegnern. Unter dem Begriff „Brandstiftung“ ist auch die Möglichkeit eingeschlossen, dass die Tat nicht politisch motiviert war, sondern im Bereich der gewöhnlichen Kriminalität zu suchen ist.

Innenministerium klärt über Gewaltbereitschaft auf:

Wie es um die verschiedenen Extremismusformen und ihre Aggressivität in Niedersachsen aktuell steht, berichten Innenministerin Daniela Behrens und Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril am heutigen Donnerstag im Innenausschuss des Landtags. Dabei geht es unter anderem um islamfeindliche Aktivitäten, die vermutlich zuerst dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. Sollte es sich bei dem Vorfall in Hannover um einen Anschlag handeln, liegt die Vermutung dieser Urheberschaft nahe. Wie die Vielfalt der Extremismusformen und ihr Gefahrenpotenzial im benachbarten Nordrhein-Westfalen aussehen, hat jüngst der dortige Verfassungsschutz-Chef Jürgen Kayser in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erläutert.



Nach seinen Worten hat der Rechtsextremismus gegenwärtig als einzige Ideologie das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten. Rechtsextremisten würden Themen wie Energiepreise, Angst vor dem Krieg oder Zuwanderung nutzen, um bei den Menschen Befürchtungen zu wecken. Rechtsextreme Anführer könnten sich dann als Retter präsentieren. Bedenklich ist laut Kayser auch der Linksextremismus, der gezielt Gewalt gegen politische Gegner plane. Linksextremisten sei es auch gelungen, punktuell anschlussfähig zur Klimaschutzbewegung zu werden. Eine Radikalisierung stelle man auch beim Islamismus fest – und das Problem sei, dass man diesen Prozess bei den Menschen erst erkenne, sobald er öffentlich agiert. Wer sich von der Gemeinschaft abkapsele und seinen Hass entwickele, könne von den Behörden kaum wahrgenommen werden. Vieles von dieser Radikalisierung, auch beim Islamismus, finde im Netz statt.

Dieser Artikel erschien am 1.6.2023 in Ausgabe #099.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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