23. Mai 2024 · 
Inneres

Mielke räumt ein: Meine Mitarbeiter haben den Fall anders eingeschätzt

Wer trägt die Verantwortung für die umstrittene Entscheidung, die Büroleiterin des Ministerpräsidenten Stephan Weil mit einer B2-Vergütung außertariflich zu belohnen? Der Fall beschäftigt seit Monaten die Landespolitik, die CDU hat kürzlich den hannoverschen Rechtsanwalt Ralph Heiermann als Gutachter präsentiert. Dieser kam zu dem Schluss, die Hochstufung sei aus mehreren Gründen „klar rechtswidrig“ gewesen. Der Hauptverantwortliche für die Personalie, Staatskanzleichef Jörg Mielke (SPD), trat am gestrigen Donnerstag als Zeuge im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) auf. Er musste an mehreren Stellen der Vernehmung einräumen, in dieser Personalie auf Widerspruch gestoßen zu sein – im Finanzministerium ebenso wie in der von ihm geleiteten Staatskanzlei.

Staatssekretär Jörg Mielke | Foto: Staatskanzlei Nds.

Die entscheidende Szene der mehrstündigen Vernehmung kam kurz vor 13 Uhr. Das Thema war, ob die rückwirkende Höherstufung der Büroleiterin zum 1. August 2023, die mit der Kabinettsentscheidung am 21. November 2023 festgelegt wurde, überhaupt vorab rechtlich geprüft worden war. Die CDU-Sprecherin Carina Hermann fragte Mielke nach möglichen abweichenden Positionen dazu in der Staatskanzlei. Daraufhin antwortete der Zeuge zunächst, dass ihm keine Belege für Bedenken vorlägen. Hermann beantragte daraufhin eine Sitzungsunterbrechung, um Mielke mit bisher als vertraulich eingestuften Unterlagen zu konfrontieren. Nach zehn Minuten, in denen der Ausschuss intern tagte, war dann die Öffentlichkeit wieder zugelassen. Hermann wiederholte ihre Frage – und Mielke erklärte jetzt: „Der Abteilungsleiter und die Referatsleiterin in der Staatskanzlei haben zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht an die Möglichkeit einer Rückwirkung glauben. Ich hielt das für falsch. Eine vertiefte Prüfung hat es nicht gegeben.“ Die Nachfrage von Hermann, ob er als Chef der Staatskanzlei daraufhin eine intensivere Analyse veranlasst habe oder die Entscheidung „einsam und allein getroffen“ habe, beantwortete der Zeuge so: „Ich war davon überzeugt. Und es kommt vor, dass Staatssekretäre allein entscheiden.“

Dieser Moment der Vernehmung war deshalb zentral, weil die CDU der Staatskanzlei schwere Versäumnisse und Fehler bei dieser Personalie vorhält. Hermann konfrontierte den Chef der Staatskanzlei mit dem Hinweis, dass er ja bei gravierenden Rechtsverstößen mit disziplinarischen Konsequenzen oder sogar strafrechtlichen Folgen rechnen müsse. Mielke meinte daraufhin: „Ich bin ja nicht davon ausgegangen, gegen Vorschriften verstoßen zu haben.“ In der Vernehmung wurde zudem deutlich, wie kontrovers das Thema der AT-Vergütung für C. im Juli 2023 lief, fünf Monate nach ihrem Tätigwerden in Hannover. Am Rande der Haushaltsklausur des Kabinetts am 2. Juli verabredeten Finanzminister Gerald Heere, Weil, Mielke und Finanz-Staatssekretärin Sabine Tegtmeyer-Dette eine Vereinfachung der Regeln für AT-Verträge. Vorgesehen war, dass bei einer Höherstufung kein Einverständnis des Finanzministeriums mehr erforderlich sein sollte. Wie Mielke jetzt erklärte, habe er in den folgenden Wochen nach diesem Gespräch den Eindruck gehabt, das Finanzministerium komme hier „nicht weiter“, Tegtmeyer-Dette habe ihm das telefonisch auch mitgeteilt. Dann habe er sich veranlasst gesehen, am 13. Juli einen deutlichen Brief an das Finanzressort zu schreiben und später auch Weil direkt einzuschalten: „Ich berichtete dem Ministerpräsidenten darüber, dass es nicht vorangeht in der Sache, dass es nicht läuft.“ Ein klärendes Gespräch zwischen Weil und Heere habe sich Ende Juli angeschlossen – vermutlich am 25. Juli am Rande der Kabinettssitzung. Eine schriftliche Ablehnung des Finanzministeriums auf Mielkes Brief vom 13. Juli, die bereits vorbereitet war, wurde daraufhin nicht mehr abgeschickt. Das Finanzministerium musste offenbar klein beigeben.

„Frau Kuhny hat ja ihre eigene Meinung zu dem Thema. Das kann ich mir mit Interesse anhören, hat für mich aber keine Relevanz.“

Mielke hatte zum Auftakt der PUA-Sitzung zunächst berichtet, dass Ministerpräsident Stephan Weil „Mitte November 2022“ selbst den Vorschlag unterbreitet habe, die damals 32-jährige Aynur C., Vorsitzende der SPD im Heidekreis und ehrenamtliche Bürgermeisterin, mit der Position der Büroleitung in der Staatskanzlei zu betrauen. Dies habe Weil ihm bei einem Vier-Augen-Gespräch in Mielkes Büro mitgeteilt. Im Gespräch sei noch eine Mitbewerberin gewesen, die auch in der SPD aktiv war, aber in Hannover lebt. Er selbst, sagte Mielke, habe C. dann erst bei ihrer Einstellung im Februar 2023 kennengelernt. Eine Streitfrage im PUA ist, ob C. überhaupt in die Position hätte berufen werden dürfen, da sie einen Masterabschluss im Steuerrecht hat und daher nach den Bestimmungen von Paragraph 25 der Niedersächsischen Laufbahnverordnung (NLVO) nicht ausreichend qualifiziert ist. Nun erklärte Mielke, der Paragraph 25 komme aus seiner Sicht nicht zum Tragen, da es hier nicht um laufbahnrechtliche Vorgaben gehe, sondern lediglich um eine viel gröbere Prüfung der beamtenrechtlichen Voraussetzungen – und die seien vorhanden. Der von der CDU beauftragte Gutachter Heiermann sieht das anders. Auf Nachfragen betonte Mielke aber zugleich, dass er selbst in die Prüfung der beamtenrechtlichen Voraussetzungen nicht einbezogen gewesen sei. „Das haben der Abteilungsleiter und das Personalreferat gemacht.“

Umstritten ist auch, warum C., die vorher in Hamburg nach E14 eingestuft war und in Hannover zunächst auf E15 kam, sofort die maximale „Erfahrungsstufe IV“ bekommen hatte. Dies setze doch, erklärte Hermann in einer Frage an Mielke, eine mehrjährige Berufstätigkeit in einer ähnlichen Funktion voraus – die C. aber gar nicht gehabt haben konnte. Mielke meinte, an der Prüfung dieser Frage sei er „nicht beteiligt“ gewesen. In den folgenden Monaten dann, als die Staatskanzlei die Höherstufung von C. auf B2 betrieb, entwickelte sich ein Kräftemessen in dieser Frage zwischen Mielke, der die Mitarbeiterin unbedingt befördern wollte, und dem Fachreferat für Tarifrecht im Finanzministerium, geleitet von Corinna Kuhny. Kuhny war schon am 2. Mai als Zeugin vor dem PUA aufgetreten. In der jetzigen Vernehmung von Mielke konfrontierte Hermann den Chef der Staatskanzlei mit einigen Aussagen der Zeugin Kuhny. So habe sie zur rückwirkenden AT-Gewährung, die Ende November mit Wirkung vom 1. August beschlossen wurde, eine klare Position vertreten – im Finanzministerium würden solche Schritte immer nur für die Zukunft festgelegt, nie zu einem Datum, das schon vergangen ist. Mielke reagierte darauf mit folgenden Worten: „Frau Kuhny hat ja ihre eigene Meinung zu dem Thema. Das kann ich mir mit Interesse anhören, hat für mich aber keine Relevanz.“ Er habe es auch nicht für nötig befunden, in der Staatskanzlei-internen Debatte über die Zulässigkeit der Rückwirkung bei Kuhny oder ihren Kollegen im Finanzressort nachzufragen: „Das hielt ich nicht für erforderlich.“ Später wiederholte Mielke noch, nach der vom Kabinett im November 2023 festgelegten Neuregelung sei das Finanzministerium auch gar nicht mehr gefragt gewesen, die Staatskanzlei habe die AT-Gewährung selbst entscheiden können. Eine Rückwirkung, fügte Mielke hinzu, sei aus seiner Sicht durchaus zulässig, da sich der Arbeitsvertrag auf die Dauer der Beschäftigung nach Ende der Probezeit beziehe und die Probezeit am 1. August ausgelaufen war.

Pörksen: habe C. vorher nicht gekannt

Dem widerspricht allerdings der von der CDU beauftragte Gutachter Heiermann. Er hält den AT-Vertrag von vornherein für nicht rechtmäßig, da die extra im Herbst 2023 geschaffene Neuregelung für C. gar nicht habe angewandt werden dürfen. Eine wichtige Bedingung für AT-Verträge, die künftig nun ohne Mitwirkung des Finanzministeriums geschlossen werden dürfen, seien nämlich die „beamtenrechtlichen Voraussetzungen“ des jeweiligen Bewerbers. Diese seien aber bei C. gar nicht vorhanden, da ein Master im Steuerrecht gar nicht tragfähig sei für die wichtige Position in der Staatskanzlei. In den Akten, sagte die CDU-Sprecherin Hermann, fänden sich auch ähnliche Bedenken, die selbst in der Staatskanzlei geäußert worden seien. Das verneinte Mielke und betonte, nach seiner Rechtsauffassung habe C. doch die Voraussetzungen erfüllt – denn die Strenge der Prüfung nach Paragraph 25 der NLVO sei hier eben gar nicht erforderlich. Im Übrigen hätten schon mehrere Personen ohne ausdrückliche Qualifikation in Verwaltungswissenschaften wichtige Positionen in der Staatskanzlei inne gehabt. Während nun die CDU die Position vertritt, die genauen Vorgaben der NLVO müssten in mehreren Paragraphen eingehalten werden, sieht Mielke den Spielraum als viel größer an. Das habe auch die Staatskanzlei rechtlich absichern lassen.

Nach mehr als vier Stunden endete am Donnerstag die Vernehmung des Chefs der Staatskanzlei. Als zweite Zeugin trat Regierungssprecherin Anke Pörksen auf. Sie erklärte, erst kurz vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Büroleiter-Affäre im Herbst 2023 von dem Fall erfahren zu haben. Sie habe C. auch vorher nicht gekannt – obwohl sie in Hamburg tätig war, dem Wohnort von Pörksen.

Dieser Artikel erschien am 24.5.2024 in Ausgabe #094.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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