Verkehrsexperten und Stadtplaner fordern ein radikales Umdenken beim Parken. „Es kann nicht mehr selbstverständlich sein, dass ich mein Fahrzeug überall im öffentlichen Straßenraum kostenlos abstellen kann“, sagt Prof. Christian Adams, der bei der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim als Studiendekan für Verkehrsplanung und Mobilität zuständig ist. Beim niedersächsischen E-Mobility Summit in Hannover betonte Adams: „Parken ist ein Schlüssel zur Verkehrswende, wenn es noch stärker als kommunales verkehrsstrategisches Instrument eingesetzt wird.“

Das durchschnittliche Privat-Auto stehe 97 Prozent des Tages ungenutzt herum – und das überwiegend zu Hause, rechnete der Mobilitätsplaner vor. Seinem Namen werde das privat genutzte Fahrzeug nur 46 Minuten am Tag gerecht. „Wir brauchen in Städten mehr Aufenthaltsqualität und nicht Abstellqualität“, sagte Adams und sieht ein Ziel der Verkehrswende darin, dieses Nutzerverhalten grundlegend zu ändern. Das müsse zum einen dadurch geschehen, dass Widerstände für den Kraftfahrzeugverkehr geschaffen werden. Zum anderen aber auch durch die Schaffung von „schlagkräftigen Mobilitätsalternativen“. „Wir brauchen eine gute ÖPNV-Anbindung als Rückgrat von allem“, betonte der Wissenschaftler. Parken müsse zwar auch weiterhin möglich sein, aber dort, wo es tatsächlich benötigt wird – etwa an Park+Ride-Parkplätzen. Dort müsse dann aber auch wirklich ein attraktives ÖPNV-Angebot für die Autofahrer bereitstehen.

Auch für Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ist ein „Weiter so“ im Straßenverkehr nur eben mit Elektromotoren keine Option. „Wir können nicht einfach 48,6 Millionen E-Autos auf die Straße bringen. Das Auto hat sich selbst besiegt, die Dosis macht das Gift“, sagte Canzler. „Inzwischen gibt es so viele Autos, dass alle Bundesbürger einschließlich der Niederländer gleichzeitig vorne sitzen können“, scherzte der Leiter der WZB-Forschungsgruppe Digitale Mobilität. Im Schnitt sei jedes Auto im Berufsverkehr aber nur mit 1,2 Personen besetzt und 43 Prozent aller Fahrten seien kürzer als fünf Kilometer. „Die durchschnittliche Kilometerleistung eines Autos nimmt seit Jahren ab. Das ist ja auch kein Wunder, weil man nicht alle Zweit- und Drittwagen gleichzeitig fahren kann“, spottete Canzler.

Für den Mobilitätsforscher wäre das ideale Verkehrsmittel eher das Pedelec, das er als „potenziellen Game-Changer“ der Verkehrswende betrachtet. Ein Pedelec funktioniert ähnlich wie ein E-Bike, schaltet jedoch nur dann den Elektromotor dazu, wenn der Fahrer selbst in die Pedale tritt und ist deswegen auch zulassungsfrei. „Wenn es gelingt, das Pedelec als Alltagsverkehrsmittel zu etablieren, könnte man die Verkehrswege bis fünf Kilometer problemlos absolvieren“, sagte Canzler.
Der ÖPNV muss seiner Meinung nach ausgebaut werden und viel mehr On-Demand-Angebote beinhalten sowie mit Sharing-Diensten vernetzt werden. Gleichzeitig fordert der WZB-Forscher attraktive Flatrate-Angebote für diese Alternativen zum motorisierten Individualverkehr. Das 9-Euro-Ticket habe bewiesen, dass ÖPNV dann genutzt wird, wenn man nicht viel darüber nachdenken müsse. Im Autoverkehr sei dieses Prinzip bereits selbstverständlich. „Wir fragen uns ja auch nicht, ob man die Straße im Nachbarlandkreis mitbenutzen darf“, sagte Canzler.
Der Mobilitätsforscher aus Berlin forderte dazu auf, die „Privilegierung des Autos“ in den Städten zu beenden. „Es kann nicht sein, dass Städte Transiträume sind, wo man einfach so durchfährt“, sagte Canzler und sprach sich für flächendeckende Durchfahrtsperren sowie Tempobegrenzungen aus. „Die Durchlässigkeit für den Fuß- und Radverkehr müssen wir stärken und für den Kraftfahrzeugverkehr reduzieren“, bekräftigte Adams. Dass Autos und Lastwagen ungehindert durch alle Stadtviertel fahren können, dürfe es nach Ansicht der beiden Wissenschaftler in Zukunft nicht mehr geben.
Als Vorbild für das „Prinzip der gefilterten Durchlässigkeit im Innenstadtbereich“ nannte Canzler die niederländische 200.000-Einwohnerstadt Groningen, wo Fußgänger und Radverkehr inzwischen einen Anteil von 60 Prozent am innerstädtischen Verkehrsaufkommen ausmachten, weil sie im Gegensatz zu den Kraftfahrzeugen direkter und damit schneller ans Ziel kommen. Auch Brüssel und Utrecht hätten Modellcharakter, wenn es darum geht mithilfe von Sackgassen und Durchfahrtssperren den Autoverkehr zu reduzieren. Von Amsterdam und Kopenhagen könnten die vergleichsweise fahrradunfreundlichen deutschen Großstädte noch eine andere Lektion lernen: „Wenn man Radverkehr will, dann muss man auch etwas investieren. Dann muss man sichere Wege schaffen“, sagte Canzler.