Mit Stellenanteilen für Online-Pastoren testet die Landeskirche digitale Gemeindearbeit
Kann es eine Kirchengemeinde auch in virtueller Form geben? Die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers möchte auf diese Frage eine Antwort finden. Dazu hat das Kirchenparlament für dieses und das nächste Jahr zunächst 560.000 Euro bereitgestellt, um die Arbeit von Pastoren, Diakonen und Kirchenmusikern in den sozialen Netzwerken zu unterstützen.
„Zu Beginn der Corona-Pandemie haben Einzelne, aber auch ganze Gemeinden einen gewaltigen Digitalisierungsschub erlebt“, berichtet Cordula Schmid-Waßmuth, die Vorsitzende des Öffentlichkeitsausschusses der Landessynode. Was zunächst experimentell und eigenverantwortlich angegangen wurde, soll nun systematisch bearbeitet werden. Finanzielle und personelle Ressourcen werden bereitgestellt und eine Arbeitsgruppe, in der die neuen Erfahrungen ausgetauscht und bewertet werden, nimmt nun ihre Arbeit auf. Auch wenn viele Fragen noch offen sind, ist das Ziel der Landeskirche klar: „Die Kirche muss raus aus Gebäuden und auf die digitale Straße“, sagt Schmid-Waßmuth, die auch selbst als Pastorin an St. Martin in Nienburg/Weser tätig ist.
„Die Kirche ist im Umbruch“, beschreibt Martin Krarup, Superintendent in Buxtehude und in der Landessynode Vorsitzender des Ausschusses für Theologie und Kirche, die derzeitige Situation. „Verkündigung und Seelsorge, also die Kernaufgaben eines Pastors, haben lange Zeit feste Rahmen und Orte gehabt. Da löst sich vieles auf.“ Inzwischen erkennt die Kirche an, dass auch die sozialen Netzwerke Orte sein können, in denen Menschen nach Sinn suchen. Deshalb sagt Julia Helmke, die im Landeskirchenamt zuständige Referatsleiterin: „Die Kirche ist präsent, wo Menschen präsent sind.“
Sechs Pastoren machen den Anfang
Vorreiter bei der digitalen Gemeindearbeit war das Ehepaar Ellen und Steffi Radtke, das seit 2020 aus dem kleinen Dorf Eime (Kreis Hildesheim) den Video-Kanal „Anders Amen“ betreibt. In wiederkehrenden Formaten auf Youtube oder Instagram haben sie vor und mit ihren Zuschauern die unterschiedlichsten Themen behandelt, und sie haben die Welt in ihr Leben mitgenommen – sogar zu persönlichen Lebensentscheidungen wie Kinderwunsch und künstlicher Befruchtung. Aufmerksamkeit erzielten sie mit ihren Videos weit über die Landesgrenzen hinaus.
Aber längst haben sich auch andere Pastoren auf den digitalen Weg gemacht und sind damit zu einiger Bekanntheit gelangt. Neben dem Ehepaar Radtke zählen noch vier weitere, gerne als „Sinnfluencer“ bezeichnete Pastoren zu dem erlesenen Kreis derjenigen, die nun offiziell mit je einem Viertel-Stellenanteil von ihrer Landeskirche für die Arbeit in den sozialen Netzwerken ausgestattet werden. Das sind zum einen Pastorin Ina Jäckel aus Leer und Pastor Quinton Ceasar aus Wiesmoor, zum anderen die Pastoren Christopher Schlicht und Maximilian Bode aus Bremerhaven.
Was sie gemeinsam haben, ist der Spaß an dem, was sie tun, und das Unkonventionelle, das man bei den einen auf den ersten, bei den anderen erst auf den zweiten Blick erkennt. Mit ihren Gesichtern und Lebensgeschichten sollen sie auch für eine vielfältige Kirche stehen und Menschen Identifikationspunkte liefern, die sie in der Gemeinde vor Ort vielleicht nicht immer finden. Auf Instagram folgen ihnen bereits jeweils zwischen 3000 und 11.000 Menschen, vorrangig in der Altersgruppe zwischen 25 und 44 Jahren. Sie werden also von einer Klientel angenommen, die für die Kirche inzwischen nicht mehr so einfach zu erreichen ist.
Wie werden aus Followern eine Gemeinde?
Wie aber wird aus einer Gruppe von Followern eine Gemeinde? Jäckel und Ceasar, Schlicht und Bode haben da schon einige Erfahrungen gesammelt. „Die Communities sind vielfältig“, erzählt Christopher Schlicht. „Es gibt Einzelbeziehungen und konkrete Seelsorge-Anfragen, die wir erhalten. Manche suchen einfach Gesprächspartner und wenden sich an uns, weil wir auch als Person zu erkennen sind.“ Jäckel hat erlebt, dass sich auch eine Verbundenheit zwischen ihren Followern entwickelt hat, allein dadurch, dass sie eine Frage stellt und die Instagram-Nutzer anschließend anhand ihrer Antworten Gemeinsamkeiten mit den anderen feststellten.
Wie in der analogen Kirche kann es aber auch im Digitalen die passiven Teilnehmer geben. „Man kann aber auch Teil der Gemeinde sein, ohne zu interagieren. Interagieren zu müssen, kann Menschen auch überfordern“, erzählt Schlicht. Natürlich zählen auch die gestreamten Online-Gottesdienste zum Repertoire der Digital-Pastoren. In der Gemeinde von Ina Jäckel ersetzen sie die Präsenz-Gottesdienste, was auch wichtig sei, um einer Überforderung entgegenzuwirken.
Die Anfragen gingen aber sogar schon weiter: „Bei Taufen und Hochzeiten sind uns Grenzen gesetzt“, sagt Schlicht. Aber digital haben sie schon den Segen gespendet. Und auch einen Trauergottesdienst hat es schon gegeben für ein Mitglied der digitalen Community, das verstorben ist – eine echte Trauerfeier vor Ort gab es aber auch.
Vorbilder sollen die sechs Kirchen-Influencer nun zwar sein. Aber heißt das auch, dass künftig alle Pastoren bei Instagram aktiv sein sollten? Ina Jäckel schüttelt den Kopf und spricht von einem „Gaben-orientierten Auftrag“: „Die Kirche muss präsent sein, aber nicht jeder.“ Und das ist auch ein Vorteil der digitalen Gemeinde: Sechs Pastoren können mit ihren Angeboten vorerst durchaus ganz Niedersachsen abdecken. Drei weitere Stellenanteile können allerdings noch vergeben werden.
Dieser Artikel erschien am 20.01.2023 in der Ausgabe #010.
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