Niedersachsens Ärzte arbeiten an ihrer Belastungsgrenze, es drohen vermehrt Kündigungen. 40 Prozent der Ärzte würden einen Berufswechsel nicht mehr ausschließen, warnt der Marburger Bund (MB) Niedersachsen. Bei angehenden Ärzten, die sich gerade in der Weiterbildung befinden, seien es sogar 46 Prozent.

A motion blurred photograph of a patient on stretcher or gurney being pushed at speed through a hospital corridor by doctors & nurses to an emergency room

Das ist das Ergebnis der größten Ärzteumfrage in Niedersachsen, an der 1300 von 7135 angeschriebenen Mitgliedern teilgenommen haben. Die Situation habe sich seit der Corona-Pandemie im Gesundheitssystem deutlich verschärft. Aus Kostengründen seien an einigen Krankenhäusern Stellen nicht neubesetzt oder sogar abgebaut worden. Dabei würde die Zahl der Patienten langfristig steigen, zeitgleich gingen ohnehin immer mehr Ärzte in Rente. Die Folge seien schon jetzt steigende Überstunden, die sich zwangsläufig auch auf die Qualität der Behandlung auswirkten.

„Gute Arbeitsbedingungen sind gelebte Patientensicherheit.“

„Würden Sie sich in ein Flugzeug setzen, indem der Pilot seit 24 Stunden durchfliegt? Ich würde es nicht tun. Warum sollte ich mich dann von einem Chirurgen operieren lassen, der so lange auf den Beinen ist?“, sagte Andreas Hammerschmidt, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen. „Gute Arbeitsbedingungen sind gelebte Patientensicherheit.“ Statt der bevorzugten Arbeitszeit von 30 bis 48 Stunden arbeitet mehr als die Hälfte der Befragten 49 bis 80 Stunden pro Woche, bei jedem Fünten fallen dabei wöchentlich neun Überstunden und mehr an. Die Überstunden werden bei etwa jedem Vierten weder finanziell vergütet noch bekommen sie dafür einen Freizeitausgleich. „Das sind jede Woche über 28.000 unbezahlte Überstunden, an denen die Arbeitgeber zulasten der Beschäftigten verdienen“, kritisiert der erste Vorsitzende Hans Martin Wollenberg, dessen Sohn selbst in Göttingen Medizin studiert. „Er soll nicht später zu denjenigen gehören, die sagen: Hätte ich mal was anderes gelernt.“ Die geleisteten Überstunden entsprächen mehr als 2700 Vollzeit-Stellen. 

Trend geht zur 4-Tage-Woche

Viele Ärzte reagieren auf den Druck, indem sie ihre Stellen reduzieren. „Wir beobachten einen Trend zur 4-Tage-Woche. Die Ärzte brauchen Zeiträume, die frei von beruflicher Belastung sind“, erklärt Wollenberg. Eine Lösung könnte das systematische Erfassen der Arbeitszeit sein. „Einige Krankenhausärzte werden gebeten, die Überstunden nicht aufzuschreiben, damit es keinen Ärger mit dem Gewerbeaufsichtsamt gibt“, sagt Hammerschmidt. Außerdem bräuchte es mehr Studienplätze, um die Krankenhausversorgung auch zukünftig ausreichend gewährleisten zu können. „Ohne die Kollegen aus dem Ausland geht es schon jetzt nicht. Die fehlen nun aber leider in ihren Heimatländern“, bemängelt Hammerschmidt.

„Ich verbringe am Computer mehr Zeit als im Kontakt mit dem Patienten.“

Ein großes Erschwernis sei nach wie vor die zunehmende Bürokratisierung. „Die Anzahl an Stunden, die ich mit Dokumentation verbringe, ist enorm. Ich verbringe am Computer mehr Zeit als im Kontakt mit dem Patienten“, berichtet eine Befragte des MB-Monitors. Rund ein Drittel der Ärzte verbringe täglich vier und mehr Stunden für Verwaltungstätigkeiten. Kostbare Zeit, die so für die Patientenbetreuung wegfiele. „Das DRG-System muss abgeschafft werden. Es hat dazu geführt, dass Krankenhäuser unter hohem Kostendruck stehen“, sagt Hammerschmidt. Je nach Behandlungsfall eine feste Fallpauschale zu bezahlen, bilde die Versorgungsrealität in den Krankenhäusern selten präzise genug ab. Stattdessen müssten die Grund-, Regel- und Notfallversorgung besser finanziert werden, fordert der Marburger Bund. Der Tarifabschluss 2019 und auch das Niedersächsische Krankenhausgesetz seien schon gute Schritte in die richtige Richtung. Allerdings müsse das Personal, das durch die Schließung einzelner Krankenhäuser frei werde, zwingend in anderen Krankenhäusern eingesetzt werden.

Zukünftig müsse den Krankenhäusern auch mehr Geld für den Klimaschutz zur Verfügung gestellt werden, um in Zeiten der Energiekrise weiter CO2 einzusparen. Das Land müsse daher einen Sonderfonds einrichten. Das Volumen bezifferte der Marburger Bund Niedersachsen auf mehrere Milliarden Euro. „Wir haben Sorge, dass es zu Entlassungen kommt, wenn die Krankenhäuser die Energiekosten nicht mehr alleine tragen können“, meint Wollenberg.