22. März 2021 · 
Umwelt

Nach 20 Jahren beendet die Regierung den „Harzer Gipsfrieden“

Ende vergangener Woche endete die Einspruchsfrist, und das hat die Kritiker einer weitreichenden Entscheidung, die in der Landesregierung derzeit vorbereitet wird, noch einmal kräftig angestachelt. Im Entwurf des Landesraumordnungsprogramms (LROP), das 2022 in Kraft treten soll, wird auf einmal die Möglichkeit für den Abbau von Naturgips im Südharz erweitert – 40 Hektar auf niedersächsischem Gebiet sollen noch einmal hinzukommen. „Damit wird der 2002 geschlossene Gips-Frieden im Südharz gebrochen“, meint der BUND-Experte Friedhart Knolle, der sich seit vielen Jahren für den Schutz der einzigartigen „Südharzer Gipskarstlandschaft“ engagiert – und jetzt die Früchte des ehrenamtlichen Einsatzes in Gefahr sieht. Dieses Areal zieht sich über 100 Kilometer hin, von Seesen, Osterode und Walkenried in Niedersachsen über Nordhausen bis nach Sangerhausen in Thüringen. Zwischendurch, in Sachsen-Anhalt, gibt es sogar den Schutzstatus als Biosphärenreservat. Der BUND protestiert gegen den Entwurf des LROP.

Was Knolle mit dem Begriff „Gips-Frieden“ meint, wird deutlich mit Blick auf die Umstände: Weltweit sei diese Form der Landschaft höchst selten, und an die Besonderheit des gipshaltigen Bodens sind besondere Vorkommen an Pflanzen und Tieren gebunden, hier bilden sich Höhlen und Bachschwinden, die auf die gesteinsauflösende Wirkung des Wassers zurückgehen. Das Bundesamt für Naturschutz habe von einer internationalen Bedeutsamkeit der hiesigen Artenvielfalt gesprochen. In einem Schreiben von Ministerpräsident Stephan Weil, das von Juli 2019 stammt, bekräftigt die Staatskanzlei gegenüber dem BUND noch einmal die Beständigkeit einer Festlegung von 2002. So seien damals die für den Gipsabbau reservierten Bereiche „abschließend festgelegt“ worden, es gebe „keinen Anlass, diesen Gips-Kompromiss in Frage zu stellen“. Knolle sagt nun: „Als wir Weils Brief gelesen hatten, waren wir beruhigt.“ Inzwischen wisse er aber, dass dazu kein Anlass bestanden habe. In den Formulierungen zu den Plänen für die Reform des  LROP hieß es noch 2019 zunächst, Vorranggebiete für den Rohstoffabbau sollten „im Einzelfall kleinflächig erweitert“ werden, nicht aber großflächig. Wie die Grünen-Abgeordneten Stefan Wenzel und Christian Meyer gegenüber dem Politikjournal Rundblick erläutern, ist in der vor Weihnachten 2020 vom Kabinett beschlossenen Fassung des LROP die strikte Beschränkung auf Vorranggebiete auf eine „Soll“-Bestimmung aufgeweicht worden, ergänzend werde darin beschrieben, dass auch außerhalb der Flächen Gipsabbau statthaft sein soll. Knolle sagt: „Diese Ansage ist ein klarer Bruch der uns von Weil im Sommer 2019 gegebenen Zusage.“

Während nun über den Einfluss der Gips-Wirtschaft auf die Politik spekuliert wird, wohl gegenüber dem Wirtschaftsministerium und dann in der Folge gegenüber dem für die LROP-Koordination zuständigen Agrarressort, tobt im Südharz der Streit über die Art der Gipsproduktion. Die Firmen verweisen darauf, dass mit dem absehbaren Ende der Kohlekraftwerke auch weniger REA-Gips gewonnen werden kann – die Lücke solle durch Naturgips geschlossen werden. Arbeitsplätze seien bedroht. Knolle vom BUND widerspricht: Die Industrie wähle nur diesen Weg, weil gegenwärtig der Naturgips so günstig sei – und das sei auch nur so, weil die ökologischen Schäden und die Opferung der einzigartigen Landschaft nicht in die Rechnung einbezogen würden. Längst gebe es andere Wege der Kunstgips-Produktion. Christian Meyer und Stefan Wenzel von den Grünen registrieren mit Interesse, dass derzeit das Agrarministerium den LROP-Entwurf verteidige, während Umweltminister Olaf Lies inzwischen auf Distanz zur geplanten Erweiterung des Abbaus um 40 Hektar gehe. „Lies hängt das Fähnchen nach dem Winde“, meint Meyer – denn kurz vor Weihnachten noch habe er das Problem gar nicht benannt. Nun wollten die Grünen wissen, ob die Einwände und Bedenken der Naturschützer gar nicht vorgetragen wurden – oder ob sie geäußert, aber von der Landesregierung bei der Aufstellung des LROP-Entwurfs später einfach ignoriert wurden. Beides wäre skandalös.

Der LROP-Entwurf wird jetzt regierungsintern mit den Stellungnahmen der Verbände geprüft und bewertet, dann berät das Kabinett darüber und nach der Überarbeitung gibt es einen neuen Vorschlag. Das Papier enthält neben der Südharzer Gipskarstlandschaft noch weitere heikle Punkte – da geht es etwa um die Gewinnung von Ölschiefer im Braunschweiger Raum oder um den Vorschlag, den Bau von Windkraftanlagen auch in Wäldern zu erlauben.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #054.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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